Investoren im Dentalmarkt: Schrecken oder Chance?
Herr Dr. Vizethum, das Thema Investoren und Z-MVZ wird innerhalb der standespolitischen Zahnärzteschaft kontrovers diskutiert. Welchen Ansatz verfolgen Sie mit Ihrem Workshop?
Dr. Freimut Vizethum: In einer Zeit mit steigendem Veränderungsdruck in vielen Bereichen der Gesellschaft ist der Ansatz ganz einfach: Informationen über die Realität sind die Voraussetzung für gute Entscheidungen. Gerade eine kontroverse Diskussion – die ich übrigens für völlig „unskandalös“ normal und berechtigt halte – sollte auf Basis von Fakten geführt werden, darf sogar auch Spekulation enthalten, soweit dies auch deutlich gemacht wird.
Unterschiedliche Bewertungen dieser Fakten sind völlig akzeptabel und spiegeln den Gesichtspunkt der Subjektivität wider. Dabei sind kollektiv-standespolitische oder gesundheitspolitische Standpunkte verständlich und berechtigt.
Doch damit beschäftigt sich der Workshop nicht, da diese Diskussion in der Fachpresse umfangreich geführt wurde und wird und einfach nachzulesen ist. Der Workshop setzt auf Dialog und Diskussion, gerade der individuellen und subjektiven Fragestellungen, die viele Kolleginnen und Kollegen interessieren.
Es scheint Nachfrage vorhanden zu sein nach Modellen abseits der klassischen Einzelpraxis. Warum ist das so?
Das ist aus den Veränderungen unserer gesellschaftlichen Rahmenbedingungen jeden Tag für jeden niedergelassenen Kollegen real spürbar. Es betrifft, um nur einige Stichworte zu nennen, sowohl die Personalsituation, Work-Life-Balance, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, steigende Bürokratisierung der Praxisnebentätigkeiten und so weiter und so fort. Die nächsten 10 Jahre werden tausende Zahnarztpraxen verkauft oder geschlossen werden. Willige leistungsbereite Nachfolger fehlen oft. Es scheint, dass sich in größeren Praxiseinheiten viele Herausforderungen der Zukunft durch Flexibilisierung der Arbeitszeit, Spezialisierung, Professionalisierung der Abläufe und Refokussierung auf „echte“ zahnärztliche Tätigkeit leichter so gestalten lassen, um den Erwartungen der jungen Zahnärzte und Zahnärztinnen zu entsprechen.
Wer waren die Teilnehmer und Teilnehmerinnen und worin besteht ihr Interesse?
Natürlicherweise ist die Neugierde der Kollegen groß, da sich das Thema einer extremen medialen Aufmerksamkeit erfreut. Daran anschließend stellen sich ganz einfache persönliche Fragen: Was bedeutet dieser offensichtlich bedeutende Einfluss (misst man es nach dem Raum, der dieser „Investorenfrage“ in der Fachpresse gegeben wird) des Auftretens von Investoren für das/mein zahnärztliches Arbeitsumfeld? Was könnte sich für meine Praxis, meine Wettbewerbsbedingungen und meine persönliche Lebensplanung verändern.
Warum ist es heute so schwer, einen Praxisnachfolger zu finden?
Dies ist sicher das Ergebnis einer ganzen Reihe von Einflussfaktoren. Für viele befragte junge Kollegen stellen sich auch heute vor einer Niederlassung eine ganze Reihe von Fragen – nur andere als „früher“. Dabei ist die Übernahme einer bestehenden Praxis mit dem Hineinwachsen in die Selbstständigkeit des niedergelassenen Zahnarztes nur ein, heute auch aufgrund der steigenden Mobilität, seltener realisierbares „Traumszenario“. Oft wird aufseiten der abgebenden Kollegen viel zu spät an den Exit aus der Selbstständigkeit als gestalterisches Element des zahnärztlichen beruflichen Lebenszyklus gedacht. Ein weiterer Grund könnte in der schwindenden Bereitschaft zur frühzeitigen Festlegung aufseiten der Abgeber und der Übernehmer liegen. Wenn der Ort der Niederlassung frei festzulegen ist, dann zeigen sich leider in der Praxisübernahme je nach Region nur geringe Vorteile gegenüber Neugründungen.
Ihr Workshop heißt „Investoren im Dentalbereich – Schrecken oder Chance?“ Was sind sie denn nun?
