Sein Gebiss hält 150 Kilogramm
Er hängt kopfüber am Trapez, verbunden nur durch ein Mundstück schwebt seine Frau Vita durch die Manege. In einer Variation der artistischen Nummer hängt an seinem Mundstück ein eineinhalb Meter langes Seil, an dessen Ende sie kopfüber hängt. Musikalische Untermalung: „You can leave your hat on“.
Seinen Zweitnamen „Iron Jaw“ muss man nicht weiter erklären, seine Frau firmiert unter „Iron Lady“. Der Rumäne sagt fröhlich: „Wir haben keinen einzigen Tag in unserem Leben gearbeitet.“ Das würden Dritte vermutlich ein wenig anders einschätzen. Denn ein Tag ohne hartes körperliches Training ist für die beiden kein perfekter Tag. Und für die Arbeit hinderlich, denn wer rastet, der rostet in diesem Fall zwar nicht unbedingt, aber Kondition und Aufmerksamkeit müssen kontinuierlich geschult werden.
Versichert sind die beiden während ihrer Auftritte in zehn Metern Höhe ohne Netz nicht: „Es gibt keine Versicherung, die dieses Risiko versichern würde. Und wenn, wäre es sowieso viel zu teuer.“ Also vertrauen die beiden auf ihr Können und die Leidenschaft für ihren Beruf.
„Alles, was wir brauchen, ist das Adrenalin!“
An Optimismus und Durchhaltevermögen fehlt es den beiden jedenfalls nicht. „Wir lieben unseren Job, in zehn Minuten in der Arena geben wir alles. Alles, was wir brauchen, ist das Adrenalin.“ Zuletzt begeisterten die beiden die Besucher im Weihnachtszirkus in Lörrach. Ihr Auftritt wird gern als „Thriller unter der Zirkuskuppel“ angekündigt, sie treten ohne Longe oder Sicherheitsnetz auf, begeistern mit ihren Balancekünsten an der Perch (Sitzstange). Die Nummern, mit denen die beiden durch die Welt reisen, haben sie von Leonardos Eltern übernommen, die damit vor 40 Jahren das Publikum begeisterten.
„Ich bin Artist in der neunten Generation“, erzählt Costache. Seine Frau entstammt einer ukrainischen Artistenfamilie, ihre Eltern waren Zauberer und Tiertrainer, sie wurde in Kiew an der „Circus Art Academy“ ausgebildet.
The Jaw hat einen Bachelor in Regie und einen Master in Drehbuch und Schreiben. Die beiden haben sich 2003 in Bukarest kennengelernt, geheiratet, Tochter Anastasia und Leonardos Mutter Nadia sind auf Reisen immer mit dabei. Nadia, selbst erfahrene Artistin, sorgt vor und während der Auftritte des Duos Costache für die Sicherheit von Sohn und Schwiegertochter. Rund zehn Monate im Jahr ist die kleine Künstlerfamilie weltweit unterwegs, teils im Zirkuswagen, teils wohnen sie in Hotels.
Weltrekord für drei Fänge pro Sekunde
„Das ganze Gesicht kann trainiert werden“, erklärt Leonardo Costache, „das Gesicht hat viele Muskeln, der stärkste ist der Kiefermuskel. Den brauchen wir, wenn wir sprechen, kauen oder einfach einmal den Mund halten. Der anstrengendste Teil unseres Auftritts ist, wenn wir zehn Meter über dem Boden hängen und ich mit meinen Zähnen mich und Vita festhalte.“
Damit wären 99 Prozent der Menschen restlos überfordert, das Duo Costache legt noch einen drauf: „Nadia dreht vier Hula-Hoop-Reifen, ich jongliere mit drei Keulen.“ Aktuell hält das Artistenpaar zwei Weltrekorde im „Guinness Buch der Rekorde“. Beide haben mit der Fähigkeit zu tun, an den eigenen Zähnen zu hängen.
Innerhalb einer Minute schaffte Leonardo es für den Guinness-Eintrag, an seinen Zähnen hängend beim Jonglieren 195-mal eine Keule aufzufangen. Das sind drei Fänge pro Sekunde. Einen Rekord, den er früher hielt, hat ihm mittlerweile seine Ehefrau abgenommen: Sie schaffte es, länger als sieben Minuten an den Zähnen zu hängen. Gelernt hat sie es von ihrem Ehemann.
The Jaw und Iron Lady haben vor vielen Jahren ganz klein angefangen. „Mit leichten Gewichten, wir haben das Gewicht ganz langsam erhöht. Wichtig ist, dass man dabei nie daran denkt, wo die Reise hingeht – der Umstand nämlich, dass ich 150 Kilogramm mit den Zähnen halten möchte. Wichtig ist, dass man jeden Tag trainiert, Pausen macht. Und dann, wenn du genug Ausdauer, Talent und Mut hast, wird es eines Tages klappen.“ Das tägliche Training dauert 30 Minuten.
Zahnpflege nach Art der Artisten
Besondere Tipps bezüglich der Zahnpflege möchte The Jaw nicht geben. „Wir machen nichts Außergewöhnliches. Wir putzen unsere Zähne zweimal täglich, verwenden dabei zwei verschiedene Zahnbürsten, um sicherzustellen, dass die Zähne sauber werden. Ein- bis zweimal im Jahr gehen wir zur Kontrolluntersuchung zum Zahnarzt.“
Kann das eigentlich jeder machen?
„Die Kaumuskulatur der Artisten muss bei einem Auftritt wie jenen des Duos Costache viel aushalten. Was dieser Mann mit seinen Zähnen schafft, ist gewaltig. Man braucht Zähne, die parodontal fest sind – mit lockeren Zähnen würde es nicht funktionieren“, sagt Prof. Ingrid Peroz, Oberärztin an der Abteilung für zahnärztliche Prothetik, Alterszahnmedizin und Funktionslehre an der Charité in Berlin.
Sie erläutert: „Bei 150 Kilogramm Gewicht, das gehalten wird, werden Kräfte von rund 1.500 Newton (N) benötigt, die von Leonardo Costache ‚gestemmt‘ werden müssen. Zum Vergleich: Beim normalen Kauen einer Speise braucht der Mensch maximal 100 N, die maximale Kaukraft eines Menschen liegt bei 500 bis 800 N. Die hauptsächlich beteiligten Muskeln sind die drei Mundschließer, also der Musculus masseter, der Musculus temporalis und der Musculus pterygoideus medialis.
“Wenn man viel trainiert, könne das rein theoretisch jeder Mensch schaffen, der okkludierende Zahnreihen, gesunde Kiefergelenke und ein gesundes Parodont hat, das sind die wichtigste Voraussetzungen, sagt Peroz. „Möglicherweise würde es mit durch Implantate ersetzten Zähnen funktionieren, auf keinen Fall jedoch, wenn Zähne durch herausnehmbare Prothesen ersetzt sind. Auch das Alter spielt eine wichtige Rolle. Wenn man älter wird, nehmen die für den Aufbau und Erhalt der menschlichen Knochen und Muskulatur wichtigen Hormone ab. Ich denke, dass man diese Artistennummer deshalb nicht bis ins hohe Alter machen kann.“