Der Zahnarztbesuch als Manifestation des Unglücks
Für die einen ist er mit Karl Marx der Vorkämpfer für die Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse, für die anderen ein revolutionäres Schreckgespenst, das posthum für die missglückten sozialistisch-kommunistischen Experimente des 20. Jahrhunderts mitverantwortlich gemacht wird.
Engels wurde als Sohn des Baumwollfabrikanten Friedrich Engels und seiner Frau Elisabeth, geborene van Haar, als ältestes von neun Kindern in Barmen, heute ein Stadteil Wuppertals, geboren. Bis 1869 vertrat er die Firma Ermen & Engels in Manchester. Zeitlebens musste er sich keine finanziellen Sorgen machen – Marx hielt er jahrelang mit dem Geld aus der Firma über Wasser. Trotz seiner privilegierten Herkunft hatte er offene Augen für die unhaltbaren Zustände der Arbeiterklasse, wie er sie hautnah in England zu sehen bekam. In der Rheinischen Zeitung schrieb er gegen die zunehmende Repression in Preußen an. In der Redaktion lernte er im November 1842 Karl Marx (1818–1883) kennen. 1845 veröffentlichte er seine „Elberfelder Reden“, und schrieb mit Marx am „Kommunistischen Manifest“. Als Marx 1883 starb, veröffentlichte er dessen Nachlass. Engels führte seine zahlreiche Korrespondenz neben Deutsch auch in Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Serbisch, Rumänisch und Latein.
Er wollte keine jefühlvolle Tochter aus der Bourgeoisie
Trotz seiner Leidenschaft für Frauen, blieb Engels über viele Jahre zwei Schwestern treu. Zunächst lebte er mit der irischen Baumwollspinnerin und Nationalistin Mary Burns (1821–1863) zusammen. Sie war mehr als nur die Frau an seiner Seite; durch sie erhielt er Zugang zur Arbeiterklasse der britischen Metropole Manchester. Unter diesen Eindrücken entstand 1845 der berühmte Sozialbericht „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“. Nach Marys Tod 1863 nahm ihre Schwester Lydia Burns (1827–1878), genannt Lizzy, den Platz an Engels Seite ein. Über seine Frau Lizzy sagte Engels: „Meine Frau war echtes irisches Proletarierblut, und das leidenschaftliche Gefühl für ihre Klasse, das ihr angeboren war, war mir unendlich mehr wert und hat mir in allen kritischen Momenten stärker beigestanden, als alle Schöngeisterei und Klugtuerei der „jebildeten“ und „jefühlvollen“ Bourgeoistöchter gekonnt hätten“ [Bleuel, 1984]. Mit ihr lebte er noch 15 Jahre zusammen; einen Tag vor ihrem Tod heiratete er sie.
Engels genoss das gute Leben, er nahm an Jagden der Upper Class teil, machte Sport, liebte aber auch guten Wein und rauchte. 1877 charakterisiert Jenny Marx (1814–1881) Friedrich Engels in einem Brief so: „Er ist stets gesund, frisch, lustig und guter Dinge, und sein Bier [...] mundet ihm köstlich“ [Engels, 1982].
Als passionierter Weinliebhaber weisen ihn folgende Worte aus dem Jahr 1882 aus: „Im Waadtland gibt es einen vortrefflichen Wein, Ivorne, der, namentlich alt, sehr zu empfehlen. Dann trinkt man roten Neuchâteller, Cortaillod, der etwas schäumt, der Schaum bildet einen Stern mitten im Glase; auch recht gut. Endlich Veltliner (Valtellina), der beste Wein in der Schweiz. Daneben war zu meiner Zeit der petit Bourgogne und Macon und Beaujolais recht gut und teuer“ [Engels, 1982].
Zur Rechtfertigung seiner Leidenschaft schrieb er Julie Bebel, der Frau von August Bebel, dem Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie, einmal: „Ich freue mich, daß ich diese jugendlichen Torheiten noch so mitmachen kann, man wird doch schließlich an so vielen Ecken und Enden alt, daß man wahrhaftig froh sein kann, wenn einem das Lachen noch nicht abhanden gekommen ist“ [Engels, 1982]. Aber das Alter forderte schließlich seinen Tribut: 1892 hindert ihn sein Alkoholkonsum eine Reise nach Deutschland anzutreten und Engels musste sich vier Wochen ausruhen und abstinent leben. Die Trinkfreudigkeit und das Rauchen dürften auch zu seinem Krebs von Oesophagus und Larynx beigetragen haben, an dem er am 5. August 1895 in London verstarb.
Ein weiteres Leiden von Engels war Rheumatismus, der bei ihm den rechten Arm und drei Finger der rechten Hand befallen hatte. Besonders beeinträchtigte ihn ein Augenleiden beim Arbeiten. Ende der 1880er-Jahre schrieb er in zahlreichen Briefen, dass er durch das Leiden lange Zeit nicht mehr als zwei Stunden hatte arbeiten können [MEGA II/ 14]. Im Januar 1889 schrieb Engels an den sozialdemokratischen Politiker Karl Kautsky: „Ich sehe voraus, daß ich günstigstenfalls noch sehr lange meine Augen werde schonen müssen, um wieder in Ordnung zu kommen. Damit ist wenigstens auf Jahre hinaus die Möglichkeit ausgeschlossen, daß ich selbst das Manuskript des IV. Buchs ‚Kapital‘ jemanden diktiere“ [Engels, 1982].
