„Konzepte im Wettstreit“
"Konzepte im Wettstreit“ – mit dieser Überschrift stand der diesjährige DGI-Jahreskongress ganz im Zeichen des wissenschaftlich-klinischen Disputs. Dabei sollte es den Tagungspräsidenten Prof. Frank Schwarz, Frankfurt, und Prof. Florian Beuer, Berlin, zufolge gar nicht um „den schönsten Fall“ oder einen „Krieg der Studien“ gehen, sondern „um Argumente, Fakten und Informationen, warum eine Kollegin oder ein Kollege auf ein bestimmtes Konzept in der täglichen Praxis setzt“. In diesem Sinne bot das zweitägige Hauptprogramm insgesamt sieben Sessions, in denen unterschiedliche Konzepte zu den wichtigsten Themenbereichen der Implantologie – von der Planung über Implantatmaterialien bis hin zur Periimplantitis – präsentiert wurden.
Zum Auftakt des Kongresses skizzierte Prof. Robert Sader, Frankfurt am Main, implantologische Behandlungskonzepte im Wandel der Zeit. In dieser Entwicklung sei eine Bewegung „von der Mechanik zur Biologie“ erkennbar. Zunächst stellte Sader eine Reihe von Innovationen in der langen Geschichte der Implantologie vor. Darunter Ideen, die ForscherInnen teilweise bereits in der Vergangenheit entwickelt hatten, die aber erst heutzutage im Zuge der Digitalisierung umsetzbar sind. Innovationen entstünden aus einem „kontrollierten Chaos“, so Sader: Wenn sich ForscherInnen trauten, einfach mal etwas anders zu machen als das Naheliegende und Bekannte. Lebewesen etwa hätten biomechanisch ausgeformte Zähne, aber nie zylindrische. „Also können wir das doch auch auf unsere Implantate übertragen“, sagte Sader. Mit einem wassergekühlten Laser etwa könnten BehandlerInnen heutzutage wurzelförmige Löcher in den Knochen bohren. Sader: „Den patientenspezifischen, individuellen Implantaten wird die Zukunft gehören!“
Analoge oder digitale Planung?
Dr. Karl-Ludwig Ackermann aus Filderstadt machte sich die Position der analogen Planung zu eigen. Die Planung vor einer Implantation könne ein erfahrener Behandler guten Gewissens auch analog machen, allerdings müsse jeder Arbeitsschritt kontrolliert ablaufen. Um zum Beispiel die Lage der Implantatmittelpunkte auf dem Kieferkamm zu berechnen, brauche man nicht zwingend ein Computerprogramm. BehandlerInnen könnten sich an der Mittelfissur der mesialen Restzähne orientieren und eine mittige Ausrichtung zur Gegenbezahnung anstreben. Zwischen den Implantaten selbst sollte ein Mindestabstand von drei Millimetern eingehalten werden. Diese Werte, übertragen in eine Bohrschablone, erleichtern die Bohrung für die korrekten Implantatpositionen.
Dr. Georgia Trimpou, Frankfurt am Main, sprach sich in der Planungssession dagegen für die digitale Planung aus. „Die Digitalisierung der Zahnheilkunde ist eine Einbahnstraße“, so Trimpou. Schon Studierende lernten heutzutage digitales Abformen und den Umgang mit Präparationsanalyse-Software. Dennoch könne das, was ein Zahnarzt traditionell sicher beherrscht, konventionell bleiben. Aber ZahnärztInnen sollten nach und nach Strukturen digitalisieren, wenn ein messbarer Mehrwert zu erwarten ist. Gerade die Software-Unterstützung in der Implantatplanung habe viele Vorteile, wie die Möglichkeit, aufgrund der genauen Ermittlung der anatomischen Strukturen minimalinvasiv zu arbeiten. So ließen sich eventuell Augmentationen vermeiden. Zudem können BehandlerInnen ihre Fälle sehr gut archivieren und evaluieren. Nicht zuletzt in forensischer Hinsicht sei das ein wichtiger Punkt.
Sofort oder früh implantieren?
In einer anderen Session ging es um den richtigen Implantationszeitpunkt. Prof. Henning Schliephake aus Göttingen stellte klar, dass die Ergebnisse von Sofortimplantationen im Hinblick auf den Erhalt von Knochen und Weichgewebe sowie auf die Ästhetik einer großen Schwankungsbreite unterliegen. Ein wesentlicher Einflussfaktor sei die Dicke der bukkalen alveolären Knochenwand und deren Zustand, zum Beispiel ob eine Dehiszenz oder ein Kleft vorhanden sei. Eine vestibuläre Augmentation von Hart- und/oder Weichgewebe könne hier das Ergebnis verbessern. Kommen allerdings mehrere Risikofaktoren zusammen, sei keine sichere Vorhersage möglich. Demnach, so resümierte Schliephake, unterliegen Sofortimplantationen laut Studienlage immer noch einem höheren Verlustrisiko, es komme deshalb auf die Vorauswahl der PatientInnen für dieses Verfahren an.
