Unterstützung für Menschen mit geistiger Behinderung

Special Smiles – viel mehr als ein Zahn-Check

Imke Kaschke
Die Special Olympics sind die Wettkämpfe für Menschen mit geistiger Behinderung, verantwortet und organisiert von Special Olympics Deutschland (SOD). Darin eingebettet ist seit 2004 das Programm Healthy Athletes®, das den Sportlern während der Events kostenlose Gesundheitschecks anbietet; für die Mundgesundheit gibt es das Programm Special Smiles. Auch dank dieser Angebote stehen die Belange dieser Patienten heute stärker im Fokus.

Über den Sport hinaus versteht sich SOD als Alltagsbewegung mit einem ganzheitlichen Angebot. Mit Unterstützung von ehrenamtlichen Helfern – Ärzten, Zahnärzten sowie medizinischem Fachpersonal und Studierenden – haben die Healthy Athletes seit 2004 mehr als 52.000 Beratungen und Untersuchungen bei nationalen und regionalen Veranstaltungen durchgeführt. „Special Smiles – Gesund im Mund“ wird in Deutschland durch die Mars Wrigley Foundation und die Stiftung Innovative Zahnmedizin e. V. gefördert. Zwar konnte durch strukturierte Prophylaxeprogramme der Mundgesundheitszustand in Deutschland in den vergangenen Jahren generell verbessert werden, doch profitieren Menschen mit geistiger Behinderung nicht in gleichem Maß davon.

Special Smiles bietet neben zahnmedizinischen Untersuchungen und Weiterbehandlungsempfehlungen auch Anleitungen zur behindertengerechten Zahn- und Mundpflege. Mit standardisierten Untersuchungsbögen werden international und national vergleichbare Daten über den Zahn- und Mundgesundheitszustand der Sportler mit geistiger Behinderung erhoben und – unter Beachtung des Datenschutzes – anonymisiert ausgewertet. Die Ergebnisse werden einerseits für gesundheitspolitische Diskussionen genutzt, andererseits um die Wahrnehmung der (zahn)medizinischen Probleme von Menschen mit geistiger Behinderung selbst sowie ihrer Angehörigen und Betreuer zu steigern.

Die Menschen stärker sichtbar machen

Die Untersuchungen berücksichtigen für einen internationalen Vergleich etwa Erhebungen zur Putzfrequenz und zum Behandlungsbedarf (Anzahl kariöser oder fehlender Zähne, Vorliegen einer Gingivitis). Darüber hinaus werden in Deutschland zusätzliche Daten erhoben, die mit denen gleicher Altersgruppen der DMS-Studien der deutschen Durchschnittsbevölkerung verglichen werden können, wie der DMF-T-Index. Die Untersuchungen erfolgen non-invasiv, ausschließlich mit Spiegel und Licht auf transportablen Untersuchungsstühlen. Zahnärztliche Behandlungseinheiten oder Röntgendiagnostik werden nicht eingesetzt. Die Teilnahme mit Datenerfassung ist nur bei Vorliegen einer entsprechenden rechtsverbindlichen Einwilligungserklärung möglich.

Nach der Befragung zur täglichen Mundpflege werden die Teilnehmenden über adäquate Maßnahmen der Zahn- und Mundhygiene informiert, darüber hinaus werden Zahnputzübungen durchgeführt. Um die Selbstwirksamkeit und die Motivation der Menschen mit geistiger Behinderung zu verbessern und die Zahnputzeffektivität zu überprüfen, werden bei größeren Veranstaltungen fluoreszierende Lösungen im Karies-Dunkellicht-Tunnel, bei kleineren Angeboten Plaquefärbelösungen oder -tabletten eingesetzt.

Neben einer Handzahnbürste (bei Bedarf auch eine behindertengerechte dreiköpfige Zahnbürste) erhalten die Special-Smiles-Teilnehmenden eine Zahnputzuhr und eine gedruckte Zahnputzanleitung für die Hand- beziehungsweise elektrische Zahnbürste in leichter Sprache. Danach erfolgt die zahnärztliche Untersuchung.

