zm-Serie: Täter und Verfolgte im „Dritten Reich“

Hermann Pook – der einzige in Nürnberg angeklagte Zahnarzt

Dominik Groß, Thorsten Halling, Matthis Krischel
Vom Herbst 1945 bis zum Frühjahr 1949 fanden insgesamt zwölf „Nürnberger Prozesse“ statt. Unter den dort angeklagten 185 NS-Kriegsverbrechern befand sich ein Zahnarzt: Hermann Pook, Vorgesetzter der Zahnärzte in den Konzentrationslagern. Er wurde am 3. November 1947 zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Wer war dieser Mann, wie verlief sein Leben vor und nach dem Urteil und inwieweit handelte es sich aus zahnärztlicher Sicht um einen Einzeltäter?

Hermann Friedrich Pook kam am 1. Mai 1901 in Berlin zur Welt.1-2 Er war der Sohn des evangelischen Dentisten Friedrich Pook und dessen Ehefrau Klara, geborene Litzenberg. Pook besuchte das Real-Gymnasium in Berlin-Lichterfelde, das er mit dem Abitur abschloss. 1921 konnte er sich – ebenfalls in Berlin – für das Studienfach der Zahnheilkunde einschreiben. 1925 legte er das zahnärztliche Staatsexamen ab. Noch im selben Jahr wurde er approbiert, und zwei Jahre später konnte er zum Dr. med. dent. promovieren. Besagte Promotionsmöglichkeit bestand erst seit 1919. In seiner Dissertation referierte er „Über die Kombination von Missbildungen der Mundbucht mit anderen“.

Pook gehörte zu den vielen Zahnbehandlern seiner Zeit, die in die Praxis ihres Vaters eintraten – ein Phänomen, das in der Sozialgeschichte als „intergenerationelle Berufsvererbung“3 angesprochen wird. Die Gemeinschaftspraxis von Vater und Sohn lag in der Undinestraße 7 in Berlin-Lichterfelde. Sie war den zeitgenössischen Quellen zufolge sehr stark frequentiert, so dass Pook ein gutes Auskommen hatte.

Pook verlobte sich 1923 mit Ilse Schwarz; 1927 folgte die Heirat. Schwarz war die Tochter eines Regierungs-Oberinspektors und galt somit durchaus als „gute Partie“. Das Ehepaar bezog eine Wohnung über der Praxis; hier kam 1936 auch der gemeinsame Sohn Holger zur Welt, der später ebenfalls den Beruf des Zahnarztes ergreifen sollte.

Pook gehörte keineswegs zu den „alten Kämpfern“: So nannte man NSDAP-Mitglieder, die der Partei bereits vor der Machtübernahme Hitlers im Januar 1933 beigetreten waren und eine Mitgliedsnummer unter 300.000 führten. Er ist dagegen den zahlreichen Deutschen zuzurechnen, die unmittelbar nach dem politischen Machtwechsel die Aufnahme in die NSDAP beantragten.4 Aufgenommen wurde er am 1. Mai 1933, er erhielt die Parteinummer 2.645.140.

Während das Eintrittsdatum somit nicht unbedingt auf eine frühe ideologische Nähe zum Nationalsozialismus schließen lässt, deuten Pooks weitere Schritte auf eine zunehmende Identifikation mit den Zielen des NS-Regimes: Im Juni 1933 trat er in die SS ein und wurde Mitglied des 2. Reitersturms der SS-Reiterstandarte 6. Pook bewährte sich rasch, absolvierte regelmäßig Fortbildungen und wurde unter anderem in der Sanitätsstaffel des Sicherheitsdienst-Hauptamtes eingesetzt. Im April 1938 trat Pook aus der Kirche aus und bekannte sich „gottgläubig“ – eine spezifische Bezeichnung für Nationalsozialisten, die sich von der Institution der Kirche abwandten, jedoch nicht glaubenslos waren. Besagter Kirchenaustritt war Bedingung für die Übernahme in die höheren Dienstränge der SS.

