Azubis mit ausländischen Wurzeln in der Praxis

Eine Win-win-Situation

Wie erklärt der Patient seine Schmerzen, wenn er nicht gut Deutsch spricht? Schwierig! Gut, wenn die eine oder andere Praxismitarbeiterin übersetzen kann. Dr. Emad Khalouf ist niedergelassen in Berlin, Dr. Olga Weber in Tübingen. Beide setzen in ihren Teams auf Zweisprachigkeit und interkulturelle Verständigung: Sie bilden verstärkt Frauen mit Migrationshintergrund und auch Geflüchtete zur ZFA aus.

Seit 18 Jahren stellt Khalouf in seiner Praxis in Berlin-Wedding Auszubildende ein, die einen Migrationshintergrund haben oder nach Deutschland geflüchtet sind. Er berichtet, wie Integration in und durch die Ausbildung funktionieren kann: Seine Erfahrungen sind durchweg gut. Was er als Chef von seinen Auszubildenden erwartet? „Auf Disziplin lege ich großen Wert. Kommt die von Haus aus nicht mit, bringe ich das innerhalb der ersten drei Monaten bei“, sagt er augenzwinkernd. „Alles andere läuft dank des Engagements der Azubis ziemlich gut und harmonisch.“

In der Großpraxis „Zahnzentrum in Berlin“ sind mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigt. Der Umgang unter den Azubis sei allgemein sehr gut. „Sie ergänzen sich bei der Arbeit, organisieren sich eigenständig und die meisten sind auch privat befreundet“, erzählt Khalouf. „Ich würde fast sagen, sie sind wie Schwestern zueinander. Aus ihrer Kultur bringen sie den Familiensinn und den Zusammenhalt mit.“

Hintergrund

Mit rund 15,7 Prozent weisen die Freien Berufe seit Jahren den höchsten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund unter allen Ausbildungsbereichen auf. Die Bundesagentur für Arbeit und der Bundesverband der Freien Berufe haben als Partner der Allianz für Aus- und Weiterbildung in diesem Jahr den „Sommer der Berufsbildung“ veranstaltet. Im zweiten Jahr der Corona-Pandemie will man gezielt für die duale Berufsausbildung werben und möglichst viele junge Menschen in Ausbildung bringen.

Quelle: BFB

Der Zahnarzt hat syrische Wurzeln, seine Eltern stammen aus Aleppo. Er selbst ist in Berlin geboren, aufgewachsen und hat hier studiert. Dass er mit beiden Kulturen vertraut ist, erleichtere ihm die Führung seines multikulturellen Teams, meint er. Neben Arabisch und Türkisch wird in der Praxis auch Englisch, Französisch und Spanisch gesprochen. „So verbessert sich natürlich nach und nach die Sprache“, stellt Khalouf fest. Den nicht deutschsprachigen Patienten richtig zu verstehen und zu beraten, sei im Übrigen auch juristisch wichtig. 

So geht die Investition für beide Seiten auf

Neben der Ausbildung ermöglicht Khalouf den ZFA auch Weiterbildungen, etwa zur Verwaltungsfachangestellten oder zur zahnmedizinischen Prophylaxeassistentin. Ganz wichtig sei ihm, die Azubis zu übernehmen. „Ich behalte eigentlich alle hier. So geht die Investition für beide Seiten auf.“

Bei unserem Besuch in seiner Praxis stellt er uns zwei seiner Azubis vor: Nour (20) aus Damaskus, die mit ihrer Familie 2015 nach Deutschland floh und nach der Ausbildung gerne noch Zahnmedizin studieren möchte, und Huda (20), eine junge Palästinenserin aus Libyen, die schon immer ZFA werden wollte und auch vom Studium träumt. Beide hatten sich proaktiv bei der Praxis beworben. Beide sprechen bereits gut Deutsch, haben aber nach wie vor Respekt vor den sprachlichen Herausforderungen, besonders bei zahnmedizinischen Fachbegriffen. Hoda ist noch unsicher , ob ihr ein Studium gelingen wird. Nour „verlor“ nach der Flucht ein Jahr, weil sie erst Deutsch lernen musste. 

Diese Höflichkeit liegt ihnen im Blut

Nour ist angekommen und fühlt sich hier wohl, sagt sie – was auch daran liege, dass ihre Familie mit nach Deutschland kam. „Nach meiner Ausbildung bin ich bereit, auch in einem fremden Land zu studieren.“ Khalouf lobt: „Sie ist ein Vorbild für funktionierende Integration – was will man mehr? Das unterstütze ich gerne. Beide sind sehr motivierte und engagierte Azubis.“ Patienten ihrer Kultur und Muttersprache begegnen ihnen laut Khalouf oft „wie Tante und Onkel“. „Auch in schwierigeren Situationen, etwa wenn sich ein Patient beschwert – und das kommt schon mal vor in einer größeren Praxis – bleiben sie ruhig und wirken deeskalierend“, beschreibt Khalouf das Auftreten seiner Mitarbeiterinnnen. „Diese sehr höfliche, zuvorkommende und gastfreundliche Art haben sie im Blut.“

Damit sie Deutsch lernen, stellt Khalouf im Praxisalltag Azubi-Teams aus unterschiedlichen Lehrjahren zusammen. Hoda berichtet: „Viele Patienten fühlen sich einfach wohler, wenn wir auf Arabisch mit ihnen sprechen.“ Für die Kolleginnen und Kollegen sind sie die Übersetzerinnen während der Behandlung, und sie machen auch Termine für die Arabisch sprechenden Patienten.

„Die Patienten nehmen die Azubis sehr gut an!“

„Es gibt einige Konflikte, da man zu wenig von der anderen Kultur und Religion weiß. Wenn man sich darüber informiert und miteinander spricht, geht vieles einfacher. Die Patienten nehmen die Azubis sehr gut an. Viele fragen nach dem Herkunftsland und so kommt man ins Gespräch. Azubis mit Migrationshintergrund sind eine Bereicherung für die Praxis, weil sie als Dolmetscher fungieren können und sich dadurch auch akzeptiert fühlen. Für eine bessere Integration können auch Zahnärzte in ihrer Praxis sorgen: Wichtig ist, für die Teambesprechung alle mit ins Boot zu holen. Ferner ist es von Vorteil, den Azubis eine Tutorin zuzuteilen, die für sie zuständig ist. Wichtig ist auch, klare Regeln aufzustellen. Insgesamt sollte man sich mehr über andere Kulturen und Religionen informieren: Es ist gut, zu wissen, wie die Rolle der Frau in dem jeweiligen Land aussieht.“

Sylvia Gabel, Referatsleitung Zahnmedizinische Fachangestellte beim Verband medizinischer Fachberufe (VmF)

Was aber könnte noch besser laufen, um Integration und Ausbildung erfolgreich zu verbinden? Khalouf kritisiert zunächst, dass die Anzahl der Azubis gedeckelt ist: Von 20 Angestellten sind in seiner Praxis sieben Azubis. Er würde gerne noch mehr jungen Menschen über ihre Zweisprachigkeit den Einstieg ins Berufsleben ermöglichen. Außerdem sei es unpraktisch, dass die Berufsschule so viel Raum einnimmt und die Auszubildenden zweimal in der Woche aus dem Praxisalltag reißt. „Das könnte komprimierter stattfinden und der praktische Teil sollte an erster Stelle stehen“, fordert Khalouf. Auch für die Planung des Praxismanagements der Ausbildungspraxen sei es praktischer, wenn die Schule in Blöcken stattfindet. „Drei Jahre empfinde ich als zu lang für die Ausbildung. Die Zeit sollte verkürzt und der schulische Teil verschlankt werden. So können wir auch dem Azubi-Mangel und den steigenden Ansprüchen an die Gesundheitsberufe durch den demografischen Wandel entgegenwirken.“

Und wie wird der ZFA-Beruf angesichts des Nachwuchsmangels attraktiver? Klar: Geld, Wertschätzung und eine Perspektive seien zentral. „Wir hier in der Praxis geben die Perspektive zur Weiterbildung und damit Entwicklungschancen“, erklärt Khalouf. Den anderen Teil müssten die Institutionen ermöglichen. Sein Vorschlag: Die klassische ZFA-Ausbildungsstruktur aufbrechen und auf ein modulares, individuelleres System setzen. 

