Ernst Hausmann – Zahnarzt in Frankfurt, Jahre auf der Flucht, Exil in Argentinien
Ernst Josef Hausmann wurde am 12. Juli 1906 als Sohn eines Kaufmanns in Mannheim in eine jüdische Familie geboren. 1925 erwarb er das Reifezeugnis und war zunächst ebenfalls kaufmännisch tätig. Zum Wintersemester 1928/29 begann Hausmann sein zahnmedizinisches Studium in Heidelberg, wo er im Frühjahr 1930 das Physikum bestand.1 Die klinischen Semester absolvierte er – wie für die Zeit üblich – an verschiedenen Studienorten: Hamburg, Leipzig und zuletzt Frankfurt am Main.2 Dort erhielt er im Frühjahr 1932 die zahnärztliche Approbation.3
Täter und Verfolgte
Die Reihe „Zahnärzte als Täter und Verfolgte im ‚Dritten Reich‘“ lief das gesamte Kalenderjahr 2020. In der zm 23-24/2020 gibt es einen Abschlussbericht.
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Direkt im Anschluss widmete sich Hausmann seiner tierexperimentellen Doktorarbeit mit dem Titel „Über die Beeinflussung der Antikörperbildung bei Kaninchen durch vegetativ-neurotrope Gifte“. Betreut wurde die Arbeit von Bernhard Fischer-Wasels (1877–1941), Direktor des Senckenbergischen Pathologischen Instituts zu Frankfurt, der insbesondere wegen seiner Arbeiten auf dem Gebiet der petrochemischen Karzinogenese als ein führender Tumorforscher seiner Zeit galt.4 Auch wenn in einer neueren Forschungsarbeit Fischer-Wasels „autoritär-elitäre und antidemokratische Haltung“ schon vor 1933 betont wird,5 scheint dies nicht mit einem ausgeprägten Antisemitismus verbunden gewesen zu sein. Hausmann verteidigte seine Dissertation im Januar 1933 und konnte die Arbeit unter der Rubrik „Beiträge zur pathologischen Physiologie der Entzündung“ in der von Fischer-Wasels herausgegebenen Frankfurter Zeitschrift für Pathologie im gleichen Jahr veröffentlichen.6
Der kurze Traum einer Hochschulkarriere
Parallel zu seiner Doktorandentätigkeit im Senckenbergischen Pathologischen Institut arbeitete Hausmann ab Juni 1932 als unbezahlter Assistent am zahnärztlichen Institut der Frankfurter Universität, sowohl in der Abteilung für konservierende Zahnheilkunde (Prof. Erich Feiler) als auch in der chirurgischen Abteilung (Prof. Otto Loos). Das Wirken des späteren Reichsdozentenführers Otto Loos (1871–1936) an dem aus der Freiherr Carl von Rothschild‘schen Stiftung Carolinum hervorgegangenen „Zahnärztlichen Universitäts-Institut“ ist seit den 1980er-Jahren kontrovers diskutiert worden, ohne allerdings nachhaltigen Einfluss auf die universitäre Erinnerungskultur ausgeübt zu haben.7 Mehrere zahnmedizinische Dissertationen zur Geschichte des Instituts blenden auch die Verdrängung jüdischer Wissenschaftler nach 1933 weitgehend aus.8
In einer Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum der Stiftung von 1990, die das Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum) der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, auch aktuell im Volltext als Referenz zu seiner Geschichte angibt,9 fand lediglich das prominenteste Opfer der nationalsozialistischen Vertreibung unter den Zahnärzten an der Frankfurter Universität, Hausmanns zweiter Chef Erich Feiler (1882–1940), Erwähnung.10 Feiler war als Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg zunächst nicht entlassen worden, musste dann 1934 aber doch seine Zwangsemeritierung hinnehmen. Er emigrierte 1935 nach Großbritannien, konnte dort seine wissenschaftliche Laufbahn – anders als der in dieser Reihe vorgestellte Hans Türkheim11 – nicht fortsetzen12 und wurde zunächst auch in nicht ins britische Zahnärzteregister aufgenommen.13
Im Jahr 1958 hatte Hausmann eine eidesstattliche Erklärung als Beweismittel zu den von ihm geltend gemachten Ansprüchen nach dem „Bundesgesetz zur Wiedergutmachung im öffentlichen Dienst“14 und dem „Bundesentschädigungsgesetz“15 abgeben müssen. Hierin schildert er das Ende seiner kurzen akademischen Laufbahn: „Am 31. März 1933 wurden die jüdischen Assistenten des Instituts von Herrn Prof. Dr. Winkler, dem Vertreter des Direktors, zu sich gebeten und aufgefordert, am folgenden Tag, dem 1. April 1933 im Interesse ihrer eigenen Sicherheit nicht zu erscheinen. Eine im Anschluss [danach] mit den Prof. Drs. Loos und Feiler geführte Unterredung liess die weitere Ausübung meiner Assistententätigkeit nicht mehr zweckdienlich erscheinen. Dazu kommt auch, dass die Stimmung am zahnärztlichen Institut für Juden sehr unerfreulich war. Da ich bis zu diesem Zeitpunkt ad honorem arbeitete und nach meinen Informationen eine Möglichkeit für die Dozentenlaufbahn in Deutschland nicht mehr gegeben war, setzte ich meine Assistententätigkeit nach dem 1. April nicht mehr fort.“16