„Mit den scheußlichsten Zahnschmerzen geplagt“
Der starke Alkoholkonsum und das Rauchen waren der Zahngesundheit nicht förderlich. In zahlreichen Briefen berichtet Engels immer wieder von schrecklichen Zahnschmerzen, die ihn von seiner Arbeit abgehalten haben. Wie er die Zunft der Zahnärzte sah, zeigt ein englisch verfasster Eintrag für ein Album von Marx Tochter Jenny von 1868:
„Auffassung vom Glück – Château Margaux 1848 = ein Rotwein, zugleich Wiederkehr der Revolution“ „Auffassung vom Unglück – zum Zahnarzt gehen zu müssen“
Ein Fahndungssteckbrief aus dem Jahr 1848 benennt neben biografischen und körperlichen Merkmalen auch den Zahnstatus des jungen Engels, „Zähne: gut“ [Bleuel, 1984].
Im Januar 1851 schrieb Engels von Manchester an Marx in London: „[Ich] habe mit dem Proudhon noch weiter nichts anfangen können, weil ich seit 4 Tagen mit den scheußlichsten Zahnschmerzen geplagt gewesen bin, die mich total unfähig machten, irgend etwas zu tun.“ Die Zahnschmerzen hinderten ihn, die neueste Publikation des französischen Sozialisten Pierre Joseph Proudhon (1809–1865) durchzuarbeiten. Wie Engels seiner Schwester Marie Blank im Dezember des Jahres mitteilte, wurde er erneut von „so fatale[n] Zahnschmerzen“ heimgesucht.
Im Mai 1857 schlägt das Zahnleiden erneut zu: „Jedenfalls bin ich seit 4 Wochen mit meinem Gesicht in einem fort beschäftigt gewesen, erst Zahnschmerzen, dann geschwollene Backe, dann wieder Zahnschmerzen, jetzt endlich die Blüte des Ganzen in einer Furunkel.“ Marx rät Engels: „Wegen des Zahnwehs rate ich Dir, zu demselben Mittel die Zuflucht zu nehmen wie ich nach anderthalbjährlichem Bedenken. Den Schuft auszuziehen. Ich glaubte immer, mein Zahnweh sei rheumatisch.“
Gegenüber Marx Frau Jenny muss Engels im April 1858 zum wiederholten Mal um Nachsicht bitten, denn: „Ich habe auch vorige Woche an Zahnschmerzen laboriert, die mich seit Sonntag verlassen hatten, heute abend aber mit wachsender Heftigkeit zurückgekommen sind“. Vereinbart war, dass Engels für Marx einen Beitrag in der „New York Tribune“ verfassen sollten, den Jenny dann abschreiben und der dann unter Marx Namen erscheinen sollte.
Im Dezember 1867 – Marx erster Band des „Kapitals“ war zuvor herausgekommen– musste sich Engels erneut entschuldigen: „Würde ich Ihnen bereits jetzt diverse Artikel geschickt haben, wenn ich nicht Sonntag von einer Zahnschmerz-Grippen-Halsentzündung mit obligatem Fieber befallen worden wäre, die mich aufs Sofa warf.“ Engels wollte eigentlich anonym Rezensionen zum „Kapital“ Band eins verfassen, die dann der Hannoveraner Gynäkologe Ludwig Kugelmann (1828–1902) an Zeitungen verschicken sollte.
Kurz vor seinem Tod gibt Engels selbst in einem Brief von 12. April 1895 an seinen Bruder Hermann Engels Auskunft über seinen Zahnstatus: „Vorigen Montag hab‘ ich zum erstenmal in meinem Leben einem Zahnarzt 10/6 d. bezahlt dafür, daß er mir zwei alte Stummeln herausgenommen hat. Jetzt hab‘ ich nur noch 17 Zähne, alle vorne, soweit komplett, aber nichts dahinter. Werde doch vielleicht ein Gebiß einlegen müssen!“
Kay Lutze
Historiker, M.A.
Ab dem 28. November wird das Museum Industriekultur Engelshaus in Wuppertal-Barmen nach seiner Renovierung wieder zu besichtigen sein: Engelsstr. 10, 42283 Wuppertal <link url="https://www.mik-wuppertal.de/museum/mik-engels-haus" import_url="https://www.mik-wuppertal.de/museum/mik-engels-haus - external-link-new-window" follow="follow" seo-title="" target="new-window">www.mik-wuppertal.de/museum/mik-engels-haus
Literaturliste
1. Bleuel, Hans Peter, Friedrich Engels, Bürger und Revolutionär, München 1984.
2. Friedrich Engels, hrsg. von Kurt Kusenberg, Rowohlt, Reinbeck 1982.
3. MEGA II/ 14