Prof. Daniel Buser aus Bern sprach sich für die Frühimplantation aus, da bei der Sofortimplantation Daten über einen Betrachtungsraum von über fünf Jahren fehlten. Gerade im Oberkieferfrontzahnbereich treffen BehandlerInnen Buser zufolge in über 90 Prozent der Fälle auf eine dünne oder beschädigte vestibuläre Knochenlamelle. Die mittlere Dicke an dieser Stelle liege bei 0,6 und 0,9 Millimetern. Eine Implantation vier bis acht Wochen nach der Extraktion habe den Vorteil, dass das Weichgewebe dann geheilt und wieder dicker sei [Chappuis et al., 2015]. Implantiert werde unter Lappenbildung bei gleichzeitiger Augmentation des vestibulären Knochens mit autogenen Knochenchips, kombiniert mit synthetischem Knochenzement. Darüber legen die Operateure in Bern eine resorbierbare Membran als temporäre Barriere und vernähen abschließend den Lappen als primären Wundverschluss. Auch nach bis zu zehn Jahren seien so noch stabile Verhältnisse möglich, betonte Buser mit Verweis auf Studien.
Implantate aus Titan oder aus Keramik?
Während Titan für den gut untersuchten Standard steht, werden Keramikimplantate weit weniger häufig eingesetzt – es gibt kaum Langzeitdaten. Bei den Implantaten aus Keramik funktionierten die einteiligen „ganz gut“ und seien „stabil“, führte PD Dr. Benedikt Spies aus Berlin aus und zitierte einige Studien mit Fünf-Jahres-Überlebensraten. Allerdings seien die Indikationen für einteilige Keramikimplantate begrenzt. Für zweiteilige Multimaterialsysteme sei eine Einschätzung sehr komplex, da es hier noch an Langzeitdaten fehlt. Die Osseointegration sei vergleichbar mit Titanimplantaten. Ein systematisches Review von Pieralli et al. aus 2017 zeige, dass Keramikimplantate aus Zirkon im Fall des Scheiterns meist innerhalb des ersten Jahres verloren gehen, insbesondere während der Einheilphase. „Sind sie erst einmal gut osseointegriert, bleibt die Überlebenskurve nahezu konstant“, betonte Spies. Hohe Überlebensraten zeigen ihm zufolge Einzelkronen und dreigliedrige Brücken aus Zirkon. Bei verblendetem Zirkonoxid müssten die BehandlerInnen allerdings mit vielen Abplatzungen rechnen.
Prof. Michael Stimmelmayr aus Cham sprach sich für Titanimplantate aus, für ihn überzeugen diese in drei wesentlichen Punkten: bei der mechanischen Stabilität, bei der Osseointegration und bei der Biokompatibilität.
Sie ließen sich zudem funktionell und ästhetisch suffizient versorgen und seien wissenschaftlich sehr gut untersucht. In einer Studie aus 2015 hatten Forscher um van Velzen 374 Titanimplantate bei 177 Patienten nach zehn Jahren untersucht. Ergebnis: 99,7 Prozent Überlebensrate. Einen Knochenverlust von über zwei Millimetern gab es nur bei 4,2 Prozent der Implantate. Zwar bestehe eine Verbindung zwischen dem Vorliegen von Titanpartikeln, der Biokorrosion von Implantatoberflächen und einer Periimplantitis, doch für eine kausale Beziehung gebe es noch keine ausreichende Evidenz. „Warum soll man seinen Patienten nicht eine Goldteilkrone anbieten oder ein Titanimplantat, wenn sie es vertragen? Wir wollen doch niemandem eine schlechtere Therapie anbieten, nur damit es metallfrei ist“, so Stimmelmayr.
Feste oder herausnehmbare Suprakonstruktionen?
