100 Jahre Zahnärztliche Aus- und Fortbildung in Karlsruhe

So wirkt die Akademie in Politik und Gesellschaft

Hans Ulrich Brauer
,
Winfried Walther
Eine Akademie, die ihren Fortbildungsauftrag ernst nimmt und die Verbesserung der Versorgung im Auge hat, wirkt weit über den ihr anvertrauten Personenkreis hinaus. In diesem Beitrag geht es um die Rolle, die die Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe für die zahnärztliche Profession und die sie umgebende Gesellschaft innehat.

Eine Fortbildungsinstitution hat die Aufgabe, den ihr anvertrauten Personenkreis zu betreuen und dafür zu sorgen, dass überholtes Wissen durch neues ersetzt wird. Im Statut der Fortbildungseinrichtungen der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg ist zu lesen, Aufgabe der Fortbildungseinrichtungen sei die Fortbildung von Zahnärzten und zahnmedizinischem Hilfspersonal. Zusätzlich wird die Unterweisung von Personen in zahnärztlicher Gesundheitsfürsorge genannt. So weit, so gut.

Der zahnmedizinische Diskurs ist geprägt von den Stimmen der Standespolitik und der zahnärztlichen Wissenschaft. Die Akademie nimmt beide Stimmen wahr und hat bei kontroversen Diskussionen häufig eine Mittlerrolle inne. Für ihr Programm wählt sie Vertreter der Wissenschaft aus, die in ihren Kursen direkt mit Zahnärztinnen und Zahnärzten in Kontakt treten. Fachliche Innovation ist jedoch nicht ausschließlich den Universitäten vorbehalten. Auch aus der Praxis können Anregungen für eine bessere Versorgung kommen. Das Fortbildungsprogramm der Akademie ist somit immer eine Stellungnahme zum Innovationsgeschehen in der Zahnheilkunde. Der Blick in die Programme seit 1960 birgt hier einige Überraschungen. Schon sehr früh, nämlich am 10./11. Januar 1969, findet sich dort ein Kurs über zahnärztliche Implantologie „Das Implantationsverfahren (oraler Rehabilitationen) mit CBS Anker“ – geleitet von einem Praktiker aus der Schweiz: Dr. Samy Sandhaus. Zwar ist die Zeit inzwischen über den implantologischen Ansatz von Sandhaus hinweggegangen, nichtsdestotrotz hat die zahnärztliche Implantologie durch die Aufnahme in das Kursprogramm einen institutionalisierten Status gewonnen – lange bevor die Ergebnisse von Branemark in Deutschland bekannt wurden.

Wie die Akademie den Diskurs fördert

Dieser erste Implantologiekurs veranschaulicht zum einen, dass der innovative Zahnarzt den gleichen Rang besetzen kann wie ein Vertreter der Universität. Zum anderen handelt es sich um einen internationalen Kontakt, der nationale Meinungsmonopole durchaus infrage stellt. Die Zahl der internationalen Referenten nahm in den 1970er-Jahren rasch zu. Die Lehrer kamen aus der Schweiz, Italien, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den USA. Das wurde von einigen Mitgliedern deutscher Universitäten durchaus nicht gern gesehen, da sie mit Ideen und Entwicklungen konfrontiert wurden, die im nationalen Diskurs bislang keine Rolle gespielt hatten. Auch prominente Vertreter renommierter internationaler Universitätsinstitute traten schon in der Ägide von Walther Engel bei der Akademie auf. So kam im Jahr 1980 zum ersten Mal Prof. Jan Lindhe aus Göteborg nach Karlsruhe. Ab 1982 hielt er auf Anfrage von Michael Heners Kurzcurricula über Parodontologie, die jeweils sechs Tage dauerten und in hohem Maß von jungen Vertretern deutscher Universitäten besucht wurden, zumal die Teilnahmebedingungen sehr günstig waren. Ein enger Kontakt mit dem Referenten während des Kurses war garantiert. Man kann davon ausgehen, dass das Programm der Akademie die Internationalisierung der deutschen Zahnheilkundegefördert hat.