Etwas Gelassenheit tut auch hier gut. Überraschenderweise gibt es hier sehr unterschiedliche Aspekte. In der Industrie sind solche „Heuschreckenperioden“ früher ebenfalls aufgetreten und haben sowohl an der einen Stelle negative Auswüchse gezeigt, wie sie an der anderen auch Strukturveränderungen positiv begleitet haben. Eine einfache Internet-Suchanfrage zeigt, dass das Bild über sogenannte Finanzinvestoren in der Industrie heute differenziert ausgebildet ist. Dazu hat sicher die Erkenntnis beigetragen, dass Strukturwandel mit Geld leichter ist als ohne.
Der „Schrecken“ wird ja vielfach medial in unserer dentalen Fachpresse durchaus bildlich drastisch inszeniert beschrieben. Wer kennt sie nicht, die Wortbilder in den Überschriften von den „Heuschrecken“ oder „Finanzhaien“, die alles fressen und zerstören. Wie wir alle jedoch wissen, sind Vertrauen und persönlicher Bezug zum Patienten auch heute noch die wohl wichtigsten Assets und Erfolgsfaktoren im Gesundheitsbereich. Somit ist es sicher extrem schwierig durch „Fressen und Zerstören“ langfristig Wachstum und Rendite zu erwirtschaften, was ja den Investoren im gleichen Atemzug unterstellt wird. So viel Kompetenz und Reflexion sollte man Menschen, die viel Geld zu investieren bereit sind, schon auch unterstellen.
Aus vielen Gesprächen wissen wir, dass unter‧schiedliche Ansätze bestehen. Manche davon erscheinen spontan Erfolg ver‧sprechend, andere werden im Rahmen eines heuristischen Ansatzes von Versuch und Irrtum wohl auch angepasst werden. Offen und gegebenenfalls zu prüfen ist die Frage, welcher Ansatz am besten zu den eigenen Vorstellungen passt. Aus meinen Erfahrungen aus M&A-Aktivitäten [Anm. d. Red.: Merger und Acquisition] in der Industrie kann ich jedem Kollegen, der die Auswirkungen und eventuellen Chancen für sich und seine Praxis prüfen oder heraus‧arbeiten möchte, eine sorgfältige und überlegte Herangehensweise empfehlen. Was eine Chance sein kann, ergibt sich aus der subjektiven und persönlichen Zielsetzung und Erwartung: Und da stellt das Auftreten der Investoren eben einen weiteren Aspekt dar, der in die eigene Zukunftsgestaltung und die der Praxis einzubeziehen ist – nicht mehr und nicht weniger.
Der Teufel steckt hier nicht in der „großen Vision“, sondern unglücklicherweise in der sorgfältigen Planung und der Umsetzung des „Kleingedruckten“ zusammen mit einem Partner, der zu einem passt. Zu professioneller Unterstützung kann hier nur geraten werden, um jenen zu finden und dann auf „Augenhöhe“ zu gestalten.
Werden größere Einheiten wie Z-MVZ die Zukunft der Zahnmedizin bestimmen?
Dies ist eine Vision, der ich beim Blick auf unsere heutige freiberufliche Struktur doch mit einer gewissen Skepsis begegnen würde. Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen – frei nach Karl Valentin oder Mark Twain. Jedoch können wir, wie so oft, ja einfach einen Blick in andere europäische Länder wagen, um zu verstehen wie sich Entwicklungen durchsetzen.
In England oder Spanien und Finnland sind seit Jahrzehnten sogenannte Dentalketten möglich. Vergleicht man Märkte ähnlicher Größe, so scheint ein möglicher Anteil von 25 Prozent der Zahnärzte, die in einer weiter entfernten Zukunft in solchen Ketten beschäftigt wären, nicht unwahrscheinlich. Im Umkehrschluss bedeutet dies also keinesfalls das Ende der freien Praxis, geradezu im Gegenteil: 75 Prozent der Zahnärzte erbringen dann auch weiterhin langfristig ihre Leistung in freiberuflicher oder angestellter Tätigkeit außerhalb von Dentalketten. Von der in Deutschland bestehenden Ausgangslage von unter einem Prozent der Zahnärzte, die in Dentalketten tätig sind, ist dies offensichtlich noch ein weiter Weg, der wohl nur gegangen wird, wenn er für die Kollegen vorteilhaft zu sein scheint.
Das Interview führte Anita Wuttke.