Metaplastische Ossifikation nach Bestrahlung
Ein 67-jähriger Patient wurde nach Durchführung einer Panoramaschichtaufnahme im Rahmen der regelmäßigen zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchung mit dem Zufallsbefund einer suspekten Raumforderung im Bereich des Halses links beim niedergelassenen MKG-Chirurgen vorstellig. Zur genauen Beurteilung der Lokalisation und der Ausdehnung der unklaren Raumforderung veranlasste der niedergelassene Kollege eine Computertomografie (CT) und überwies den Patienten anschließend zur weiteren Abklärung und Therapie des hochgradig malignomsuspekten Befunds an unsere Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie.
Im Anamnesegespräch berichtete der Patient davon, vor ungefähr 60 Jahren im Kindesalter im Bereich des Halses links aufgrund eines „auffälligen Lymphknotens“ eine Bestrahlung erhalten zu haben. Genaue Angaben zur Art der Bestrahlung und zur damaligen Diagnose konnten vom Patienten nicht gemacht werden. Vorbefunde lagen nicht vor. Als weitere Vorerkrankung wurde vom Patienten ein Schilddrüsenkarzinom, das im Jahr 1998 mittels einer Thyroidektomie und einer anschließenden Radio-Jod-Therapie behandelt wurde, genannt. Weitere anamnestisch bekannte Grunderkrankungen waren eine medikamentös behandelte arterielle Hypertonie und eine medikamentös eingestellte iatrogene Hypothyreose.
Der Hals auf der linken Seite zeigte in der klinischen Untersuchung keine Auffälligkeiten. Neurologische Ausfälle oder vegetative Symptome bestanden zum Zeitpunkt der Vorstellung nicht. Die in der Röntgendiagnostik sichtbare Raumforderung war klinisch weder sicht- noch tastbar. Beschwerden oder Schmerzen im Bereich des Halses links wurden vom Patienten verneint.
In der alio loco angefertigten Panoramaschichtaufnahme zeigte sich der Zufallsbefund einer klar abgrenzbaren, gemischt radioopaken, radiotransluzenten bohnenförmigen Formation mit Projektion auf den Hals links (Abbildung 1). Die ebenfalls alio loco durchgeführte CT zeigte eine der linken V. jugularis interna anliegende, bis auf den Bulbus der A. carotis communis reichende bohnenförmige verkalkte Struktur (Abbildung 2).
Bei unklarer Dignität der Raumforderung und Zustand nach Schilddrüsenkarzinom in der Anamnese wurde zur Dignitätssicherung die Indikation zur operativen Entfernung der Raumforderung in Vollnarkose gestellt. Die histopathologische Aufbereitung des Resektats zeigte in der abschließenden Beurteilung eine herdförmige metaplastische Ossifikation von der Größe 1,5 cm x 1,2 cm x 1 cm ohne Anhalt für Malignität. Somit lag eine ektope Verknöcherung im Weichgewebe des Halses auf der linken Seite, ohne weiteren Interventionsbedarf vor.
Im Rahmen der postoperativen Kontrolluntersuchung zeigte sich ein regelrechter postoperativer Verlauf mit zeitgerechten reizfreien Wundverhältnissen.
Diskussion
Die Symptomatik von unklaren Raumforderungen im Weichgewebe des Halses ist vielfältig und unspezifisch. Bei unklarem Zufallsbefund im zahnärztlichen Röntgenbild sollten für eine genaue Differenzierung folgende klinische Parameter erhoben werden:
En- oder extraorale Schwellungen
Vorliegen von suspekten Mundschleimhautveränderungen
Auftreibungen des Knochens
Konsistenz des Befunds
Verschieblichkeit des Befunds
Oberflächenbeschaffenheit des Befunds
Lokalisation und Lagebeziehung zu umliegenden Strukturen
Schmerzen
Vegetative Symptome
Neurologische Ausfälle
Unklare Raumforderungen im Kieferknochen und im Weichgewebe fallen häufig im Rahmen einer zahnärztlichen Röntgenuntersuchung als Zufallsbefund auf. Es gibt eine Reihe von möglichen Ursachen und Grunderkrankungen für röntgendichte Strukturen, die mittels Panoramaschichtaufnahmen dargestellt werden können. Neben Kalzifizierungen des extrakraniellen Stromgebiets der A. carotis durch Plaquebildung (Abbildung 3) können auch kalzifizierende Sialolithiden (Abbildung 4) und röntgendichte Fremdkörper (Abbildung 5) dargestellt werden [Constantine et al., 2018; Omezli et al., 2015; Kim et al., 2016].