Was die Autonomie der Profession bedeutet

Der Tätigkeitsbereich der Akademie beschränkt sich aber nicht auf die Vermittlung angewandten klinischen Wissens. Schon in den 1990er-Jahren spielt die „Profession“ eine herausragende Rolle in den Veröffentlichungen aus Karlsruhe. Der Begriff und die Merkmale der „Profession“ wurden in unzähligen Veranstaltungen für Kollegenschaft und Standespolitik diskutiert. Zentral sind hierbei die Begriffe des „Gemeinwohlbezugs“ und der „Autonomie“. Die Akademie steht im Dienst der Profession und ist somit herausgefordert, diese Merkmale der Profession zu verteidigen und zu sichern.

Dreiteilige zm-Reihe

Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe veröffentlichen die zm einen dreiteiligen Bericht zur Geschichte des Instituts.

Teil 1 (zm 14) thematisierte die Rolle des Instituts bei der Ausbildung der Dentisten und später bei der Fortbildung der Zahnärzte. Teil 2 (zm 18) warf einen Blick auf die Menschen am Institut. Teil 3 (diese Ausgabe) beleuchtet begleitend zur 100-Jahr-Feier im November die Rolle der Akademie in Zahnmedizin, Wissenschaft und Gesellschaft.

Schauen wir uns dazu beispielhaft die „Trainings für den zahnärztlichen Sachverständigen“ an. 1996 fand das erste Curriculum für den zahnärztlichen Sachverständigen unter der Leitung von Michael Heners statt. Es war das erste seiner Art in der Bundesrepublik und ist bis heute Bestandteil des Akademie-Programms. Kern des Trainings ist eine sichere „Regelfindung“ im Rahmen des alltäglichen Versorgungsgeschehens. Regeln beschreiben den Anspruch der uns anvertrauten Patienten. Sie geben darüber hinaus dem Praktiker Handlungssicherheit und erlauben die Abwendung nicht gerechtfertigter Ansprüche der Klientel. Das Sachverständigentraining umfasst rechtliche und vertragliche Regelungen, wissenschaftliche Standards zur Indikation und Durchführung zahnärztlicher Eingriffe sowie die Systematik der gutachterlichen Arbeit. Der Gutachter muss Einzelfälle bewerten, was in jedem Fall die Interpretation von Regeln erfordert. In den Upgrade-Veranstaltungen für den zahnärztlichen Sachverständigen wird der Blick für die Auslegung von Regeln regelmäßig geschärft. Dadurch wird die Autonomie der Profession gestärkt, denn es wird deutlich: Zahnärzte und Zahnärztinnen kümmern sich selbst um die Ausrichtung ihres Handelns nach transparenten Regeln.

Ein erheblicher Wissenszuwachs über die Bedeutung des Gutachterwesens und die Erwartungen an den Gutachter entstand im Rahmen des Masterstudiengangs „Integrated Dentistry“. Dieser Masterstudiengang wurde von der Akademie in Kooperation mit der Universität Magdeburg entwickelt und durchgeführt. In zahlreichen Masterarbeiten wurde das Anforderungsprofil des zahnärztlichen Sachverständigengutachtens untersucht. Hierfür wurden Richter befragt, die Arbeit von Schlichtungsausschüssen untersucht und Qualitätssicherungssysteme im vertragszahnärztlichen Gutachterverfahren analysiert. Diese Arbeiten kommen dem Unterricht der Akademie zugute.

Welche Bedeutung hat die Profession der Zahnmedizin für die Gesellschaft, in der sie tätig ist? Der Masterstudiengang „Integrated Dentistry“ widmet sich dieser Frage auf vielfältige Weise. Im Studium geht es um die fortschreitende Kompetenzentwicklung der Zahnärzte in der niedergelassenen Praxis und um die Entwicklung der Zahnärzteschaft. Dazu gehört die tradierte Wissensvermittlung neuen Fachwissens aber auch die Analyse der Interaktionen zwischen zahnärztlicher Profession und Gesellschaft. Die Arbeiten widmen sich deswegen auch Themen wie der beruflichen Identität, der Wissensentwicklung und dem Bild der Zahnmedizin in Medien und Kunst. Wie die zahnärztliche Praxis von der Gesellschaft wahrgenommen wird, bestimmen Zahnärztinnen und Zahnärzte nur zum Teil selber. Mediale Berichte und Diskussionen über Brennpunkte des Versorgungsgeschehens werden von vielen Seiten angestoßen. Ferner ist das Bild des Zahnarztes geprägt von der Angst vor Schmerzen und dem Gefühl des Ausgeliefertseins während der Behandlung. Als Beispiel für die Untersuchung dieser Zusammenhänge sei die exemplarische Filmanalyse von Harald Hildebrand genannt, der Sozialklischees des Zahnarztes im Spielfilm untersuchte. Ein zusammenfassender Bericht über seine Arbeit wurde unter dem Titel „Ein schräger Typ“ auch in den Zahnärztlichen Mitteilungen veröffentlicht (zm 16/2008). Das von ihm beschriebene Bild des Zahnarztes ist geprägt von zum Teil sehr negativen Emotionen. In seiner Zusammenfassung spricht sich Hildebrand dafür aus, dass die Zahnärzte selbst medial vermittelte stereotype Vorstellungen vom zahnärztlichen Berufsstand aufbrechen und einer differenzierten Betrachtungsweise zuführen sollten. Die analytische Arbeit durch die Absolventen des Masterstudiengangs ist bei diesem Vorhaben sehr hilfreich.