Die Mundhygiene unterstützen

Sowohl die individuellen Hinweise zur Zahn- und Mundhygiene als auch die notwendigen Weiterbehandlungen werden in einem speziell von SOD entwickelten Gesundheitspass eingetragen, der den Haus(zahn)ärzten vorgelegt werden soll. Mit jährlich zehn bis zwölf „Special Smiles“Veranstaltungen können mehr als 1.000 Menschen mit geistiger Behinderung bei „Special Olympics“-Wettbewerben und in ihrem Lebensumfeld erreicht werden. Seit 2004 haben nahezu 12.000 Menschen mit geistiger Behinderung diese Angebote wahrgenommen.

Die Ergebnisse der zahnärztlichen Untersuchungen weisen auf die notwendige Verbesserung der Mundgesundheitsförderung für Menschen mit geistiger Behinderungen in Deutschland hin. So benötigten im Zeitraum 2006 bis 2018 durchschnittlich 38 Prozent der Untersuchten eine zahnärztliche Behandlung (davon 13 Prozent akut). Mehr als 40 Prozent wiesen Zahnfleischentzündungen auf, sechs Prozent gaben Schmerzen im Mund an.

Den besonderen zahnmedizinischen Versorgungsbedarf der Athleten belegen auch Daten der „Special Smiles“-Untersuchungen, die anlässlich der Special Olympics 2018 in Kiel bei den Nationalen Sommerspielen erhoben wurden: Die Ergebnisse der 971 Untersuchungen (Abbildung 1) zeigen den nach wie vor hohen zahnmedizinischen Behandlungsbedarf: Insgesamt 39 Prozent der Athleten haben eine Gingivitis, 10 Prozent akuten zahnärztlichen Behandlungsbedarf, 7 Prozent geben aktuell Schmerzen im Mund an.

Die Daten zeigen aber auch, dass sich die Mundgesundheit der Teilnehmenden seit 2012 im Durchschnitt verbessert hat. Wie in Tabelle 1 aufgelistet, geht in der Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen („Special Smiles“-Ergebnisse nationaler Sommerspiele) im Zeitraum 2012 bis 2018 die durchschnittliche Anzahl kariöser beziehungsweise fehlender Zähne zurück. Im Vergleich zur gleich alten Durchschnittsbevölkerung zeigt sich bei der Anzahl fehlender Zähne eine abnehmende Differenz. Allerdings muss bei der Interpretation der Ergebnisse beachtet werden, dass es sich nicht um ein Follow-up handelt, sondern um Tendenzen auf der Grundlage von Durchschnittswerten.

Studien erheben und die Wirklichkeit verändern

Gründe für eine Verbesserung der Mundgesundheit können in der Verbesserung des Zugangs zur zahnmedizinischen Versorgung, der erhöhten Aufmerksamkeit für ihre eigene Mundgesundheitssituation und daraus resultierende Verhaltensänderungen beziehungsweise in Anspruch genommene Behandlungsmaßnahmen durch ihre Teilnahme bei Special Smiles sein.

Die Anzahl regionaler „Special Smiles“-Angebote konnte in den vergangenen Jahren kontinuierlich erhöht und damit eine immer größere Anzahl von Menschen mit geistiger Behinderung erreicht werden, insbesondere auch aufsuchend in Wohneinrichtungen und Werkstätten. Darüber hinaus werden mit den Fortbildungen zahnmedizinische Teams, die als „Special Smiles“-Helfer im Einsatz sind, für die Besonderheiten von Menschen mit geistiger Behinderung sensibilisiert und nehmen ihre Erfahrungen im Umgang mit diesen Patienten in den Praxisalltag mit.

Ohne das große Engagement vieler Fachhelfer wären die Angebote des Zahn- und Mundgesundheitsprogramms undenkbar. Zum Team unter bundesweiter Leitung des in Hildesheim niedergelassenen Zahnarztes Dr. Christoph Hils gehören 14 ehrenamtlich engagierte Zahnärztinnen und Zahnärzte, die als regionale Koordinatoren in zwölf Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin/Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, NRW, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein) fungieren. In Kooperation mit den jeweiligen „Special Olympics“-Landesverbänden organisieren sie ein- bis zweimal jährlich die Angebote.

Unterstützt werden sie dabei vor Ort durch viele Zahnmediziner, Studierende und zahnmedizinisches Fachpersonal. Alle, die einmal als Helfende dabei waren, sind sich einig, dass sie auf diese Erlebnisse und Erfahrungen nicht verzichten wollen: Wie viel sich Menschen mit und ohne geistige Behinderung geben können, wie viel sie gegenseitig voneinander lernen und wie viel Lebensfreude sie miteinander haben können!