Im Exil auf der Suche nach beruflichen Perspektiven
Da er auch keine Möglichkeiten einer Niederlassung sah, verließ Hausmann nur wenig später, am 20. April 1933, Frankfurt in Richtung Frankreich. Durch zunächst weniger restriktive Visaregelungen gehörte Frankreich 1933 zu den wichtigsten europäischen Aufnahmeländern für jüdische, aber auch für politische Flüchtlinge. Als Arzt oder Zahnarzt zu arbeiten war ohne ein erneutes Studium allerdings unmöglich. In einer 1933 in den Zahnärztlichen Mitteilungen veröffentlichten Notiz wurde das französische „Gesetz über Ausübung des zahnärztlichen Berufs vom 21. April 1933“ zitiert, nach dem ausländischen Studenten, „die die Erlangung des Zahnarzt-Diploms betreiben [...] kein Examen und kein Teil ihrer Studienzeit [...] erlassen [wird], wie lange sie auch immer im Auslande studiert haben mögen“.17 Hausmann ging schon im August 1933 nach Spanien, konnte sich aber auch dort durch Gelegenheitsarbeiten nur „einen kargen Lebensunterhalt verdienen“.18 In Barcelona heiratete er im Oktober 1934 Ilse Heilborn, die wiederum als Hausangestellte arbeitete.
In der Hoffnung auf eine berufliche Perspektive traten die Hausmanns im Februar 1936 die Reise nach Palästina an. Mit Großbritannien und den USA gehörte das damals britische Mandatsgebiet zu den drei wichtigsten Emigrationszielen von Zahnärzten. Auch wenn hier lediglich die Erteilung einer Lizenz zur Berufsausübung und kein neues Studium notwendig war, unterlag die Einwanderung halbjährlich festgelegten Quoten, die abhängig von Beruf, Vermögen und Herkunftsland waren.19 Ernst und Ilse Hausmann waren allerdings mit einem Touristenvisum eingereist und ihre vage Hoffnung auf eine „Erlaubnis für einen Daueraufenthalt“ erfüllte sich nicht. In der Zwischenzeit war in Spanien, wo sie noch eine Aufenthaltsgenehmigung besaßen, der Bürgerkrieg ausgebrochen, so dass die Eheleute zurück nach Deutschland gingen, um von hier aus die Auswanderung zu organisieren. Bis März 1937 waren sie in Berlin, dann erhielten sie das ersehnte Touristenvisum für Paraguay verbunden mit einem Transitvisum für Argentinien. Am 20. März schifften sich die Hausmanns in Genua an Bord des französischen Dampfers Florida ein und kamen am 9. April in Buenos Aires an.20
Hausmann gibt ihn seiner „Schilderung des Verfolgungsvorgangs“ keine Hinweise auf seine Beweggründe für das Auswanderungsziel Südamerika. Wie viele andere nutzen die Hausmanns das Transitvisum zur illegalen Einwanderung nach Argentinien, das Mitte der 1930er-Jahre trotz der starken faschistischen Bewegung innerhalb des Landes zu einem der wichtigsten Fluchtziele für europäische Juden in Lateinamerika wurde.21 Von den mindestens 50 Zahnärzten und Dentisten, die nach Mittel- und Südamerika flohen, siedelten sich etwa ein Drittel in Argentinien an, obwohl die grundsätzlich eher günstigen Arbeits- und Lebensbedingungen sich für die Zahnärzte unter ihnen durch strenge Zulassungsbedingungen stark relativierten.22 Hausmann, der sich nun Ernesto nannte, musste zunächst sogar das argentinische Abitur erwerben, um dann ein erneutes Studium der Zahnmedizin aufzunehmen, das er schließlich im Oktober 1953 erfolgreich abschließen konnte, 20 Jahre nach seiner Approbation in Frankfurt. Hausmanns Ehefrau war im Januar desselben Jahres verstorben: „Sie hat die ganzen Jahre ununterbrochen gearbeitet [...] auch weil sie mir bei meinem neuerlichen zahnärztlichen Studium helfen wollte.“23
Ein Verfolgter mit verblassten Spuren