Weitaus schwerwiegendere Ursachen für röntgendichte Raumforderungen können Metastasen im Kieferknochen sein [Chappard et al., 2011]. Am häufigsten bilden das kleinzellige Bronchialkarzinom und das Mammakarzinom osteoblastische Metastasen aus [Macedo et al., 2017]. Auch seltene mesenchymale knocheneigene Neoplasien wie Osteosarkome kommen als mögliche Differenzialdiagnose in Betracht [Nissanka et al., 2007; Paparella et al., 2013].
Die erhöhte Exposition der Schilddrüse durch (Be-)Strahlung – vor allem im kindlichen Alter – stellt einen wichtigen Risikofaktor für die Ausbildung eines Schilddrüsenkarzinoms dar [Cooper et al., 2009]. Das Schilddrüsenkarzinom metastasiert in bis zu 60 Prozent der Fälle im fortgeschrittenen Stadium ossär [Selvaggi et al., 2005]. Eine Metastasierung in lokoregionäre Lymphknoten wird abhängig vom Stadium der Erkrankung in 20 bis 90 Prozent der Fälle beobachtet [Grebe et al., 1996]. Lymphknotenmetastasen des Schilddrüsenkarzinoms können in der CT und in der Sonografie Kalzifizierungen aufweisen [Wei et al., 2018].
Zur Untersuchung von Lymphknoten und zur Detektion von Lymphknotenmetastasen im Kopf-Hals-Bereich sind die CT und die Magnetresonanztomografie am besten geeignet [Curtin et al., 1998]. Diskutiert wird, ob die Sonografie in Abhängigkeit von der Expertise des Untersuchers für die Diagnostik von Lymphknotenmetastasen der diagnostischen Wertigkeit der CT ebenbürtig ist [Sumi et al., 2001].
Kalzifikationen und Knochenbildung können nach Bestrahlung im Kindesalter – wie im vorgestellten Fall – entstehen. Hierbei induziert die Strahlentherapie eine Entzündungsreaktion im Gewebe und fördert dadurch die erhöhte Expression von osteogenetischen Faktoren, wie etwa Bone morphogenetic protein-2 (BMP-2), Osteopontin (OPN), Alkalische Phosphatase (ALP) und Runx2, die für die Bildung von Knochen benötigt werden [Nadlonek et al., 2012].
Bei bekannter Bestrahlung in der Anamnese sollte in der zahnärztlichen Untersuchung zudem unabhängig von einem Malignomverdacht auf mögliche Kurz- und Langzeitfolgen einer Strahlentherapie im Kopf-Hals-Bereich geachtet werden. Im vorgestellten Fall zeigten sich in der klinischen Untersuchung keine Anzeichen für postradiogene Früh- oder Spätkomplikationen.
Aufgrund der bekannten Tumoranamnese des Patienten erfolgte nach Zufallsbefund in der Panoramaschichtaufnahme eine weiterführende dreidimensionale Bildgebung und die operative Entfernung der unklaren Raumforderung. In der histopathologischen Begutachtung nach Resektion des Befunds stellte sich letztlich eine harmlose metaplastische Ossifikation heraus. Ein Malignom konnte dadurch ausgeschlossen werden.
Der sorgfältigen Anamneseerhebung kommt – wie im vorgestellten Fall – vor allem auch für mögliche Differenzialdiagnosen stets eine besondere Bedeutung zu. Eine histologische Sicherung ist vor allem bei Patienten mit bekanntem Malignom in der Anamnese zu empfehlen.
Christoph Baran
Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgische Klinik,
Universitätsklinik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg,
Glückstr. 11, 91054 Erlangen
Dr. med. Dr. med. dent. Christopher-Philipp Nobis
Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgische Klinik,
Universitätsklinik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg,
Glückstr. 11, 91054 Erlangen
Prof. Dr. Med. Dr. Med. Dent. Marco Kesting, FEBOMFS
Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgische Klinik,
Universitätsklinik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Glückstr. 11, 91054 Erlangen
Dr. Elisabeth Goetze
Fachärztin Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgische Klinik,
Universitätsklinikum Erlangen
Glückstr. 11, 91054 Erlangen
Literaturliste
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