So bereiten Sie sich auf Notfälle vor
Zum Glück treten Notfallereignisse im Behandlungsalltag selten auf. Dennoch, muss ein Zahnarzt bei einer 30-jährigen Berufstätigkeit statistisch mit 12 bis 15 Notfällen rechnen, die einerseits eine spezielle Reaktion des Praxisteams und andererseits den Einsatz von Notfallmedikamenten und die Verwendung bestimmter Notfallinstrumente erfordern.
Verstärkt wird diese Problematik durch den Anstieg an mehrfach medikamentierten und multimorbiden Patienten, da sich der Bevölkerungsanteil der 80-Jährigen von 5 Prozent im Jahr 2013 auf 8 Prozent im Jahr 2030 erhöhen wird [Schieren, 2011; Statistisches Bundesamt, 2015]. Somit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit derartiger Ereignisse und es stellt sich die Frage der richtigen Vorbereitung. Dabei sollte man auch beachten, dass man als Zahnarzt gesetzlich dazu verpflichtet ist, sich auf Notfälle vorzubereiten, die im Rahmen der eigenen Tätigkeit auftreten können [BZÄK, 2018].
Die vorliegende Ausrüstungsempfehlung soll niedergelassenen Zahnärzten eine Orientierungshilfe geben, wie sie sich umfassend auf Notfallereignisse vorbereiten und das Notfallkonzept ihrer Praxis gestalten beziehungsweise individuell ergänzen können. Dabei wurde Wert darauf gelegt, dass nach Möglichkeit mit oral einfach verabreichbaren Medikamenten reagiert werden kann und für schwere Verläufe dennoch eine kleine Auswahl an parenteral verabreichbaren Medikamenten zur Verfügung steht. Man erhält somit eine umfassende und zugleich relativ kostengünstige Notfallausstattung, wenn man die empfohlenen Ausrüstungsgegenstände einzeln bestellt und auf den relativ teuren Defibrillator verzichtet.
Studienergebnisse
In einer Querschnittsstudie des Universitätsklinikums Ulm, an der sich 202 Zahnärzte und Zahnärztinnen beteiligten, haben wir erfragt, welche Notfallmedikamente und Ausrüstungsgegenstände in den Praxen vorhanden sind und wann diese zum letzten Mal eingesetzt wurden.
Die Ergebnisse zeigen, dass intravenös verabreichbare Notfallmedikamente von den Kollegen – auch wenn diese in der Praxis zur Verfügung stehen – äußerst selten angewendet werden. Hierfür ist neben den teils höchst komplexen Wirkmechanismen sicherlich auch die Unsicherheit bei der Venenpunktion verantwortlich. Hinzu kommt, dass die allermeisten zahnärztlichen Kollegen nur über wenig Routine im Legen von intravenösen Zugängen verfügen [Müller, 2009].
In 92 Prozent der Praxen, die an der Umfrage teilnahmen, findet ein Training auf Notfallereignisse statt, das meist von einem externen Dozenten durchgeführt wird. Mit 62 Prozent sind kardiovaskuläre Symptomatiken die mit Abstand am häufigsten im Notfall auftretenden Komplikationen. Dagegen machen die aufgrund ihrer Schnelligkeit und Unberechenbarkeit gefürchteten allergischen Reaktionen nur 12 Prozent der Ereignisse aus.
Die fundierte Erstversorgung in den ersten 20 Minuten
Die empfohlene Zusammenstellung zur Notfallausrüstung ist so konzipiert, dass die Praxis auf alle erwartbaren Notfallsituationen reagieren kann und der Behandler dennoch bei der Vielzahl unterschiedlicher Medikamente und Ausrüstungsgegenstände nicht den Überblick verliert.
Ziel ist es, mit der empfohlenen Ausrüstung eine fundierte Erstversorgung in den ersten 20 Minuten nach Eintritt des Notfallereignisses zu gewährleisten. In diesem Zeitraum erfolgt bestenfalls eine so gute Stabilisierung des Patienten, dass er nach Hause entlassen werden kann. Falls das nicht der Fall ist, steht in fast allen Teilen Deutschlands innerhalb dieses Zeitraums professionelle Hilfe vonseiten der Rettungsdienste zur Verfügung.
In unserer Empfehlung folgen häufig benötigte Medikamente und Ausrüstungsgegenstände, die in den Praxen eingesetzt werden und so ergänzt sind, dass eine umfassende Erstversorgung sämtlicher erwartbarer Ereignisse gewährleistet ist.
