Was Parodontitis und rheumatoide Arthritis verbindet
Verschiedene Studien erbrachten den Nachweis, dass Rheumapatienten unter schwereren Verlaufsformen einer Parodontitis leiden als Kontrollgruppen ohne rheumatische Grunderkrankung [Mercado et al., 2000; de Pablo et al., 2009; Reichert et al., 2013]. Patienten mit Parodontitis wiederum sind anfälliger für eine rheumatoide Arthritis verglichen mit gesunden Personen [Mercado et al., 2000]. Die nicht-chirurgische Therapie der Parodontitis hat positive Effekte auf die rheumatischen Beschwerden von Patienten, die an beiden Erkrankungen leiden [Cosgarea et al., 2019]. Umgekehrt beeinflusst eine Rheumatherapie die Parodontitis positiv [Kobayashi et al., 2014]. Doch warum ist das so?
Eine mögliche Schnittstelle könnten genetische Variationen von Entzündungsmediatoren (Zytokine) sein, die in der Immunantwort auf Pathogene eine wichtige Rolle spielen [Kobayashi et al., 2018]. Häufig kommt es in den Genen, die diese Entzündungsmediatoren kodieren, nur zum Austausch einzelner Nukleotide (Einzelnukleotidpolymorphismen – SNPs). Der Gendefekt allein löst in der Regel keine Erkrankung aus, kann aber ihren Beginn, Verlauf oder das Ansprechen auf eine Therapie beeinflussen.
Eine Forschergruppe der Universitätspoliklinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie in Halle hat nun in einer Studie bei Rheumatoidarthritis- und Parodontitis-Patienten nach Hinweisen auf ein gemeinsames genetisches Profil gesucht, das mit einer erhöhten Anfälligkeit für diese beiden Erkrankungen verbunden sein könnte. Dafür untersuchten sie SNPs in Genen für eine Reihe pro- und antientzündlicher Zytokine (Interleukin[IL]1alpha, IL1beta, IL1R, IL2, IL4, IL1RA, IL-4Ralpha, IL6, IL10, IL12, Interferon[IFN]gamma, Transforming Growth factor [TGF] beta und Tumor Nekrosis Factor [TNF] alpha), die an der Entstehung beider Erkrankungen beteiligt sind.
Material und Methode
Insgesamt banden die Forscher 201 Personen in die Studie ein. 101 davon litten an Rheumatoidarthritis und bildeten eine Versuchsgruppe. Zusätzlich litten sie unter schwerer Parodontitis (approximaler Attachmentverlust von größer/gleich 5 mm bei über 30 Prozent der Zähne; n = 25) oder unter leichter Parodontitis (approximaler Attachmentverlust von größer/gleich 3 mm an zwei oder mehr nicht benachbarten Zähnen; n = 76). Weitere 100 Probanden bildeten die Kontrollgruppe. Sie hatten keine rheumatoide Arthritis und auch keine oder eine nur milde Parodontitis.
Für die genetische Untersuchung nahmen die Wissenschaftler den Probanden Blut ab. Daraus extrahierten sie chromosomale DNA, um SNPs auf den Zytokin-Genen zu untersuchen. Weiterhin entnahmen sie subgingivale Plaque-Proben und testeten diese molekularbiologisch auf das Vorkommen von fünf parodontalen Markerbakterien, unter anderem Porphyromonas gingivalis (P.g.).
Ergebnisse
Klinisch betrachtet waren die Patienten mit Rheumatoidarthritis älter, rauchten häufiger und es gab mehr Frauen unter ihnen als in der gesunden Kontrollgruppe. Die Rheumatoidarthritis-Patienten wiesen höhere Sondierungstiefen und einen stärkeren Attachmentverlust auf. Diejenigen mit schwerer Parodontitis waren häufiger Männer. Sie waren meistens älter und rauchten häufiger als die Rheumatoidarthritis-Patienten mit leichter Parodontitis, diese Unterschiede waren aber nicht signifikant.
Auf genetischer Ebene gab es in der Rheumatoidarthritis-Testgruppe signifikant mehr G-Allel-Träger sowohl im SNP rs1801275 im Interleukin-4-Rezeptor alpha (IL4R alpha) als auch im SNP rs361525 im Tumor-Nekrose-Faktor-alpha (TNFalpha) als in der Vergleichsgruppe. Bezogen die Forscher das Alter, das Geschlecht, den Raucherstatus und das Auftreten von P. g. als Kovariablen in einer multivariaten Auswertung mit ein, zeigten sich die genetischen Varianten nicht als unabhängige Risikofaktoren für eine rheumatoide Arthritis. Allerdings konnten zunehmendes Alter, das weibliche Geschlecht, das Rauchen und das Auftreten von P. g. als signifikante Risikofaktoren für rheumatoide Arthritis ermittelt werden.
In einer zweiten Untersuchung suchten die Wissenschaftler nach einem Zusammenhang zwischen Genvariationen und der Schwere der Parodontitis innerhalb der Rheumatoidarthritis-Gruppe. Patienten, die unter schwerer Parodontitis litten, waren häufiger A-Allel-Träger im SNP rs240561 im Gen für Interferon gamma (IFN gamma), gegenüber den Probanden, die keine oder nur eine leichte Parodontitis hatten. Ein höheres Alter, das männliche Geschlecht, Rauchen und die höhere Inzidenz von P. g. – allerdings nicht das Vorkommen des A-Allels in IFN gamma– erwiesen sich in einer Multivarianzanalyse als prädisponierende Faktoren, eine schwere Parodontitis zu bekommen. Verglichen die Forscher Patienten, die gleichzeitig unter Rheuma und Parodontitis litten, mit denen, die keine rheumatoide Arthritis hatten, war das A-Allel signifikant stärker mit beiden Erkrankungen assoziiert.
Diskussion
Die rheumatoide Arthritis weist wie die Parodontitis eine multifaktorielle Pathogenese auf. Zwillingsstudien zeigten, dass genetische Ursachen zu 50 Prozent das Risiko bestimmen, an Rheumatoidarthritis [Scott et al., 2010] und Parodontitis [Michalowicz et al., 1991; Laine et al., 2010] zu erkranken.
Bei einigen bereits bekannten klinischen Risikoparametern für das Auftreten von Rheumatoidarthritis und Parodontitis geht die Studie konform mit der Literatur. Zum Beispiel, dass das Auftreten von Rheumathoidarthritis mit zunehmendem Alter steigt [Agnihotri und Gaur, 2014] und dass gerade Frauen im vierten und im fünften Lebensjahrzehnt betroffen sind [Austad et al., 2015]. Das Rauchen, insbesondere bei genetischer Prädisposition, wurde schon von anderen Forschern als wichtiger Risikofaktor für rheumatoide Arthritis identifiziert [Kallberg et al., 2011]. Dass das Alter, der Raucherstatus und das männliche Geschlecht Hauptrisikofaktoren sind, eine schwere Parodontitis zu bekommen, zeigt eine frühere Untersuchung [Genco und Borgnakke, 2013] ebenso wie auch die vorliegende Studie.
Bei den genetischen Risikofaktoren blieb die Varianz im IL4R alpha- und TNF-alpha-Gen nicht signifikant, wenn mehrere weitere Risikoparameter für die rheumatoide Arthritis mit in die Auswertung einflossen. Das deutet darauf hin, dass genetische Varianten eine untergeordnete Rolle gegenüber Faktoren wie zunehmendes Alter, weibliches Geschlecht, Rauchen und dem Auftreten von P. g. im Zusammenhang mit Rheumatoidarthritis spielen.
Die aktuelle Studie aus Halle bestätigt in dieser Hinsicht das etablierte Risikomodell für eine rheumatoide Arthritis [Agnihotri und Gaur, 2014; Austad et al., 2015; Kallberg et al., 2011]. In der Studie ermittelten die Wissenschaftler jedoch das A-Allel des SNPs rs240561 in IFN gamma als Risikoindikator für eine schwere Parodontitis bei Rheumatoidarthritis-Patienten. Auch andere Untersuchungen zeigten bereits, dass IFN gamma und die damit verbundenen Signalwege den Abbau von Hart- und Weichgeweben des Parodontiums fördern und den Knochenschwund induzieren [Mizraji et al., 2017; Tanaka et al., 2012]. Diese Signalwege sind wichtige Merkmale in der Ätiologie entzündlicher Erkrankungen, einschließlich Parodontitis [Fiorillo et al., 2018] und rheumatoider Arthritis [Rönnblom und Eloranta, 2013].
Fazit
Die Ergebnisse untermauern die Annahme, dass der SNP rs2430561 des entzündungsfördernden Zytokins IFN gamma ein gemeinsamer genetischer Risikofaktor für Parodontitis und Rheuma darstellt. Das ist ein neues Argument für die Hypothese eines gemeinsamen entzündlichen Prozesses, der den beiden Erkrankungen zugrunde liegt. Weitere Studien müssen allerdings in größeren Kohorten erst zeigen, dass diese Ergebnisse reproduzierbar sind.
Dr. Kerstin Albrecht
Quelle:
Susanne Schulz, Natalie Pütz, Elisa Jurianz, Hans-Günter Schaller and Stefan Reichert: „Are There Any Common Genetic Risk Markers for Rheumatoid Arthritis and Periodontal Diseases?” A Case-Control Study. Mediators of Inflammation, Volume 2019, Article ID 2907062, 11 pages doi.org/10.1155/2019/2907062