Die Wucht der Wut
Die Aktionen fanden in in Bad Segeberg, Düsseldorf, Hamburg, Hannover, Ingolstadt, Köln, München, Regensburg, Rotenburg sowie in Witten statt und wurden unter anderem von der Freien Ärzteschaft (FÄ) organisiert. „Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will mit dem Gesetz massiv in unsere ärztliche Tätigkeit eingreifen. Das lassen wir uns nicht gefallen“, teilte Wieland Dietrich, Bundesvorsitzender der Freien Ärzteschaft (FÄ), mit. Die Freie Ärzteschaft lehne das Gesetz ab, „weil es für uns zunehmende Fremdbestimmung und staatliche Kontrolle sowie noch mehr Bürokratie bedeutet“, begründete FÄ-Vize Dr. Silke Lüder in Hamburg den Protest.
Ein großes Ärgernis: die 25-Stunden-Regelung
Ein großes Ärgernis sei zudem die „25-Stunden-Regelung“, kritisiert der Verband. Niedergelassene Ärzte sollen demnach mindestens 25 Stunden Sprechzeit pro Woche anbieten statt bisher 20 Stunden. FÄ-Vize Dr. Axel Brunngraber aus Hannover ist empört: „Dadurch soll der Eindruck erweckt werden, die Ärzte seien faul und man müsse sie auf Trab bringen. Dabei arbeiten Ärzte im Durchschnitt 52 Stunden die Woche. Minister Spahn diffamiert mit seiner Forderung unsere ganze Berufsgruppe.“ In Hannover verabschiedeten die in der FÄ organisierten Ärzte eine Resolution: „Die niedergelassene Ärzteschaft in Niedersachsen fordert die Abgeordneten des Deutschen Bundestags auf, den vorliegenden Gesetzentwurf zu einem TSVG abzulehnen.“ Vielmehr müssten die tatsächlich schwerwiegenden Unzulänglichkeiten der Gesundheitspolitik identifiziert und angegangen werden: „ausreichender Nachwuchs für mehr Arztzeit und Abschaffung von Budgets, Regressen und staatsmedizinischem Dirigismus“.
Ein großes Thema war auch die Online-Anbindung der Arztpraxen an die Telematikinfrastruktur (TI) sowie die im Gesetz vorgesehene flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte. In Düsseldorf erteilten 90 Prozent der Teilnehmer der TI eine Absage – trotz drohender Honorarkürzung. „Wir müssen die Geheimnisse unserer Patienten bewahren, das ist unsere Aufgabe als Ärzte“, betonte auch FÄ-Vize Lüder in Hamburg. Ein Datenklau, wie er kürzlich bei Politikern stattgefunden habe, müsse bei Gesundheitsdaten ausgeschlossen werden. Lüders Vorwurf: Mit dem TSVG würden technikaffine junge Versicherte, die nur leichte Beschwerden haben, gegenüber alten, chronisch kranken Menschen oder Patienten mit Migrationshintergrund bevorzugt. Sie ist besorgt, dass die Politik auch für das Gesundheitswesen Lockerungen beim Schutz personenbezogener Daten fordert: „Rückschritte beim Datenschutz sind eine Gefahr für unsere Demokratie!“ Dabei verwies sie auf Spahn, der bei einer Veranstaltung in Berlin zum Gesetzentwurf am 18. Januar vor 200 Ärzten und Psychotherapeuten postuliert hatte: „Die Digitalisierung wird kommen, und Ihre Patienten werden sie nutzen, Hacker hin oder her.“
„Spahn diskreditiert die gesamte Berufsgruppe!“
Beim Aktionstag in Hamburg waren der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zufolge auch die Psychotherapeuten zahlenmäßig stark vertreten. Ein Dorn im Auge ist ihnen die geplante Vorgabe an psychisch Kranke, sich bei einer noch nicht näher definierten Stelle vorzustellen, die dann nach nur einem Gespräch darüber entscheidet, ob und in welcher Form sie eine Psychotherapie benötigen. Hanna Guskowski, Sprecherin des Beratenden KV-Fachausschusses Psychotherapie: „Das strotzt nur so vor Misstrauen gegenüber uns Ärzten und Psychotherapeuten, das diskreditiert unsere gesamte Berufsgruppe!“
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) nahm als öffentlich-rechtliche Organisation zwar nicht an dem Protesttag teil. Ihre Vertreter fanden laut tagesschau.de jedoch gleichfalls klare Worte zu Spahns Plänen. „Wir wissen sehr genau, wie wir eine Praxis zu führen und zu organisieren haben“, hieß es von der Vorsitzenden der KBV-Vertreterversammlung, Dr. Petra Reis-Berkowicz. KBV-Chef Dr. Andreas Gassen sieht im geplanten TSVG sogar „mangelnden Respekt“ und „Misstrauen“ gegenüber den Ärzten.
Der „Rheinischen Post“ sagte Spahn: „Wenn jemand einen vollen Arztsitz übernommen hat, hat er auch einen vollen Versorgungsauftrag, inklusive Hausbesuche. Dann muss er oder sie auch die 25 Stunden akzeptieren.“ Die „Wucht der Wut“ habe ihn gleichwohl überrascht, da die Vorgaben „schon vorher existierten“ und die allermeisten Ärzte von der neuen Regel auch nicht betroffen seien. „Wir werden am Ziel festhalten, dass Patienten schneller Termine bekommen als heute“, stellte Spahn klar. „Ich verschließe mich aber nicht konkreten Ideen der Ärzteschaft, wie das erreicht werden kann.“
TSVG
Das kritisiert die Freie Ärzteschaft
Gängelung der Ärzte durch noch mehr Kontrolle – die Kassenärztlichen Vereinigungen müssten dabei als Überwachungsbehörden fungieren.
Arztsteuerung statt Patientensteuerung
Chronisch Kranke würden es schwerer haben, Arzttermine zu bekommen, technikaffine Patienten seien im Vorteil.
Abbau der freien Arztwahl
Großes Risiko für die Gesundheitsdaten der Bürger durch die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte und den Zugriff darauf über mobile Geräte
Die Freie Ärzteschaft e.V. (FÄ) ist ein Verband, der den Arztberuf als freien Beruf vertritt. Er wurde 2004 gegründet und zählt heute nach eigenen Angaben mehr als 2.000 Mitglieder: vorwiegend niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie verschiedene Ärztenetze. Vorsitzender des Bundesverbands ist Wieland Dietrich, Dermatologe in Essen.