Man spricht auch Schwäbisch

Auch Dr. Olga Weber beschäftigt gemeinsam mit ihrem Praxispartner Dr. Max Kochendörfer seit Jahren Auszubildende aus dem Ausland. In ihrer Praxis am nördlichen Rand von Tübingen haben sie damit ebenfalls gute Erfahrungen gemacht. „Wir investieren allerdings viel Zeit und Geduld.“ Aktuell kommen ihre Mitarbeiterinnen aus der Türkei und Russland, zuvor hatten sie auch Azubis aus dem Libanon und Eritrea. Im Team aus drei Zahnärzten und zehn Mitarbeiterinnen wird neben Deutsch und Englisch auch Russisch, Italienisch, Kroatisch, Albanisch, Türkisch und sogar Schwäbisch gesprochen.

Regelmäßig kommen alle zusammen und überlegen, was gut läuft und was besser laufen könnte im gemeinsamen Umgang. Denn Missverständnisse könnten allein durch die verschiedenen kulturellen Hintergründe leicht entstehen, macht Weber deutlich. Was der eine als unhöflich und verletzend empfindet, könne für den anderen ein normaler Umgangston sein. „Die Art der Kommunikation unterscheidet sich im Praxisalltag je nach Kultur“, stellt die Zahnärztin fest. „Aber die gemeinsame Kommunikation ist wesentlich dafür, dass wir hier alle miteinander gut auskommen.“ Also bittet die Praxisinhaberin bei Problemen zum Gespräch und hört sich an, was die Auszubildenden zu Hause und in der Berufsschule so beschäftigt.

Damit die Arbeit in der Praxis, die Schule und der Sprachkurs unter einen Hut passen, versuchen Weber und ihr Partner so flexibel wie möglich zu sein. „Man kann natürlich nicht immer alles perfekt im Praxisalltag organisieren, aber wir finden meist eine Lösung.“ Zum Beispiel im Ramadan: Dann wüssten die anderen, dass für eine Kollegin die Fastenzeit beginnt, und sie bekommt den Rückzug, den sie braucht – oder sogar Urlaub. Dass sie ein Kopftuch trägt, werde völlig akzeptiert. Auch von den Patienten? „Ja“, sagt Weber. „Wir stellen unsere Azubis auch jedem neuen Patienten vor.“ Dann fielen in aller Regel Vorurteile oder Hemmnisse. „Wir erfahren im Gegenzug viel Verständnis und sehr positives Feedback, wenn wir erklären, dass wir den Frauen mit der Ausbildungsmöglichkeit eine sichere Zukunft geben können“, verdeutlicht Weber. 

Gute Erfahrungen bringen Selbstvertrauen

Das größte Problem sei am Anfang die Sprachbarriere. „Das verunsichert natürlich,“ sagt Weber. Die Praxischefin motiviert, dranzubleiben und Deutsch zu lernen. „Irgendwann platzt dann der Knoten und mit den ersten guten Erfahrungen kommt auch das Selbstvertrauen.“ Alle bis auf eine Auszubildende haben sich proaktiv beworben, denn es habe sich rumgesprochen, dass sie in ihrer Praxis auch nicht muttersprachliche Angestellte beschäftigt. Direkt geplant habe sie dies am Anfang allerdings nicht.

Ihr Fazit: immer miteinander sprechen! Auch eine Teilzeitausbildung sei eine Option, um den Azubis die Hürden zu nehmen. „Uns schweißt über die Arbeit hinaus auch viel zusammen: Wir haben eigentlich immer regelmäßig Feste zusammen gefeiert und uns so besser kennengelernt. Wir interessieren uns für die Familien hinter den Frauen.“

Weber: „Mein Partner und ich besuchen Seminare und bilden uns hier weiter. Wir sind Zahnmediziner. Wie wir ein Team bilden und es erfolgreich binden, wie wir gut miteinander kommunizieren oder was wir tun können, wenn es unter den Mitarbeitern knirscht, das müssen wir lernen.“

Ausbildungszahlen 

Insgesamt starteten im August 2020 deutschlandweit 10.818 Frauen und 324 Männer ihre ZFA-Ausbildung. 9.456 ZFA-Azubis haben einen Migrationshintergrund, davon sind 8.997 weiblich und 459 männlich.

Dem Statistischen Bundesamt zufolge hat eine Person einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.

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