Patientenverunsicherung und Zahnarzt-Bashing
„Füllung im Backenzahn, Wurzelbehandlung oder Implantateinsatz - die Liste der kostenintensiven Behandlungen beim Zahnarztbesuch ist schier endlos. Doch wo in Deutschland sind Zahnarztbehandlungen am preiswertesten und in welchem Bundesland müssen Sie mit hohen Preisen rechnen?“ Seit einiger Zeit können es Verbraucher und Patienten auf der Webseite von ERGO direkt nachlesen: Zahnarztbehandlung ist in Deutschland nicht gleich Zahnarztbehandlung.
Ein Beispiel
„Große Unterschiede bei den Kosten für Zahnersatz“
„Handelt es sich um einen gewünschten Zahnersatz wie Implantate, wird der preisliche Unterschied deutlich spürbar. Rentner Karl-Heinz beispielsweise lebt in Frankfurt am Main. Bei seinem langjährigen Zahnarzt kostet ein Implantat im Durchschnitt 3.251 Euro. Würde er in Dortmund seinen Bruder besuchen und dort zum Zahnarzt gehen, betrügen die Zahnarzt-Kosten für das Implantat nur ca. 2.661 Euro.“
Quelle: ERGO direkt
So heißt es: „Es ist klar ersichtlich, dass die Zahnarzt-Kosten von einer Vielzahl an Faktoren abhängen, und Patienten je nach Art der Behandlung aber auch abhängig von der Lage der Zahnarztpraxis unterschiedlich hohe Zahnarzthonorare erhalten.“ Wie die Versicherung zu diesen Schlussfolgerungen kommt, bleibt unklar.
Die Versicherung will herausgefunden haben: „Im Deutschlandvergleich erhalten Sie im Osten eine günstigere Zahnarztrechnung als im Westen, in Berlin steigen Sie am preiswertesten aus. Schwerin ist die günstigste Zahnarztstadt Deutschlands, dicht gefolgt von Freiburg im Breisgau. Tief in die Tasche greifen müssen Sie für Zahnbehandlungen in Salzgitter, Eltville am Rhein und Wolfenbüttel.“
„... es empfiehlt sich der Abschluss einer privaten Zahnzusatzversicherung!“
Und erklärt gleich mit, warum sie den Vergleich herbeiführt: „Um Zahnarzt-Kosten möglichst gering zu halten und trotz Zahnproblemen nicht auf ein strahlendes Lächeln verzichten zu müssen, empfiehlt sich der Abschluss einer privaten Zahnzusatzversicherung.“
Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) hat den Vergleich der ERGO direkt statistisch untersucht. Ihr Fazit: „Eine Zusammentragung von Unklarheiten, Ungereimtheiten beim Datenmaterial und Mangel an Repräsentativität. All dies führt zur Verunsicherung der Verbraucher und Patienten.“
Statement der Bundeszahnärztekammer
Die Ursachen für unterschiedliche „Zahnarztkosten“ sind vielfältig
Der Gestaltungsraum der Zahnärzte durch die Gebührenordnungen ist begrenzt. Die Unterschiede in den ermittelten Kosten einer Zahnarztbehandlung liegen daher wesentlich in unterschiedlichen individuellen Patientenentscheidungen und -präferenzen begründet.
Der Bepreisung zahnärztlicher Leistungen liegen zwei Gebührenordnungen zugrunde - der BEMA und die GOZ. Im BEMA werden jeweils die Regelleistungen für gesetzlich Versicherte definiert. Die GOZ ist der Gebührenkatalog für Privatversicherte. Gesetzlich versicherte Personen haben die Möglichkeit, im Rahmen der gleich- und andersartigen Versorgung insbesondere beim Zahnersatz ebenfalls auf die GOZ zuzugreifen und statt der Regel- eine höherwertige Versorgung zu wählen - die dann natürlich mit höheren Kosten für den Patienten verbunden ist. Wie häufig Patienten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen oder weitere Leistungen außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung wünschen, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Zu nennen sind wesentlich Einkommen der Bevölkerung, Altersstruktur und Morbidität sowie individuelle Befundsituationen und Präferenzen der Patienten (zum Beispiel ästhetisches Empfinden). Es steht außer Frage, dass nach wie vor erhebliche Einkommensunterschiede zwischen den Bundesländern und Regionen bestehen. Insofern verwundert weder die Erkenntnis, dass die durchschnittlichen Kosten einer „Zahnbehandlung“ im Osten geringer sind als im Westen, noch das Ergebnis, dass in großen Städten häufig mehr zu zahlen ist als auf dem Land. Durch die Darstellung der ERGO wird aber suggeriert, die unterschiedliche Höhe der Zahnarztrechnungen sei in erster Linie das Ergebnis abweichender Abrechnung seitens der Zahnärzte - gegen die sich der Patient mittels einer Zahnzusatzversicherung bei der ERGO schützen muss.