Die Empfehlung teilt sich dabei in drei Gruppen auf:
oral verabreichbare Medikamente
parenteral verabreichbare Medikamente
Notfallinstrumente
Eine gewisse Sonderrolle nimmt bei den Notfallinstrumenten der Defibrillator ein, denn hier reicht unseres Erachtens auch ein unmittelbarer Zugang etwa durch die Lage der Praxis in einem Ärztehaus aus. Bei den genannten Produkten handelt es sich ausdrücklich um Beispiele, die selbstverständlich durch gleichwertige Produkte anderer Hersteller ersetzt werden können.
Training für den Notfall
Neben der Ausstattung ist es unserer Ansicht nach sehr wichtig, dass das Praxisteam regelmäßig Notfallsituationen trainiert. Hierbei sollte genau festgelegt werden, wer welche Aufgabe übernimmt.
Außerdem sollte neben dem Telefon eine Checkliste mit den bekannten W-Fragen angebracht werden. Für die Praxis empfehlen wir folgenden Ablauf im Fall einer Notfallsituation, wobei das Prozedere individuell an die jeweilige Praxis angepasst werden sollte:
Der Zahnarzt bleibt während der gesamten Notfallsituation beim betroffenen Patienten.
Mitarbeiter 1 kümmert sich um die Alarmierung des Rettungsdienstes, mit dem konkreten Hinweis, dass ein Notarzt benötigt wird. Dieser Mitarbeiter nimmt den Notarzt auch in Empfang und bringt ihn zum Patienten.
Mitarbeiter 2 holt die Notfallausstattung und bereitet diese am Ort des Geschehens vor. Falls zeitlich möglich, werden auch bewegliche Einrichtungsgegenstände wie OP-Mikroskope, Endomotoren auf externen Wägen oder Stühle zur Seite geräumt, um Platz für die Notfallbehandlung zu schaffen.
Mitarbeiter 3 bleibt ebenfalls beim Patienten und hält sich zur Unterstützung des Zahnarztes bereit. Solange der Patient ansprechbar ist, wird er beruhigt.
Mitarbeiter 4 übernimmt die Betreuung der anderen Patienten. Diese werden grob über eine Verzögerung informiert, wobei unseres Erachtens nach zur Vermeidung von Unruhe oder Sensationsgier das Wort Notfall vermieden werden sollte. Die Türen des Wartezimmers sollten geschlossen werden, um einen ungestörten Ablauf zu gewährleisten.
Fazit
Notfallsituationen sind in Zahnarztpraxen zwar sicherlich nicht die Regel, aber leider auch bei bester Patientenbetreuung von der Anamnese bis zum Behandlungsabschluss nicht völlig auszuschließen. Eine umfassende Notfallausstattung und ein trainiertes Team stellen bei der Bewältigung der Situation die entscheidenden Faktoren dar, die eine professionelle Reaktion ermöglichen.
Das Wissen, dass alle in der Praxis auf Notfallsituationen gut vorbereitet sind, verschafft dabei sowohl dem Behandler selbst als auch dem Praxisteam Sicherheit und Ruhe für eine optimale Patientenbetreuung.
Johannes Weber
Sektion Notfallmedizin, Universitätsklinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Ulm
89070 Ulm
johannes.a.weber@web.de
Prof. Dr. med. Claus-Martin Muth
Sektion Notfallmedizin, Universitätsklinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Ulm
89070 Ulm
Literaturliste:
1. BZÄK, 2018 - Kurz P, Maag A, Schulte M: Kommentar zur Muster-Berufsordnung der Bundeszahnärztekammer S. 9 https://www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/b/mbo-kommentar.pdf 2. Müller S: Notfallmanagement in der Zahnarztpraxis. 2. Auflage, Spitta, Balingen, S.36-168 (2009)
3. Statistisches Bundesamt, 2015: 13. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung: S.21 4. Schieren W: Notfallmanagement in Zahnarztpraxen – Teil 1, 12.01.2011 5. Weber J: Maßnahmen zur Verbesserung des Notfallmanagements in Zahnarztpraxen durch Ergänzung und Vereinheitlichung der Notfallausrüstung sowie ein systematisches Training des Praxisteams auf Notfallsituationen (Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Zahnmedizin der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm, 2019)