Totale Identifikation mit dem NS-System

Nun nahm Pooks SS-Karriere Fahrt auf: Er arrivierte zum SS-Obersturmführer, SS-Hauptsturmführer und im Sommer 1941 zum SS-Sturmbannführer. Gleichzeitig trat er in den hauptamtlichen SS-Dienst ein. Vom April 1942 bis zum Februar 1943 war er „Leitender Zahnarzt“ der SS-Zahnstation in Berlin, anschließend Divisionszahnarzt bei der 9. SS-Panzer-Division „Hohenstaufen“, die in Frankreich und Belgien aufgestellt wurde.

Doch bereits im September 1943 wurde er ins „SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt“ (WVHA) überstellt – seine höchste Karriereposition: Hier wirkte er bis Mai 1945 im Amt D III. Dem WVHA, das von SS-Obergruppenführer Oswald Pohl geleitet wurde, unterstand das gesamte Konzentrationslagerwesen; es war somit die zentrale Instanz bei der Durchführung des Holocaust. Das Amt D III war hierbei für alle medizinischen Belange der Konzentrationslager verantwortlich; es wurde von dem Arzt Dr. Enno Lolling (1888–1945) geleitet. Pook wiederum fungierte in jenem Amt als leitender Zahnarzt und trug damit die Verantwortung für alle KZ-Zahnärzte und alle zahnmedizinischen Belange in den KZs. Ihm oblag die Prüfung der Abrechnungen und der Materialbestellungen der jeweiligen Lagerzahnärzte. In seiner Funktion hatte er zudem genaue Informationen über den in allen Konzentrationslagern praktizierten „Zahngoldraub“5: Hierbei brachen Häftlingszahnärzte auf Befehl und unter Aufsicht der KZ-Zahnärzte Zahngold aus den Kiefern der ermordeten KZ-Insassen; daneben hatten die Zahnärzte in den KZs die Einschmelzung des Zahngolds und dessen Aufbewahrung bis zur Ablieferung sicherzustellen. Zudem inspizierte Pook die Konzentrationslager beziehungsweise die dortigen Zahnstationen; auf diese Weise lernte er nachweislich KZ-Zahnärzte wie zum Beispiel Willi Frank6 und Willi Schatz7 kennen.

Die beschriebenen Funktionen Pooks waren maßgeblich dafür, dass er sich nach 1945 vor Gericht verantworten musste: Am 8. April 1947 eröffnete der US-amerikanische zweite Militärgerichtshof den vierten Nürnberger Nachfolgeprozess gegen den WVHA-Chef Oswald Pohl und 17 weitere leitende Mitarbeiter, darunter auch Pook.8-9 Den Angeklagten wurden unter anderem die Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Nicht alle Verantwortlichen konnten zur Rechenschaft gezogen werden: Richard Glücks, Chef der Amtsgruppe D, sowie Pooks unmittelbarer Vorgesetzter Lolling hatten sich nach Kriegsende suizidiert.

Pook schob alle Verantwortung von sich und macht für die meisten Anklagepunkte Lolling verantwortlich. Er skizzierte sich selbst als Befehlsempfänger, beschrieb seine Tätigkeit im WVHA weitgehend als bloßen „Bürodienst“ und gab an, keine Kommandogewalt besessen und von den Ereignissen in den Vernichtungslagern nichts gewusst zu haben. Seine Meldung zur Waffen-SS deutete er (nachweislich falsch) zu einer Einberufung in die Wehrmacht um, die ihn dann der SS zugeteilt habe. Nur sporadisch sei er mit Lolling auf eine KZ-Inspektionsreise gegangen. Dabei habe er sich auf die Besichtigung der jeweiligen SS-Zahnstationen beschränkt, die in der Regel direkt am Eingang der KZs gelegen hätten; den Rest der Lager habe er somit nicht gesehen, so dass er von den dortigen Vorgängen – und folglich auch von der Massenvernichtung von KZ-Häftlingen – keine Kenntnis erhalten habe. Das Wissen um den „Zahngoldraub“ konnte Pook allerdings nicht leugnen, da entsprechende Berichte über seinen Schreibtisch gingen, in denen auch die jeweils gesammelte Goldmenge verzeichnet wurde.