Wenn Zahnmedizin politisch wird

Die medizinische Versorgung betrifft alle Menschen. Sobald hier Risiken oder Mängel wahrgenommen werden, entstehen Diskussionen, die in vielen Fällen die rationale Ebene verlassen. Die Akademie hat in ihrer Geschichte zu verschiedenen Problemen Stellung genommen und die Öffentlichkeit auf die Wichtigkeit einer wissenschaftlichen Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung hingewiesen. Sie ist dazu auch gezielt von der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg und der Bundeszahnärztekammer in Anspruch genommen worden.

So wurde die Akademie zu Beginn der 1990er-Jahre beauftragt, in der damals heftigen Amalgamdiskussion die Position der Zahnärzteschaft deutlich zu machen. Die damals medial sehr präsente Auseinandersetzung um diesen Füllungswerkstoff führte zu Forderungen an die Politik, mit Verboten einzuschreiten und somit dem Bild von Amalgam als „Gift im Mund“ Rechnung zu tragen. In vielen lebhaft und kontrovers geführten Debatten, die im öffentlichen Rahmen stattfanden, bezog die Akademie Stellung, um der emotionalen Ausgrenzung einer bewährten Therapieform entgegenzutreten. Eine Zusammenfassung der von ihr vertretenen Position findet sich in einem Beitrag von Michael Heners aus dem Jahr 1994 in den „Gesellschaftspolitischen Kommentaren“:

„Mit einer Argumentationskette gleicher Qualität, mit der zur Zeit der wissenschaftlich gesicherte und bewährte Füllungswerkstoff Amalgam in das emotionale Schussfeld der Kritik geraten ist, lässt sich jeder andere Werkstoff, der in der restaurativen Zahnheilkunde notwendig ist, in Frage stellen. Es geht deshalb nicht um die Frage „Amalgam Ja oder Nein?“ sondern um die Fragestellung „wissenschaftlich begründete Zahnheilkunde, Ja oder Nein?“

(Gesellschaftspolitische Kommentare Dez. 1994, 464–465).

Ein Verbot des Füllungswerkstoffs Amalgam aus zweifelhaften Gründen konnte letztlich abgewendet werden.

Weitere Beispiele für die Bearbeitung von Problemen an der Schnittstelle Zahnmedizin und Politik durch die Akademie sind die Diskussion über die 1994 erschienene „Marxkors-Studie“, die die Qualität der prothetischen Versorgung durch die Dokumentation mechanischer Erfolgsparameter infrage stellte, und der Vorbericht des IQWiG 2017, der zu dem Schluss kam, dass für die parodontalen Behandlungsmethoden keine Evidenz vorläge. In beiden Fällen gab es Anhörungen durch die Bundeszahnärztekammer beziehungsweise das IQWiG. Die zu Studie und Vorbericht vorgebrachte Kritik blieb nicht ohne Wirkung.

So bekommt Zahnmedizin Öffentlichkeit

Die Unterweisung in zahnärztliche Gesundheitsfürsorge wird im Statut der Akademie ausdrücklich genannt. Tatsächlich hat diese Aufgabe in Karlsruhe eine sehr lange Tradition. In unserer digitalen Festschrift findet sich eine ausführliche Dokumentation der „Zahnhygienischen Ausstellung“ im September des Jahres 1925. Das frisch gegründete Institut trat mit dieser Ausstellung an die Öffentlichkeit heran, um

„sein redlich Teil … beizutragen an der Aufklärung und Belehrung unseres Volkes über den Wert und die Notwendigkeit einer vernünftigen Zahnpflege und Zahnbehandlung“.