Um feste oder herausnehmbare Suprakonstruktionen drehte sich eine weitere Session, die von Prof. Stefan Wolfart aus Aachen moderiert wurde. Er erinnerte daran, dass ProthetikerInnen für ihre PatientInnen jeweils individuell Zahnersatz schaffen sollen, der sich auch gut reinigen lassen muss. „Die Patienten wünschen sich feste Zähne“, sagte Prof. Hannes Wachtel aus München in seinem Vortrag. Dies belegte er an zwei Fällen. Beide Patienten fühlten sich lange unsicher mit ihrem Zahnersatz. Es war ihnen aus Scham über ihren optisch und funktionell schlechten Zahnersatz unangenehm, vor Menschen zu sprechen oder in Gesellschaft zu lächeln. Sie suchten dann seine Praxis auf, um endlich „feste und schöne Zähne“ zu bekommen. PatientInnen mit „failing dentition“, nennt Wachtel solche Fälle, die mit 83 Prozent die Mehrheit der versorgungsbedürftigen PatientInnen stellen. Lediglich 17 Prozent sind laut Wachtel tatsächlich zahnlos und oft schon mit gut sitzenden Totalprothesen zufriedenzustellen. PatientInnen mit „failing dentition“ jedoch, die vielleicht noch festsitzend, aber zum Beispiel aufgrund von fortgeschrittener Parodontitis inzwischen insuffizient versorgt sind, wünschten sich auch weiterhin eine möglichst festsitzende „vierte Dentition“.
Sofortimplantation in einer Live-OP
Zum ersten Mal bei einer DGI-Jahrestagung konnten die Zuschauer eine Live-Operation mitverfolgen, die aus der Frankfurter Universitätszahnklinik übertragen wurde. Oberarzt Dr. Puria Parvini extrahierte einen frakturierten, wurzelkanalgefüllten Zahn 11. Zahntechnikermeister Thorsten Peter hatte im Vorfeld den Fall gemeinsam mit Parvini digital für eine Sofortimplantation durchgeplant. Nach der erfolgreichen Operation erhielt der Patient gleich ein bereits fertig gestelltes Provisorium.
Dr. Detlef Hildebrand aus Berlin referierte über die klinischen Vorteile herausnehmbarer Suprakonstruktionen. „Wir müssen für den individuellen Patienten das beste Konzept finden, ob es nun Doppelkronen, Steg-und-Riegel-Konstruktionen oder festsitzender Zahnersatz ist“, sagte er. Deshalb müsse man berücksichtigen, „dass die 60-jährigen Patienten, die Sie heute festsitzend versorgen, in 20 Jahren 80 sind. Und in keinem Pflegeheim wird es eine Pflegekraft geben, die den festsitzenden Zahnersatz ordentlich putzt“. Zahnärzte müssten also bedenken, dass ihre Patienten auch in 15, vielleicht sogar 20 Jahren in der Lage sein müssen, ihren Zahnersatz selbst zu pflegen. In dieser Hinsicht seien herausnehmbare Stegarbeiten manchmal die bessere Alternative, weil sie einfacher zu pflegen sind. Er warnte allerdings davor, gegenüber Patienten, die sich eigentlich festsitzenden Ersatz wünschten, von herausnehmbaren Zähnen zu sprechen. Das sei für Patienten gleichbedeutend mit Prothesen und die seien eben meist nicht gewünscht. Der Zaubersatz laute daher: „Wir machen Ihnen festsitzenden Zahnersatz, der nur zum Reinigen herausgenommen wird.“ Und das entspreche im Prinzip ja auch der Wahrheit, denn Steg-Riegel-Arbeiten rasteten hörbar ein und seien dann tatsächlich „festsitzend“.
Kostengünstig oder High-End-Zahnmedizin?
„Einfach oder kompliziert“ – in der von Prof. Markus Hürzeler, München, moderierten Session ging es um den Vergleich kostengünstiger und schneller prothetischer Konzepte mit solchen, die das Maximum der High-End-Zahntechnik aufbieten. Die Referenten Dr. Martin Gollner aus Bayreuth und Zahntechnikermeister Andreas Kunz aus Berlin stellten in ihrem gemeinsamen Vortrag klar, dass sich die Strategien „straight forward“, also direkt, unkompliziert und einfach mit den sicheren, evidenzbasierten, konservativen und komplexen High-Level-Konzepten im Behandlungsablauf im Prinzip immer etwas mischen. Denn am Ende müsse die Therapieerwartung des Patienten erfüllt werden, so Gollner. Für ihn seien die Kosten-Nutzen-Relation, eine überschaubare Therapiedauer und das Vermeiden von Komplikationen wichtig. Der Behandler möchte am Ende eine stabile Funktion erreichen und nicht zuletzt dem Zahnersatz eine individuelle Ästhetik verleihen.