Die Darstellungen der ERGO zu den Zahnarztkosten lassen auch keinen hinreichenden Rückschluss auf die dahinterliegende Methodik und Systematik erkennen. In den Texten wird - neben den durchschnittlichen Kosten einer Zahnbehandlung - auf Ergebnisse in einzelnen Leistungsbereichen (beispielsweise Prophylaxe oder Zahnersatz) eingegangen, jedoch nicht auf systematische und nachvollziehbare Art und Weise. Letztlich wird für den Verbraucher nicht ersichtlich, welche Leistungen konkret betrachtet wurden. Vielmehr wird er mit einer Vielzahl unterschiedlicher Zahlen, Behandlungen und Städtenamen „erschlagen“, deren Berechnungsgrundlage in keiner Weise nachvollziehbar ist. Auch in Bezug auf die Datenbasis bestehen unseres Erachtens Unklarheiten.
Im Text für Gesamtdeutschland - der das erste ist, was die Verbraucher auf der Homepage zu Gesicht bekommen - finden sich gar keine Angaben zu Stichprobengröße oder Datenbasis. Erst wenn man sich die Mühe macht, die einzelnen Länderberichte genau durchzulesen, findet man einige Informationen: Grundlage für den Vergleich sind ausschließlich die bei der ERGO eingereichten Rechnungen. Allein dies schränkt die Repräsentativität der Ergebnisse erheblich ein.
Zudem ist aus der Darstellung auf der Homepage nicht ersichtlich, welche Leistungen in welcher Menge in den einzelnen Bundesländern beziehungsweise Städten erbracht wurden und in den Vergleich einflossen. Zwar wird in den Länderberichten erwähnt, dass nur Städte berücksichtigt wurden, aus denen mehr als 1.000 Rechnungen vorlagen (auch dies gerade in den Großstädten noch eine recht geringe Menge), es ist jedoch überhaupt nicht ersichtlich, welche Leistungen in diesen Rechnungen in welcher Menge abgerechnet wurden. Finden sich in einem Bundesland beziehungsweise einer Stadt besonders viele Prophylaxe-Rechnungen, während anderswo überdurchschnittlich viele Implantat-Rechnungen eingereicht wurden, muss dies notwendigerweise zu unterschiedlichen Durchschnittspreisen führen.
Gerade bei einem Vergleich konkreter Leistungen (beispielsweise Füllungen) auf Ebene einzelner Städte besteht zudem die Gefahr, dass hier scheinbar „allgemeingültige“ Aussagen auf Basis einiger weniger Rechnungen getroffen werden. Und selbst innerhalb der Leistungsbereiche können erhebliche Unterschiede bestehen. So gilt es etwa bei Brücken zumindest zu fragen: Wie groß waren die Brücken, welche Materialien wurden verwendet, wurden zusätzliche Verblendungen von Kronen vorgenommen, mussten gegebenenfalls noch Kronen entfernt werden? Vor diesem Hintergrund erscheinen Aussagen wie 'Mit ca. 923 Euro stellt München den teuersten Standort für Zahnprothesen und Kronen dar, während Sie in Stuttgart vergleichsweise viel für Implantate und Brücken bezahlen müssen' äußerst fragwürdig und sollen deshalb offensichtlich der Bewerbung des eigenen Produkts dienen.
Berlin 2019, Bundeszahnärztekammer