Prävention ist auch eine Aufgabe der Politik
Das britische Fachjournal „The Lancet“ hat vor Kurzem eine Artikelreihe veröffentlicht (siehe Artikel S. 12). Die Autoren – mit deutscher Beteiligung – fordern darin, dass die Mundgesundheit international gesehen dringend einen höheren Stellenwert erhalten muss. Die Gesundheitssysteme seien zu stark therapie- und zu wenig präventionsorientiert, wird kritisiert. Für die BZÄK war das Anlass, sich mit den Thesen der Autoren intensiv auseinanderzusetzen und die nationale Situation zu prüfen. Schließlich sind Publikationen im Lancet nicht selten Ausgangspunkt nationaler oder globaler gesundheitspolitischer Initiativen.
Zunächst: Die Zahnmedizin in Deutschland ist in Sachen Prävention gut aufgestellt und zusammen mit den skandinavischen Ländern führend. Natürlich gibt es auch hier Lücken und Handlungsbedarfe. Denn nicht alle Risikofaktoren können allein von der Zahnmedizin beeinflusst werden. Da bedarf es schon gemeinsamer gesamtgesellschaftlicher Verantwortung. Unsere repräsentative DMS-V-Studie hat deutlich herausgearbeitet, wo auch in Deutschland ein Knackpunkt liegt: Munderkrankungen sind stark Sozialschicht-abhängig.
Was die zahnärztliche Versorgung betrifft, geht es uns hierzulande gut: Der Zugang ist niedrigschwellig. Härtefallregelungen gleichen schwierige Lebensumstände aus, die zahnmedizinische Grundversorgung ist sozial abgesichert und – im internationalen Vergleich – auf einem hohen Niveau. Dennoch gibt es Bevölkerungsgruppen mit einem schlechteren Mundgesundheitszustand: Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderung, aber auch Pflegebedürftige. Die frühkindliche Karies ist eine weitere große Herausforderung. Generell gilt für Deutschland aber, dass Problemlagen durch die Wissenschaft und die Berufsorganisationen proaktiv und nachhaltig angegangen werden.
Ein wichtiger Faktor der Prävention in Deutschland ist die zahnmedizinische Gruppenprophylaxe – als das reichweitenstärkste Präventionsprogramm für Kinder und Jugendliche. Über 80 Prozent werden regelmäßig mit Maßnahmen in Schulen und Kindergärten erreicht. Ganz wichtig: der Setting-Ansatz, bei dem Mundhygienemaßnahmen bereits in der Gesundheitserziehung verankert werden können.
Was die Rolle der Zuckerindustrie angeht, rennen die Wissenschaftler der Lancet-Studie mit ihrer Kritik bei uns offene Türen ein. Die BZÄK fordert schon lange verbindliche Maßnahmen zur Zuckerreduktion und für eine ausgewogene Ernährung, vor allem für Kinder. Dazu gehören eine verständliche Lebensmittelkennzeichnung und Standards für eine gesunde Schul- und Kitaverpflegung. Hier muss seitens des zuständigen Bundesministeriums gehandelt werden.
Bewährt hat sich in Deutschland die Vernetzung von bevölkerungs-, gruppen- und individualprophylaktischen Maßnahmen und der Ansatz, Prävention als Konzept über den gesamten Lebensbogen hinweg zu entwickeln. Mit dem demografischen Wandel zeigt sich jedoch eine besondere Herausforderung. Munderkrankungen stehen – mit zunehmendem Alter und bei einer wachsenden Zahl von chronischen degenerativen Erkrankungen – in einem stärkeren medizinischen Zusammenhang. Ganz wichtig dabei: die Ausbildung der Zahnärzte. Die neue Zahnärztliche Approbationsordnung, mit der es ab 2020 möglich sein wird, verstärkt präventive Inhalte auch im Bereich von Public-Health-Strategien zu vermitteln, muss im Masterplan 2020 mit einem Mehr an medizinischem Wissen für Zahnmediziner erweitert werden.
Ausdrücklich unterstützen wir – auch in unserer internationalen Arbeit – die Forderung der Autoren, Zahnmedizin und insbesondere die Prävention zu einem wesentlichen Bestandteil aller nationalen wie globalen Gesundheitsstrategien zu machen. Dabei gibt es jedoch einen Faktor, den wir gemeinsam mit Lancet nachdrücklich in die Diskussion einbringen: Zahnheilkunde darf nicht zum Spielball des Finanzkapitals werden! Denn das Gesundheitswesen ist kein Spekulationsmarkt, hier geht es nicht um Gewinn. Das gilt vor allem für die in Deutschland inzwischen mögliche Übernahme von Zahnarztpraxen durch Fremdkapital und durch Private-Equity-Gesellschaften. Wir sind ein Heiberuf und das muss so bleiben – auch in der Prävention.
Meine Empfehlung: Nicht nur wir sollten die Situation analysieren, sondern auch die Politik, denn die Probleme sind bekannt und harren ihrer Lösung.
Prof. Dr. Dietmar Oesterreich
Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer