Interview mit Konstantin von Laffert und Dr. Kai Voss

„Das war der Lackmustest für unsere Praxishygiene!“

Das Thema Hygiene hat in der Corona-Pandemie noch einmal eine ganz neue Bedeutung bekommen. Zu Beginn der Pandemie machten sich viele Unsicherheiten breit – in den Zahnarztpraxen und außerhalb. Die zm sprachen mit Konstantin von Laffert und Dr. Kai Voss, die sich seit vielen Jahren mit dem Thema Praxishygiene unter anderem im Ausschuss Praxisführung der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und im Deutschen Arbeitskreis für Hygiene in der Zahnmedizin (DAHZ) beschäftigen.

zm: Herr von Laffert, Herr Dr. Voss, das Thema Hygiene steht bei Zahnärztinnen und Zahnärzten ohnehin ganz oben auf der Prioritätenliste. Mit der Corona-Pandemie hat die Thematik noch einmal einen anderen Stellenwert bekommen – für Zahnärzte und ihr Personal, aber auch für die Patienten. Der DAHZ hat sich schon sehr früh zu Beginn der Pandemie mit dem Thema Covid-19 befasst und Empfehlungen herausgegeben, die die BZÄK übernommen hat. Was waren die Probleme, die Sie lösen mussten?

Dr. Kai Voss: Ja, das ist richtig. Die DAHZ-Stellungnahme wurde bereits am 19. April veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch fast keine belastbaren Studien zu SARS-CoV-2, die man für die Stellungnahme hätte verwenden können. Die im Internet kursierenden „Empfehlungen“ aus unterschiedlichsten Quellen waren teilweise diametral entgegengesetzt in den Aussagen.

Trotzdem hat die DAHZ-Stellungnahme bis heute Bestand und musste nicht korrigiert werden. Das ist nach meiner Überzeugung überwiegend dem Umstand geschuldet, dass der DAHZ-Vorsitzende Prof. Lutz Jatzwauk als Krankenhaushygieniker über langjährige Erfahrungen mit anderen Infektionskrankheiten verfügt, die aerogen übertragen werden.

Wie sich in den vergangenen Monaten gezeigt hat, führen immer wieder sogenannte Superspreader-Ereignisse zu größeren Ausbrüchen. Hatten Sie Sorge, dass dies auch in Zahnarztpraxen vorkommen kann?

Konstantin von Laffert:

Eigentlich hatte ich diese Sorge nie. Denn ich weiß, dass die Kolleginnen und Kollegen beim Thema Hygiene auch schon vor Corona sehr sensibilisiert und diszipliniert waren. Auch die Praxisteams sind bei diesem Thema konsequent und engagiert. Mich hat das Fehlen von Infektionen in Zahnarztpraxen nicht überrascht und es bestärkt mich in der Ansicht, dass es falsch ist, den Menschen immer als Unsicherheitsfaktor anzusehen.

Manche meinen, allein mit noch häufigeren und aufwendigeren Validierungen von Maschinen, Risiken zu minimieren. Meine Erfahrung sagt mir, dass das nicht der Fall ist, sondern die tägliche Kleinarbeit wie sorgfältige Wischdesinfektion durch gut ausgebildete Mitarbeiterinnen viel wichtiger ist. Das war der Lackmustest für unsere Praxishygiene und wir haben ihn bestens bestanden. Nun ist es auch eine Lehre aus Corona, dass wir mehr Zeit für Hygiene und weniger Zeit für sinnlose Bürokratie brauchen.

Zu den Personen

Konstantin von Laffert (53) ist seit 2015 Präsident der Zahnärztekammer Hamburg. Seit über 20 Jahren gehört er dem dortigen Vorstand an. Er ist seit 2018 Vorsitzender des Ausschusses Praxisführung der BZÄK. Seine Praxis liegt im Hamburger Stadtteil Niendorf.

Dr. Kai Voss (64) ist Vizepräsident der Zahnärztekammer Schleswig-Holstein. Er ist Mitglied im Ausschuss Praxisführung der BZÄK, außerdem Vorsitzender der Bundesversammlung der BZÄK. Seit vielen Jahren engagiert er sich auch im Deutschen Arbeitskreis für Hygiene in der Zahnmedizin (DAHZ). Er hat eine Praxis in Kirchbarkau (Kreis Plön).

Auch die kürzlich erschienene wissenschaftliche S1-Leitlinie zum „Umgang mit zahnmedizinischen Patienten bei Belastung mit Aerosol-übertragbaren Erregern“ fasst es mit dem Satz zusammen, dass in der Zahnmedizin „super spreading events“ völlig fehlen. Diese Information hatten wir schon aus Wuhan und Norditalien, sie hat sich auch in Deutschland bewahrheitet.

Sie sprechen die neue S1-Leitlinie an. Sie haben ebenfalls an diesem Werk mitgearbeitet, Herr Dr. Voss. Nun war und ist das Thema Aerosole durchaus umstritten. Wie kann man sich die Arbeit in der Leitliniengruppe vorstellen?

Voss:

Die zehn Teilnehmer der Leitliniengruppe kamen aus unterschiedlichen Fachgesellschaften und Organisationen. Das führte natürlich zu einer Betrachtung der Aerosol-Thematik aus den verschiedensten Blickwinkeln. Von der ersten Fassung Mitte April bis zur veröffentlichten Fassung im September hat sich das Wissen ständig weiterentwickelt. Neue Studien mussten gefunden, bewertet und integriert werden. Bei allen Beteiligten war eine große Bereitschaft zu erkennen, zu einem Ergebnis zu kommen, das den aktuellen Wissenstand widerspiegelt.

Grundsätzlich wäre bei einer S1-Leitlinie keine Konsensbildung erforderlich gewesen. Trotzdem haben wir uns entschlossen, diesen Weg zu gehen. Die Konsensbildung fand wie die vorhergehenden Beratungen in Videokonferenzen statt. Dabei bestanden zunächst bei einzelnen Empfehlungen durchaus unterschiedliche Auffassungen. In diesen Fällen wurden die Empfehlungen in verschiedenen Formulierungen unter Leitung der erfahrenen Leitlinienbeauftragten der DGZMK zur Abstimmung gebracht und teilweise auch noch umformuliert. Im Ergebnis wurden alle Empfehlungen ohne Gegenstimme als „starker Konsens“ verabschiedet.

Neuerdings werden verschiedene Geräte zur Luftreinigung vom Handel angeboten, die es sogar bis auf den Titel der BILD-Zeitung geschafft haben. Raten Sie zur Anschaffung solcher Geräte für die Praxis?

Voss:

Eine solche Empfehlung ist sicherlich jetzt noch nicht sinnvoll, denn die wissenschaftliche Untersuchung dieser Geräte steht erst am Anfang. Die Aussagen der Fachleute aus den meist technischen Fakultäten widersprechen sich deutlich.

Die ersten Untersuchungen haben neben Erfolgen auch mannigfaltige Schwierigkeiten an den Tag gebracht. Das geht von der nicht zuverlässigen Saugwirkung bei verschiedenen Grundrissen von Räumen über fehlende HEPA-Filter der entsprechenden Stufe bis hin zur Produktion von zu viel gesundheitsschädlichem Ozon beim Einsatz von UV-C-Strahlen in einigen Geräten. Zur Wirksamkeit hinsichtlich der Prävention von SARS-COV-2 gibt es bislang keine spezifischen Studien. Es ist aus meiner Sicht noch nicht angebracht hier von einem Durchbruch zu sprechen, der den Praxen wissenschaftlich belegten Nutzen bringt.

Und wie sieht es mit dem Lüften aus?

Voss: Zum jetzigen Zeitpunkt halte ich regelmäßiges Stoß- beziehungsweise Querlüften für die Methode der Wahl in Zahnarztpraxen. Das ist auch in der kalten Jahreszeit zumutbar und sogar wirksamer als im Sommer, wo es zwischen innen und außen nur einen geringen Temperaturgradienten gibt. Die gerade angestoßene Erweiterung der bislang geläufigen AHA-Regel zu AHA+L ist daher sinnvoll, um die Bedeutung des Lüftens zu betonen.

Wichtig ist aber, darauf hinzuweisen, dass sowohl das Lüften als auch Luftfilter oder -reiniger nur das indirekte Infektionsrisiko betreffen. Das direkte Risiko, das durch Anhusten oder anderen Kontakt über kurze Distanz erfolgen kann, wird dadurch nicht reduziert.

Vor wenigen Wochen, als das Schlimmste für die Praxen schon überstanden schien, tauchte plötzlich eine Empfehlung der WHO auf, die vor dem Besuch von Zahnarztpraxen weltweit warnte. Hat Sie das geärgert?

von Laffert:

Ja, allerdings. Entstanden ist diese Meldung durch eine Kette von Übersetzungsfehlern und Missverständnissen. Eine solche Empfehlung für alle Länder weltweit abzugeben macht keinen Sinn.

Die Verhältnisse in Brasilien, in den USA und bei uns sind ja schon auf den ersten Blick kaum vergleichbar. Die WHO hat dann ja auch bestätigt, dass Deutschland mit dieser Empfehlung nicht gemeint war. Der Schaden war dennoch da.

Gibt es Themen im Bereich Hygiene, die aktuell noch umstritten sind?

Voss:

Ein Punkt, der intensiv in der Kollegenschaft diskutiert wird, ist die Verwendung von Spülflüssigkeiten vor der Behandlung. Während zunächst die Empfehlung meist unser üblicher Goldstandard Chlorhexidin war, kam aus Wuhan die Empfehlung, dass 1%-iges H2O2 wohl effektiver sei. Neuere Untersuchungen empfehlen wiederum Octenidin, Chlorhexidin, Dequonal oder Listerine Cool Mint.

Hierzu gibt es in der Leitlinie eine interessante Tabelle. Ich weiß aber, dass es weitere Forschung, einschließlich mehrerer Cochrane-Reviews zu diesem Thema gibt und womöglich veränderte Empfehlungen in nächster Zeit herauskommen werden. Die Autoren der Leitlinie sind an diesem Thema dran. Es wird gerade überlegt, ob zunächst ein „Amendment“ publiziert wird oder die Leitlinie als „Living Guideline“ umgemeldet werden kann, die laufende Ergänzungen möglich macht.

Was sind Ihre größten Sorgen für die nächsten sechs Monate?

Voss:

Ein wirklich großes Problem scheint bei der Schutzausrüstung auf uns zuzukommen. Das betrifft offenbar primär den Bereich Schutzhandschuhe. Hier fehlen sowohl Rohstoffe als auch Maschinen, um Handschuhe in Deutschland herstellen zu können. Wenn die Politik und die Industrie hier nicht schnell handeln, könnte das für uns wirklich ein großes Thema werden. Denn ohne Handschuhe können wir die Arbeit einstellen.

von Laffert:

Erschreckend war ja schon in der Krise, wie uns die Systemrelevanz systematisch abgesprochen wurde. Das zeigte sich ja nicht nur beim Thema Schutzausrüstung, wo wir in einer Tabelle eines Landkreises zwischen den Friseuren und den Bestattern verortet wurden, weit weg von den Krankenhäusern und Ärzten. Das hat uns schon sehr betroffen gemacht und zeigte sich dann auch noch beim Rettungsschirm und beim Kurzarbeitergeld, das man uns ja auch noch streitig machen wollte.

Das hat ja die Intervention der Kammern und der BZÄK zum Glück verhindert. Wir hoffen, dass die Politik da künftig eine andere Sicht bekommt.

Wir bedanken uns für das Gespräch.

Die Fragen stellte Sascha Rudat.

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