Fahrschule für die Selbstständigkeit
Herr Sommer, warum engagiert sich die apoBank für das Projekt?
Ulrich Sommer: Wir sehen seit einigen Jahren, wie sich die Bedürfnisse der jungen Zahnärztegeneration wandeln. Einer hohen Work-Life-Balance, flexiblen Arbeitszeiten und dem Fokus auf die heilberufliche Tätigkeit wird zunehmend mehr Bedeutung beigemessen. Obwohl die Selbstständigkeit in eigener Praxis die meisten Freiräume und die größte Entscheidungsfreiheit bietet, wählen immer mehr junge Zahnärzte die Arbeit in Anstellung.
Die apoBank und die ZA eG in Düsseldorf haben in der Ende 2018 gegründeten Tochtergesellschaft „Zahnpraxis der Zukunft“ (ZPdZ) das Modell entwickelt. Hauptziel: Junge Zahnärzte sollen die Arbeit in der Selbstständigkeit ohne hohen Investitionsaufwand ausprobieren können. Das Konzept sieht vor, schlüsselfertige Räumlichkeiten, digital in der Ausstattung und den Prozessabläufen, anzumieten. Es besteht die Option, administrative Dienstleistungen wie etwa Abrechnung, Teamschulungen oder IT-Leistungen hinzuzukaufen. Im Sommer 2019 soll die erste Zahnpraxis dieser Art mit sechs Behandlungseinheiten inklusive Prophylaxe im Düsseldorfer Stadtteil Lörick eröffnet werden.
Wir sehen auch, dass ältere Praxisinhaber Mühe haben, ihre Praxen abzugeben. Einerseits durch die veränderten Präferenzen der nachfolgenden Zahnärztegeneration, andererseits durch die rasante technologische Entwicklung bedingt, da viele Praxen häufig nicht mehr den neuesten Standards entsprechen.
Da die wirtschaftliche Förderung der Heilberufler unser genossenschaftlicher Auftrag ist, entstand für uns die Herausforderung, wie wir beide Generationen am besten unterstützen können. Mit einer ähnlichen Fragestellung beschäftigte sich zur gleichen Zeit die Zahnärztliche Abrechnungsgenossenschaft, und als sich in unmittelbarer Nähe zu beiden Unternehmenssitzen ein geeignetes Szenario ergab, entstand die Idee zur Gründung eines gemeinsamen Unternehmens – der Zahnpraxis der Zukunft.
Was haben die Teilnehmer des Projekts davon – wo sieht die Bank ihrerseits einen möglichen Benefit?
Die Zahnpraxis der Zukunft – kurz ZPdZ – hat mehrere Funktionen. Sie soll zum einen jungen Zahnärzten ermöglichen, die Arbeit in der Selbstständigkeit auszuprobieren und Kenntnisse in moderner Praxisführung aufzubauen, ohne direkt die finanzielle Belastung eines Praxiskaufes auf sich zu nehmen.
Zum anderen liefert sie Lösungen für die Praxisabgeber. Aus Umfragen wissen wir, dass ein langsamer Übergang in den Ruhestand ein häufiger Wunsch der Heilberufler ist. Deshalb haben erfahrene Altzahnärzte in der ZPdZ die Möglichkeit, den Jungzahnärzten mit wertvollem Know-how als Mentoren zur Seite zu stehen. Mit diesem Praxismodell probieren wir aus, wie eine Altpraxis auf den neuesten technologischen Stand gebracht werden kann und wie wir die Nachfolger für die Selbstständigkeit gewinnen und sie dabei unterstützen können.
Daneben bietet die ZPdZ die Auslagerung unterschiedlichster administrativer und betriebswirtschaftlicher Serviceleistungen an und ermöglicht somit den Zahnärzten, sich auf ihre heilberufliche Kerntätigkeit und die Patienten zu fokussieren. Für die apoBank ist bei diesem Projekt zunächst vor allem der Lerneffekt wichtig. Wir wollen sehen, wie die Heilberufler dieses Angebot annehmen, wo ihre Bedürfnisse genau liegen und wie wir sie dabei unterstützen können.
Eine der Rollen, die die ZPdZ einnimmt, ist eine Art „Fahrschule“ für die Praxisführung zu sein, als unternehmerische Hilfestellung auf dem Weg in die Selbstständigkeit. Wir sind davon überzeugt, dass die Zahnärzte, sobald sie die Arbeit als eigener Chef in eigener Praxis einmal ausprobiert haben, diese nicht mehr gegen die Anstellung tauschen möchten. Deshalb soll ihnen die ZPdZ im Rahmen einer flexiblen Vertragslaufzeit auch die Möglichkeit geben, Ausstattung und Geräte zu übernehmen und die Praxis somit auch als Eigentümer zu führen.
Genossenschaft Zahnarztpraxis vor Ort eG
Die im Spätsommer gegründete Genossenschaft Zahnarztpraxis vor Ort eG (ZvO) bietet jungen Zahnärzten ebenfalls eine neue Form der Berufsausübung zwischen dem klassischen Angestelltenverhältnis und der Niederlassung in eigener Praxis. Die ZvO inegriert bestehende Praxen in ihre Struktur und übernimmt das wirtschaftliche Risiko. Die Idee folgt dem Genossenschaftsgedanken: Jedes Mitglied bringt Eigenkapital als Gesellschafter in die Struktur ein – „von Zahnärzten für Zahnärzte“. Unabhängig von der Höhe der Einlage hat jedes Mitglied nur eine Stimme, so dass eine Einflussverschiebung zugunsten Einzelner sicher vermieden wird. Finanzbedarf, der über das Eigenkapital hinausgeht, wird klassisch durch Banken finanziert.
Für die Anstellung der Kollegen will die ZvO eG je Standort ein Z-MVZ gründen. Geplant ist, die bewährten Mitarbeiter der Praxen zu übernehmen. Ein Expertenteam der Genossenschaft soll die angestellten Zahnärzte und Mitarbeiter fachlich begleiten.
Das Modell will die Vorteile der angestellten Tätigkeit (weitgehende Freiheit vor bürokratischen Belastungen, Zeit für fachliche Entwicklung und Erfahrung, kein eigenes finanzielles Risiko, Möglichkeit des Stellenwechsels und der Teilzeitbeschäftigung mit erfahrenen, leicht erreichbaren zahnärztlichen Beratern im Hintergrund) und die der eigenen Niederlassung (Führung einer Praxis als zahnärztlich Verantwortlicher mit eigenem Team, Entwicklung und Umsetzung von eigenen Behandlungskonzepten, Führung und Begleitung von Patienten über alle Behandlungsabschnitte) zusammenbringen.
Geht das Projekt über eine reine Kundenbindungsmaßnahme hinaus?
Für unsere Kunden sind wir schon längst mehr als ein reiner Anbieter von Finanzdienstleistungen. Wir wissen, dass sie sich stärker auf das konzentrieren möchten, was ihnen wirklich wichtig ist: auf ihre heilberufliche Tätigkeit. Dabei wollen wir sie unterstützen, unser großes Netzwerk und Know-how künftig noch stärker für sie einsetzen und unsere Kenntnisse systematischer und ertragswirksamer anbieten.
Perspektivisch wollen wir ein zentraler Spieler im Ökosystem werden, der sich für einen leistungsfähigen Gesundheitsmarkt engagiert und neue Lösungen für Heilberufler entwickelt. So ist auch unser Anspruch „Wir ermöglichen Gesundheit“ zu verstehen.
Die Fragen stellte Stefan Grande.