Ohne die Helfer geht es nicht

„Viele Kollegen berichten“, erzählt Hils, „dass so ein Event mit dieser besonderen Klientel eine ganz besondere Atmosphäre schafft. Sie kommen deshalb gern. Viele nehmen dafür Urlaub, schließen ihre Praxen und bringen auch ihre Mitarbeiterinnen mit! Das bietet uns die Möglichkeit, zahnmedizinische Teams für die besonderen Belange von Menschen mit geistiger Behinderung zu sensibilisieren und ihre Kompetenzen zu steigern.“

Bereits 2010 wurde eine Kooperationsvereinbarung mit der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) geschlossen. Inzwischen bestehen regionale Kooperationen zwischen Landeszahnärztekammern und „Special Olympics“-Landesverbänden, etwa in Baden-Württemberg, im Saarland und in Niedersachsen. Wissenschaftlich arbeitet Special Smiles unter anderem mit den Universitäten Göttingen, Jena, Mainz, München, Witten-Herdecke sowie mit der AG Zahnmedizin für Menschen mit Behinderung oder besonderem medizinischem Unterstützungsbedarf in der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK).

Auch die Mitarbeit in gesundheitspolitischen Gremien und Netzwerken und die Präsentation von Ergebnissen des „Special Smiles“-Programms haben nach langjährigen Bemühungen maßgeblich zur Einführung des § 22a SGB V mit dem Versorgungsstrukturgesetz im Jahr 2015 mit dem gesetzlich garantierten Leistungsanspruch für zahnmedizinische Prophylaxeleistungen für Erwachsene mit Behinderung und Pflegebedarf geführt. Seit Inkrafttreten der Richtlinie am 1. Juli 2018 erhalten die Anspruchsberechtigten erstmals in Deutschland nachteilsausgleichende zusätzliche präventive zahnmedizinische Leistungen, die durch die behandelnden Zahnärzte über die gesetzlichen Krankenkassen zweimal jährlich abgerechnet werden können.

Dr. Imke Kaschke MPH
Leiterin Gesundheit
Special Olympics Deutschland e. V.

Ihnen geht es in vielen Bereichen gesundheitlich schlechter

Zum Jahresende 2017 lebten rund 7,8 Millionen Menschen mit einer Schwerbehinderung in Deutschland. Laut Statistischem Bundesamt waren somit 9,4 Prozent der Bevölkerung schwerbehindert. Dazu zählen auch etwa 420.000 Menschen mit geistiger Behinderung.

Auch zehn Jahre nach Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention bestehen in Deutschland „Lücken“ bei deren gesundheitlicher Betreuung. Sie weisen in vielen Bereichen eine schlechtere Gesundheit auf und haben ein höheres Risiko für zusätzliche gesundheitliche Einschränkungen. Die epidemiologische Datenlage weist insbesondere auf die Notwendigkeit der Verbesserung der behinderungsgerechten Präventions- und Gesundheitsförderung hin.

Special Olympics...

...Deutschland ist die deutsche Organisation der weltweit größten, vom Internationalen Olympischen Komitee offiziell anerkannten Sportbewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Gegründet 1968 von Eunice Kennedy-Shriver, Schwester des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy, ist Special Olympics heute mit nahezu vier Millionen Athleten in 170 Ländern vertreten.

Mit den Mitteln des Sports bietet Special Olympics Menschen mit geistiger Behinderung die Chance zu mehr Selbstbewusstsein, Anerkennung und gesellschaftlicher Teilhabe. Bereits der Special-Olympics-Eid „Ich will gewinnen, doch wenn ich nicht gewinnen kann, will ich mutig mein Bestes geben“ verweist auf die Grundwerte des Sports, die für alle Menschen gleich sind.

Special Olympics Deutschland (SOD), gegründet im Jahr 1991, verschafft als Nichtolympischer Spitzenverband im Deutschen Olympischen Sportbund heute mehr als 40.000 Menschen mit geistiger Behinderung selbstbestimmte Wahlmöglichkeiten von behinderungsspezifischen bis hin zu inklusiven Angeboten.

Dr. Imke Kaschke

MPH Leiterin Gesundheit
Special Olympics Deutschland e. V.

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