Dass das Gericht der Verteidigungsstrategie Pooks nur sehr begrenzt folgte, zeigte sich am 3. November 1947: An jenem Tag wurde Pook zu zehn Jahren Gefängnis in der Haftanstalt in Landsberg verurteilt. Seine Verteidiger erhoben umgehend Einspruch, der jedoch abgewiesen wurde.

Begnadigung und Fortsetzung der beruflichen Laufbahn

Doch Pook wurde Ende Januar 1951 begnadigt und verließ das Gefängnis am 1. Februar 1951. Da er bereits verurteilt worden war, konnte er in der Bundesrepublik nicht weiter juristisch belangt werden.

In der Folgezeit gelang es Pook, seine berufliche Laufbahn als Zahnarzt fortzusetzen: Er eröffnete im norddeutschen Hemmingstedt eine Praxis. Zudem ist dokumentiert, dass er um 1955 einen Antrag auf Entschädigung als Kriegsgefangener stellte. Anfang der 1960er-Jahre wurde er dann ein letztes Mal mit seiner Vergangenheit konfrontiert: Im „1. Frankfurter Auschwitz-Prozess Strafsache gegen Mulka u. a.“ musste er nochmals eine Aussage machen – nunmehr allerdings als Zeuge.

Seit 1970 war Pook dann in Itzehoe wohnhaft; hier war er für eine kurze Zeit noch zusammen mit seinem Sohn Holger als Zahnarzt tätig.10 Er verstarb am 31. Oktober 1983 in Glückstadt.

Fazit

Pooks Lebenslauf ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert:

  • Er fand erst nach Hitlers Machtergreifung zur NSDAP und zur SS, gelangte aber dennoch in leitende Positionen und trug dort eine Mitverantwortung an den Verbrechen in den Konzentrationslagern.

  • Pook war zu keinem Zeitpunkt zur kritischen Selbstreflektion bereit; seine Aussagen im Nürnberger Prozess zeugen vielmehr von fehlendem Unrechtsbewusstsein. Diese Haltung teilte er mit vielen NS-Tätern.11

  • Pook gelang es nach seiner Entlassung, seine Laufbahn als niedergelassener Zahnarzt fortzusetzen; auch dies trifft für das Gros der verurteilten Zahnärzte zu.11

  • Pook war einer von bisher 305 nachgewiesenen Zahnärzten in der Waffen-SS; weitere waren der frühere DGZMK-Präsident Gerhard Steinhardt12und der in den Tod der Goebbels-Kinder verstrickte Helmut Kunz13.

  • Für die Zahnärzteschaft der Nachkriegszeit hatte der Fall Pook durchaus Signalwirkung: Die Tatsache, dass Pook der einzige angeklagte Zahnarzt in den Nürnberger Prozessen war, schien für die „Einzeltätertheorie“ zu sprechen. Heute wissen wir es besser: Zwischenzeitlich konnten 48 Zahnärzte identifiziert werden, die von alliierten oder bundesdeutschen Gerichten angeklagt und verurteilt wurden – hiervon erhielten nicht weniger als 15 die Todesstrafe.14

Prof. Dr. Dr. Dr. Dominik Groß, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen,​ Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen​ MIT I,Wendlingweg 2, 52074 Aachen ​dgross@ukaachen.de

1-2 Schmidt et al., 2018; Bundesarchiv Berlin;

3 Groß, 1999

4 Bundesarchiv Berlin; Karteikarte in NSDAP-Zentralkartei;

5 Westemeier et al., 2018;

6 Huber, 2009;

7 Schwanke/Groß, 2020;

8-9 Schulte, 2013; Bundesarchiv Koblenz

10 Deutsches Zahnärztliches Adressbuch, 1971,

11 Groß, 2018,

12 Groß/Schäfer, 2009,

13 Heit et al., 2019,

14 Rinnen et al., 2020

Dominik Groß, Thorsten Halling, Matthis Krischel

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