Prof. Fouad Khoury erläuterte in seinem Vortrag, wie eine langjährige Stabilität nach Hart- und/oder Weichgewebsaugmentationen zu erreichen ist. Er setze dabei – wann immer möglich – auf autogenen Knochen als Augmentationsmaterial, den er meist direkt aus der Alveole des extrahierten Zahns oder aus deren Umgebung gewinne. Mit einem Trepanbohrer entnehme er kleine, zylindrische Knochenstückchen, „Karotten“ genannt, die mit Minischrauben komprimiert an Ort und Stelle gehalten werden. Weiterhin erläuterte er die Split-Bone-Technik, also den Gewinn mehrerer Knochenscheiben aus einem vorher entnommenen Knochenblock, den der Operateur vorsichtig in Scheiben schneidet.
Periimplantitis allein konventionell behandeln?
Der letzte Wettstreit der Konzepte galt dem Thema Periimplantitis. Prof. Gerhard Iglhaut aus Memmingen erläuterte die Ätiologie der Periimplantitis, für die der bakterielle Biofilm der stärkste Einflussfaktor sei; Rauchen hat ihm zufolge nur schwächere Evidenz, während intrasulkuläre Zementüberschüsse als Auslöser infrage kämen. Titanpartikel sind seiner Meinung nach nicht evident als auslösender Faktor.
PD Dr. Jan Derks aus Göteborg zeigte dem Auditorium, dass die allein konventionelle Therapie der Periimplantitis ineffektiv ist, wenngleich sie immer der erste Schritt in der Behandlung sein müsse. Nur so könnten Patienten auf die nachfolgende Chirurgie im Sinne einer resektiven Tascheneleminierung mit Reinigung der Implantatoberfläche vorbereitet werden. Im Nachgang müssten Patienten weiter zur Mundhygiene motiviert und unterstützend konventionell behandelt werden, um das Behandlungsergebnis auch langfristig stabil zu halten.
Der wichtigste Indikator für eine stabile Situation: ein negativer BOP. Das OP-Protokoll des „Open-flap debridement“ bestehe aus Aufklappen, Zahnsteinentfernung mit Plastikscalern, Reinigung des Implantatgewindes mit Titanbürsten und Kochsalz-Spülung und abschließendem Vernähen des Lappens.
Zusätze wie einen CHX-haltigenMedikamententräger – zum Beispiel Periochip – in die entzündeten Taschen zu geben, hält Derks für überflüssig, wenn der Patient ohnehin operiert wird. Nur wenn der Behandler eine Chance sieht, die Entzündung rein konventionell behandeln zu können, sei ein CHX-haltiger Zusatz sinnvoll. Antibiotika gebe er nur, wenn vor der Operation noch Pus austritt und die Implantatoberfläche sehr rauh ist. „Wir beginnen drei Tage vor der Chirurgie mit dem Antibiotikum und noch sieben Tage danach“, führte Derks aus, „wir geben also insgesamt zehn Tage Amoxicillin.“
DDS Ausra Ramanauskaite aus Frankfurt stellte Untersuchungen vor, nach denen jeder fünfte Implantatträger eine Periimplantitis bekommt. Über die Art der chirurgischen Intervention entscheide die Defektanatomie mit. Ein zirkulärer, rein intraossärer Defekt mache 45 Prozent aller Knochendefekte im Zuge einer Periimplantitis aus. Solche Defekte könnten gut mit bovinem Knochenersatzmaterial aufgefüllt werden.
Dr. med. dent. Kerstin Albrecht
Medizin-/Dentaljournalistin
Literaturliste Kongressbericht DGI
Chappuis, Engel, Reyes, Shahim, Katsaros, Buser: „Soft tissue alterations in esthetic post extraction sites – a 3D analysis“, J Dent Res 94 (Suppl.): 187S-93S, 2015
Safioti LM, Kotsakis GA, Pozhitkov AE, Chung WO, Daubert DM: Increased Levels of Dissolved Titanium Are Associated With Peri-Implantitis - A Cross-Sectional Study. J Periodontol. 2017 May;88(5):436-442. doi: 10.1902/jop.2016.160524. Epub 2016 Nov 18.
Pieralli S, Kohal RJ, Jung RE, Vach K, Spies BC.: Clinical Outcomes of Zirconia Dental Implants: A Systematic Review, J Dent Res. 2017 Jan;96(1):38-46.
Spies BC, Witkowski S, Vach K, Kohal RJ.: Clinical and patient-reported outcomes of zirconia-based implant fixed dental prostheses: Results of a prospective case series 5 years after implant placement. Clin Oral Implants Res. 2018 Jan;29(1):91-99.
van Velzen FJ, Ofec R, Schulten EA, Ten Bruggenkate CM1. 10-year survival rate and the incidence of peri-implant disease of 374 titanium dental implants with a SLA surface: a prospective cohort study in 177 fully and partially edentulous patients. Clin Oral Implants Res. 2015 Oct; 26(10)