Digital ein Entwicklungsland
Die Hightech-Nation Deutschland wirkt mit Blick auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens wie ein Entwicklungsland“, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Prof. Dr. Ferdinand Gerlach, zu Beginn der Diskussion. „Es besteht ein dringender Bedarf an strukturellen, informationstechnischen, organisatorischen und technischen Voraussetzungen.“ Dies sei eine der zentralen Botschaften, die der Rat in seinem Gutachten zur Digitalisierung herausgearbeitet habe.
In dem Gutachten, das bereits im März auf der Bundespressekonferenz vorgestellt wurde, mahnt der Sachverständigenrat eine effiziente und nachhaltige Strategie zur Digitalisierung des Gesundheitswesens an. Er fordert darin von der Politik, ein Anrecht der Patienten auf die bestmögliche Nutzung von deren Gesundheitsdaten gesetzlich zu verankern. Zugleich soll der Missbrauch von Daten durch eine höhere technische Datensicherheit und härtere Strafen verhindert werden.
„Der Datenschutz alter Schule muss neu gedacht werden“
Gerlach brachte die Argumente am 17. Juni auf dem Symposium, das das Gutachten in die politische Fachöffentlichkeit tragen sollte, erneut auf den Punkt: „Der in Deutschland noch vorherrschende Datenschutz alter Schule muss im Sinne des Patientenschutzes neu gedacht werden.“ Und: „Es ist auch unethisch, vorhandene Daten nicht zu nutzen, wenn es um Patienten geht.“ Seine Forderung an die Politik: Ein „Gesundheitsdatennutzungsgesetz“, das die Rahmenbedingungen für eine „patientenwohldienliche Infrastruktur“ definiert.
Für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geht es darum, „Digitalisierung zu gestalten, statt sie zu erleiden“. In seinem Statement auf dem Symposium betonte er: „Wir sind schon mittendrin in der Digitalisierung“ – und dankte dem Sachverständigenrat für seine, wie er formulierte, „Tipps mit Tiefgang“ im vorgelegten Gutachten.
Die Pandemie habe gezeigt, welchen Schub nach vorne die Digitalisierung genommen habe. Spahn nannte als Beispiele die Videosprechstunde und das Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Jetzt gehe es darum, kluge Konzepte zu entwickeln, um einerseits Datenschutz zu gewährleisten und andererseits eine pseudonymisierte und anonymisierte Weitergabe von Daten zu ermöglichen. Seine Prognose: Das digitale Gesundheitswesen wird kommen. Deshalb sei wichtig, die Regeln dafür selbst zu bestimmen und Monopolstrukturen zu vermeiden. „Ich will nicht, dass Apple oder Alibaba unsere Daten haben,“ sagte Spahn. Deswegen sei ihm auch das Projekt der ePA so wichtig, betonte der Minister. Natürlich müssten die Anwendungen noch optimiert werden, aber der Anfang sei gemacht.
Spahn will die Digitalisierung gestalten statt erleiden
Einen Schwerpunkt legte der Sachverständigenrat bei seinen Empfehlungen auf die ePA. Damit greift er die Diskussionen in der Fachwelt über die Zugriffsrechte auf, die in der Anfangszeit zunächst nicht feingranular erfolgen sollen – jeder Arzt sieht in der Akte entweder alles ... oder nichts, je nachdem, welche Daten der Patient freigibt. Jeder Nutzer sollte aber nach Meinung des Rats das Recht erhalten, der Einrichtung jederzeit zu widersprechen (erste Opt-out-Option) oder bestimmte Inhalte gegenüber einzelnen Leistungserbringenden gezielt zu „verschatten“(zweite Opt-out-Option).
Den Vorteil sieht der Rat darin, dass diese Informationen somit nicht unwiederbringlich gelöscht wären. Vielmehr könne der Versicherte später bei Bedarf darauf zurückgreifen oder anderen den Zugriff wieder gewähren. Zugleich könnten diese Daten der Forschung pseudonymisiert zur Verfügung gestellt werden.
Inwieweit Ärzte, Krankenkassen und Krankenhäuser mit den vom Sachverständigenrat hervorgebrachten Vorschlägen konform gehen oder nicht, war Gegenstand der Diskussionsrunde auf dem Symposium. Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, bezeichnete die ePA als „Königsdisziplin“ der digitalen Gesundheitsanwendungen. Von der Kollektivebene aus betrachtet könnte man in vielen Bereichen Transparenz herstellen. Skeptisch zeigte sie sich, ob man in der Anfangsphase der ePA deren „guten Start“ mit der Diskussion um Opt-in oder Opt-out belasten sollte.
Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), stützt das Ansinnen des Sachverständigenrats, mit der Digitalisierung die Versorgung zu verbessern. Für ihn steht bei dem an sich „guten Instrument“ der ePA die Akzeptanz beim Nutzer im Vordergrund. Die große Frage sei: „Bringt ihm das was?“ Für den Arzt wird es schwierig, wenn der Patient ihm nicht alle Daten in der ePA zur Verfügung stellt. Kriedel forderte eine zusätzliche Möglichkeit der professionellen Übermittlung von Informationen für Ärzte.
Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft, geht es darum, den kollektiven Nutzen nicht nur der ePA, sonder auch der gesamten Digitalisierung hervorzuheben. „Wir müssen um Verständnis werben, dass wir Daten brauchen, um daraus Schlüsse für die Versorgung zu ziehen“, sagte er. Dazu warb er um einen breiten Konsens: „Wir brauchen keine scharfen Debatten,“ sagte er.
Die Akzeptanz der EPA hängt vom Nutzen ab
Grundsätzlich gab es bei der Diskussion viel Zustimmung zu den Empfehlungen des Sachverständigenrats: Das Fazit des Vorsitzenden Gerlach: „Der Rat hält ein Umdenken in Sachen Digitalisierung für dringend geboten. Die Erfahrungen in anderen EU-Staaten zeigen, welche Vorteile für das Patientenwohl aus ähnlichen Regelungen entstehen können, wie wir sie vorschlagen.“
Das 400 Seiten starke Gutachten des Sachverständigenrats „Digitalisierung für Gesundheit – Ziele und Rahmenbedingungen eines dynamisch lernenden Gesundheitssystems“ wurde am 24. März veröffentlicht.