Dokumentiert ist Hausmanns beruflicher Lebensweg als Zahnarzt auf der Flucht einzig in seiner Entschädigungsakte. Erst sie macht ihn als verfolgten Zahnarzt erkennbar, da er im Deutschen Zahnärztebuch von 1932/33 nicht verzeichnet ist, daher auch nicht in einer der nächsten Ausgaben „verschwinden“ und so als potenziell verfolgt gekennzeichnet werden konnte. Eine ganze Reihe von approbierten, aber unmittelbar danach emigrierten Zahnärztinnen und Zahnärzten sind daher nur mithilfe von Datenbanken zu verfolgten Studierenden aufzuspüren. Hausmann hatte zugleich keine Gelegenheit sich wirtschaftlichen Wohlstand zu erarbeiten. Seine Ansprüche auf Entschädigung laut „Bundesentschädigungsgesetz“ umfassten daher vor allem den sogenannten „Schaden im beruflichen Fortkommen“. Das Verfahren erstreckte sich dennoch über einen Zeitraum von fünf Jahren. Nach einer ersten Abschlagzahlung im Jahr 195624 erhielt Hausmann die Höchstsumme von insgesamt 40.000 Mark, trotz unmittelbar nachgereichtem detaillierten Nachweis seiner Einkünfte aus den Jahren 1937–195525 erst drei Jahre später.26
Ernst Hausmann gehört zu den verfolgten Zahnärzten im Nationalsozialismus, zu denen relativ wenige Quellen überliefert sind. Dies liegt aber keineswegs daran, dass sein Leben nicht bewegt gewesen wäre. Die versuchte Emigration über mehrere Stationen – Frankreich, Spanien, Palästina, schließlich Argentinien – sowie das erneute Studium dort und der Erfolg, nach 20 Jahren wieder als Zahnarzt arbeiten zu können, sind große Lebensleistungen. Vielmehr ist allgemein zu beobachten, dass die Quellenlage zu verfolgten Personen häufig schwieriger ist als zu denjenigen, die in den 1930er- und 1940er-Jahren in Deutschland bleiben und hier Karriere machen konnten. Umso wichtiger ist es, auch an Ernst Hausmann zu erinnern.
Dr. Matthis Krischel
Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin
Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf
matthis.krischel@hhu.de
Fußnoten:
1 Hausmann: Lebenslauf, in: Hausmann, 1933;
2 Laut Anmeldekarte war Hausmann vom 10.04.1931 bis zum 07.04.1933 als Student der Zahnmedizin an der Universität Frankfurt eingeschrieben. Am 10.11.1932 beantragte er eine Beurlaubung für das Wintersemester 1932/33 zur Anfertigung seiner Dissertation, in: Universitätsarchiv Frankfurt (UAF) Abt. 604, Nr. 6514;
3 Hausmann: Lebenslauf, in: Hausmann, 1933;
4 Demeter, 1991;
5 Kreft, 2008, S. 125–156, hier: S. 134;
6 Hausmann, 1933, 431–451;
7 Groß, in: Zahnärztliche Mitteilungen 3/2020, 148–150;
8 Bald-Duch, 1977; Roeloffs-Nuthmann, 1991;
9 Carolinum Zahnärztliches Universitäts-Institut gGmbH der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main:// www.uni-frankfurt.de/71289936/SwitchPage_71289936 [02.10.2020] ;
10 Windecker, 1990, S. 49–50;
11 Krischel/Hohmann/Halling, in: Zahnärztliche Mitteilungen 5/2020, 440–442;
12 Feiler, 2006, S. 256;
13 Zamet, 2007, S. 277;
14 Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes (BWGöD) vom 11.05.1951 (Bundesgesetzblatt Jahrgang 1951 Teil I Nr. 21, ausgegeben am 12.05.1951, Seite 291);
15 Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) vom 18.09.1953 (Bundesgesetzblatt Jahrgang 1953 Teil I Nr. 62, ausgegeben am 21.09.1953, Seite 1387; zuletzt geändert durch Artikel 10 G. v. 12.12.2019 BGBl. I S. 2652);
16 Dr. Ernesto Hausmann, Eidesstattliche Erklärung, Buenos Aires, 3. März 1958, in: Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HStAW) Best. 518 Nr. 14000, Bl. 52;
17 Zahnärztliche Mitteilungen 41 (1933), S. 1159;
18 Dr. Ernst Hausmann, Schilderung des Verfolgungsvorgangs, Buenos Aires, 26. Januar 1956, in: HStAW Best. 518 Nr. 14000, Bl. 15;
19 Sonino, 2016;
20 Dr. Ernst Hausmann, Schilderung des Verfolgungsvorgangs, Buenos Aires, 26. Januar 1956, in: HHStAW Best. 518 Nr. 14000, Bl. 16;
21 Schwarcz, 2015, S. 396–409;
22 Depmer, 1993, S. 71;
23 Dr. Ernst Hausmann, Schilderung des Verfolgungsvorgangs, Buenos Aires, 26. Januar 1956, in: HHStAW Best. 518 Nr. 14000, Bl. 16;
24 Bescheid der Entschädigungsbehörde vom 12.09.1956, in: HHStAW Best. 518 Nr. 14000, Bl. 38;
2 Eidesstattliche Versicherung vom 03.10.1956, in: HHStAW Best. 518 Nr. 14000, Bl. 48;
26 Bescheid der Entschädigungsbehörde vom 09.04.1959, in: HHStAW Best. 518 Nr. 14000, Bl. 56.