So beschrieb der Vorsitzende des Reichsverbandes Deutscher Dentisten, Diebecke-München, die Intention von Institut und Verband. Die Ausstellung wurde insbesondere von Schulklassen besucht, die in der Stadthalle Karlsruhe viel über Zähne und deren Pflege lernen konnten. Noch Jahre später kommen Berichte auf dieses markante Ereignis zurück. Ganz offensichtlich war die Initiative ein sehr gelungener Ansatz, Informationen zur Gesunderhaltung der Zähne „unter das Volk“ zu bringen.

Auch heute gibt es Aktionen, die sich in Sachen Gesundheitsfürsorge direkt an die Öffentlichkeit wenden. Eine größere Veranstaltung war der „Tag der offenen Tür“, der 2010 von der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg initiiert wurde. Veranstaltungsorte waren die Akademie und die MKG-Klinik des Städtischen Klinikums Karlsruhe. Das ganze Team engagierte sich, fertigte Aufklärungsposter und stand der Öffentlichkeit Rede und Antwort zu Problemen der oralen Gesundheit. Es war ein Tag, der sicher Wiederholung verdient.

Eine andere Form der Öffentlichkeit bietet seit 1983 der „Karlsruher Vortrag – Mund auf“. Dieser Vortrag geht auf eine Idee von Michael Heners zurück. In einem Interview in der Festschrift erinnert sich Winfried Walther an Heners Motive, die zur Gründung dieser Veranstaltung führten, die jetzt auf eine fast 40-jährige Tradition zurückblicken kann: „Die Akademie sollte zu einer richtigen Akademie werden: Das bedeutete für ihn, sie sollte über ihre fachliche Widmung hinaus gesellschaftliche Themen aufgreifen und vermitteln.“ Heners wollte mit dem Karlsruher Vortrag auch eine Einrichtung schaffen, durch die die Zahnärzteschaft zeigen kann, dass sie ihre gesellschaftliche Verantwortung erkennt und wahrnimmt.

Der Karlsruher Vortrag ist in der Stadt Karlsruhe eine feste Institution geworden. Mehrere Oberbürgermeister haben durch ihre wiederholte Teilnahme ihre Wertschätzung bekundet. Auch Vertreter der hohen Bundesgerichte und andere Institutionen in Karlsruhe sind regelmäßig vertreten. Michael Heners hat 23 Vorträge geleitet. Der letzte war der Vortrag von Mohamed ElBaradei im Jahr 2006. Der Referent brachte in seiner Einleitung zum Ausdruck, dass diese Initiative der Zahnärzte weit in die Gesellschaft ausstrahlt und Anerkennung hervorruft:

„The intriguing invitation I got from an advanced dental institute, to come to speak on complete different subjects than dentistry – was very intriguing to me. The fact that dentists are ready to reach out. Reach out to the rest of the world … and try to connect for the rest of people of different professions. ... They are finally understanding that all of us need to communicate. All of us need to reach out to all of us … Because at the end of the day we are just one human family.“

Die Tradition lebt ungebrochen fort. 2020 hat der neue Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Stefan Harbarth, zugesagt, den Karlsruher Vortrag „Mund Auf“ zu halten.

Prof. Dr. Med. Dent. Winfried Walther

Direktor

Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe

Lorenzstr. 7, 76135 Karlsruhe

winfried_walther@za-karlsruhe.de

Dr. Med. Dent. Dr. Phil. Hans Ulrich Brauer, M.A.

Zahnarzt, Fachzahnarzt für Oralchirurgie

Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe

Lorenzstr. 7, 76135 Karlsruhe

hansulrich_brauer@za-karlsruhe.de

140581-flexible-1900

Dr. med. dent. Hans Ulrich Brauer

Zahnarzt, Fachzahnarzt für Oralchirurgie
Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe
Lorenzstr. 7, 76135 Karlsruhe

140583-flexible-1900

Prof. Winfried Walther

Direktor
Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe
Lorenzstr. 7, 76135 Karlsruhe

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