Die Dental6Days in Stuttgart

Wie im aktuellen sportstudio, nur länger

Ist es möglich, ein digitales Fortbildungsformat für ein großes traditionelles Fortbildungsevent wie die Sommer-Akademie Stuttgart zu erfinden – und dabei nicht nur die Qualität der Wissensvermittlung, sondern auch die spezielle Atmosphäre der persönlichen Begegnungen und Gespräche zu übertragen? Meine Antwort als Direktor des Zahnmedizinischen Fortbildungszentrums (ZFZ) Stuttgart und Fortbildungsreferent der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg: Mit Sicherheit nicht zu 100 Prozent. Aber wir waren ziemlich nahe dran! Ein Rückblick auf die Dental6Days, die vom 4. bis 9. Oktober virtuell stattfanden.

Das Rezept des ZFZ im Corona-Jahr 2020: Die Dental6Days, angelehnt an die legendären 6-Tage-Rennen. Die Zutaten:

  • An sechs Tagen präsentiert je ein Referent ab 18 und ab 19.30 Uhr online jeweils zwei 45-Minuten-Vorträge mit anschließender Diskussion und fachlichem Austausch. Die Vorträge können live oder als Aufzeichnung – bis 14 Tage nach der Veranstaltung – abgerufen werden. Die Fortbildung ist kein Webinar, sondern wird aus einem Studio mit Gästen, die entweder anwesend oder live zugeschaltet sind, ausgestrahlt.

  • Zwischen den Vorträgen und zum Abschluss jedes Abends wird ein teils interaktives Rahmenprogramm aus Sport zum Mitmachen, Genuss (Cocktails mixen), Ehrungen (8. Deutscher Preis für Dentalhygiene) und Information (neue digitale Fortbildungsformate) eingestreut.

  • Dem Hauptprogramm wird eine virtuelle Dentalmesse vorgeschaltet, die täglich von 12 bis 22 Uhr geöffnet ist und einen ungestörten Kontakt mit Industrie und Handel ermöglicht.

  • Das Menü – insgesamt 30 Vorträge plus Rahmenprogramm – kann live oder zeitversetzt abgerufen werden. Von den Ausstellern wurden allein 18 Vorträge beigesteuert.

  • Über eine eigene Plattform können die Teilnehmer untereinander kommunizieren.

Die Resonanz war überwiegend positiv und reichte von „Pfiffiges Konzept, dass Neues gewagt wurde, dass man die Vorträge öfter anschauen kann, unterhaltsame Zwischeneinlagen“ über „gut gegliederte Online-Fortbildung, abwechslungsreich und in den Alltag gut integrierbar – hoffentlich im nächsten Jahr wieder“ bis hin zu „Ihr habt einen neuen Standard in der digitalen Fortbildung gesetzt – weiter so!“

Erreicht wurden rund 2.000 Personen

Erreicht wurden rund 2.000 Personen. Exakt können wir die Zugriffe nicht beziffern, da oft mehrere Teilnehmer die Fortbildung über den Praxis-Account an einem Bildschirm verfolgt haben. Davon übrigens 95 Prozent aus Deutschland, der Rest aus Österreich, der Schweiz, Italien, Frankreich, den USA, Belgien und den Niederlanden. Während der Veranstaltung wurden 5.400 Kongress-Seiten mit Live-Vorträgen, 2.800 On-demand-Seiten mit den aufgezeichneten Vorträgen sowie 2.500 Messeseiten aufgerufen. Außerdem wurden fast 3.400 CME-Punkte beantragt, davon 1.600 nach den Live-Vorträgen und 1.800 on demand. Selbst mehr als eine Woche nach dem Ende der Live-Veranstaltung haben sich noch immer Personen registrieren lassen! Wenn Sie nicht zu uns kommen können – dann kommen wir zu Ihnen!

Wenn Sie nicht zu uns kommen können – dann kommen wir zu Ihnen!

Motto der diesjährigen Dental6Days

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich plädiere nicht für eine Abschaffung von Präsenzveranstaltungen und ihren Ersatz durch Online-Fortbildungen! Dafür stehe ich selbst zu gerne auf der Bühne. Ich möchte aber ganz bewusst dem Eindruck entgegenwirken, qualitativ hochwertige zahnärztliche Fortbildung im Jahr 2020 könne nur in Präsenz stattfinden – ein Einwurf, der mir in letzter Zeit etwas zu häufig vorgebracht wird.

Natürlich ist Fortbildung immer auch Begegnung. Begegnung darf aber nicht verwechselt werden mit Präsenz! Man kann sich auch online begegnen! Und auf eine Präsenzfortbildung zur Erlangung oder Optimierung praktischer handwerklicher Fähigkeiten werden wir kurz- und mittelfristig mit Sicherheit nicht verzichten können. 

Muss das sein? Anreise, Übernachtung, Abreise

Aber ist es 2020 noch akzeptabel, dass junge Mütter – nahezu 80 Prozent unserer Fortbildungsteilnehmer sind Frauen; nahezu 100 Prozent der Mitarbeiter und 70 Prozent der Zahnärzte! – teilweise mehr als vier Stunden Anreise plus vier Stunden Abreise plus eine oder zwei Übernachtungen in Kauf nehmen, nur um einen Wochenendkurs mit überwiegend theoretischen Anteilen zu besuchen? Muss der Referent aus Greifswald in Stuttgart präsent sein? Vom Praxisausfall und der Umweltbelastung will ich hier gar nicht reden!

Ich bin der festen Überzeugung, dass Corona uns mehr Chancen bietet als Probleme. Dass wir gerade in einer Übergangszeit leben, die uns viele unserer Defizite bewusst macht und viele bereits laufende Entwicklungen beschleunigt. Ich glaube auch, dass diejenigen Fortbildungsanbieter, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und zeitnah reagieren, gestärkt aus dieser Krise hervorgehen werden.

Fazit: Viele Kollegen aus Kammer und Industrie, auch einige Fachjournalisten, haben mich zu den Dental6Days befragt: Was ist gut gelaufen, was könnte verbessert werden? Ist dieses Fortbildungsformat auf Pandemiezeiten beschränkt oder soll es in Zukunft beibehalten werden? Meine Antwort auf Basis der aktuellen Daten ist eindeutig: Dieses Fortbildungsformat hat mit Sicherheit Zukunft!  

  • Fortbildung: funktioniert online, abgesehen von praktischen Komponenten, die es bei Großveranstaltungen aber allgemein nur äußerst selten, meist gar nicht, gibt. Man hat seine Ruhe am häuslichen Schreibtisch, keine Fahrerei, keine Kosten für Übernachtungen, keine Abwesenheit von der Familie, keinen Praxisausfall, die Möglichkeit, anonym online Fragen zu stellen, die Möglichkeit on demand zu sehen.

  • Dentalausstellung: Das geht online vielleicht sogar besser! In unserem Format mit einer eigenen Plattform für die virtuelle Messe hatten Aussteller wie Teilnehmer ein Vielfaches an Kontaktzeit im Vergleich zu einer Präsenzveranstaltung. Diese Plattform wurde stark frequentiert, hier gab es – auch seitens der Dentalaussteller – positive Noten!

  • Entertainment: Die Reaktionen auf die Physioübungen im Studio, auf die vorproduzierten Einspieler zu den Cocktails, auf die Verleihung des Deutschen Preises für Dentalhygiene und auf die Live-Interviews aus dem Studio waren ausnahmslos positiv! Letztlich funktionierte alles wie im aktuellen sportstudio, nur sechs Tage hintereinander.

  • Begegnung: Das ginge – virtuell – grundsätzlich natürlich auch. Wir hatten auch extra eine Plattform dafür eingerichtet, die aber trotz intensiver Bewerbung nicht genutzt wurde. Ich gehe davon aus, dass Kontakte während der Dental6Days über die privaten Netzwerke erfolgt sind. Dies konnten wir über entsprechende Einträge bei Facebook und Instagram immer wieder verfolgen.

Der Aufwand hinter den Kulissen ist riesig

Letztlich ist der Aufwand hinter den Kulissen beträchtlich. Eine virtuelle Dentalausstellung, die täglich ab mittags geöffnet ist, ein Hauptprogramm von 18 bis 21 Uhr über eine knappe Woche – das ist in der Tat grenzwertig und erfordert das ganze Engagement des Teams einschließlich externer Spezialisten über Monate. Aber es lohnt sich! Ich kann nur dazu ermutigen, diesen oder ähnliche Schritte zu gehen!

Prof. Dr. Johannes Einwag

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Dr. Johannes Einwag

Direktor des Zahnmedizinischen Fortbildungs- Zentrums Stuttgart (ZFZ Stuttgart)

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