Vier Zahnärzte berichten

Eröffnung eines Zweitstandorts in Corona-Zeiten

2019 gab es deutschlandweit 455 Zweigpraxen. Auch im Pandemiejahr 2020 entschieden sich Zahnärztinnen und Zahnärzte trotz widriger Umstände für die Eröffnung eines weiteren Standorts – aus unterschiedlichen Motiven. Vier Zahnmediziner berichten von ihren Erfahrungen.

Dr. Gila Wagner hatte durch ihre erste Praxis und ihre beruflichen Stationen klare Vorstellungen davon, wie ihre Zweigstelle aussehen soll. „Zufällig entdeckte ich im benachbarten Stadtteil, nur sieben Kilometer entfernt von meiner ersten Praxis, freie Räumlichkeiten. Da wir in unmittelbarer Nähe zur Praxis wohnen und meine Kinder dort den Kindergarten und die Schule besuchen, war ich sofort angetan“, berichtet sie. 

„Während die übernommene Praxis in Stuttgart-Birkach allgemeinzahnärztlich ausgelegt ist, möchte ich in Stuttgart-Degerloch langfristig meinen Schwerpunkt auf Implantologie und Oralchirurgie legen. Alle anderen Patienten werden in die Praxis in Birkach überwiesen“, erzählt die Fachzahnärztin für Oralchirurgie. Beide Praxen laufen getrennt voneinander. Dennoch sind alle ein Team, das sich gegenseitig unterstützt und aushilft. Daher haben sie für die technische Ausstattung den gleichen Herstellern gewählt, um Abläufe zu vereinfachen und zu standardisieren. „Meine erste Praxis in Stuttgart-Birkach dafür aufzugeben, war für mich keine Option. Über Jahrzehnte hinweg haben wir uns einen sehr treuen Patientenstamm aufgebaut, den ich nicht im Stich lassen wollte“, begründet Wagner ihre Entscheidung.

Für die Mutter von drei Kindern war es eine Herausforderung, „alles unter einen Hut“ zu bekommen – in der laufenden Praxis im bestehenden Umfang zu behandeln, einen kompletten Umbau zu organisieren und Bewerbungsgespräche zu führen. „Es war mir wichtig, dabei auch Zeit für meine Kinder zu haben. Hierfür waren einige Nachtschichten erforderlich“, erklärt die Zahnärztin. Die größte Hürde sei es gewesen, eine Kollegin oder einen Kollegen mit ausreichend Berufserfahrung zu finden, der sie am jeweiligen Standort selbstständig vertreten kann.

Im September 2020 wurden die Räumlichkeiten ausgeräumt und in Rohbauzustand zurückversetzt, bevor es mit dem Umbau losging. Sieben Monate später im März 2021 eröffnete Wagner dann ihre zweite Praxis. Die Pandemie habe die Realisierung ihrer Pläne nicht schwieriger gestaltet. Im Gegenteil: Sie habe mehr Zeit für die Umsetzung gehabt. Motivation und Teamgeist ihrer Mitarbeiter seien gewachsen, indem sie gemeinsam ein Projekt in schwierigen Zeiten bewältigt haben. Zwar habe es leichte Verzögerungen aufgrund von Lieferschwierigkeiten beim Baumaterial gegeben, aber ohne Einfluss auf den Zeitplan. „Allerdings war es eine Herausforderung, die Praxiseinrichtung nur online bestellen zu können. Hierbei halfen mir vorherige Messebesuche und meine eigene Erfahrung. Ansonsten wäre es schwieriger gewesen“, meint Wagner.

Aufgrund der Pandemielage konnte es im März keine Eröffnungsfeier geben, aber geplant sei, diese später nachzuholen. Die Anfangszeit habe sie genutzt, um sich bei einigen Kollegen vorzustellen. Die ersten Überweisungen ließen nicht lange auf sich warten. Stetig kämen neue Patienten in die Praxis.

Zwei neue Auszubildende sind auch dazu gekommen. „Ich hatte das Glück, dass ich im Vorfeld durch die bestehende Praxis das Team erweitern und einarbeiten konnte“, betont sie. Aktuell sucht sie noch nach einer weiteren Zahnärztin oder einem Zahnarzt sowie eine ZFA für die neue Praxis.

Wagner bereut den Schritt zum Zweitstandort nicht: „Trotz der vielen Mühen würde ich diesen Schritt immer wieder wagen. Ich und mein Team, wir fühlen uns in den neuen Räumen sehr wohl. Auch die Resonanz der Patienten war durchweg positiv.“

Zweigstelle im Lebenszentrum „Thomas Müntzer“

Für Zahnarzt Lutz Wiencke gab es einen anderen Grund, sich für eine zweite Praxis zu entscheiden. „Mich haben der Reichenberger Ortsverein und sein Konzept überzeugt, eine 20 Jahre stillgelegte Oberschule zu einem Gesundheits- und Lebenszentrum umzubauen. Als der Kindergarten und die Seniorenbetreuung einzogen, stand für uns fest, auch wir werden gebraucht“, berichtet Wiencke. Gemeinsam mit seinem Sohn Friedrich Wiencke hat er eine Zweigstelle im Reichenberger Lebenszentrum „Thomas Müntzer“ in der Brandenburger Gemeinde Märkische Höhe eröffnet. Neben ihrer Zahnarztpraxis befinden sich in dem Gebäude eine Physiotherapie, eine Ergotherapie, ein Neurologe, eine Internistin, eine Senioren-Tagespflege, ein Kindergarten, ein kleiner Lebensmittelladen sowie barrierefreie Mietwohnungen im Obergeschoss.

Für die Standortwahl spielte die Nähe zur Hauptpraxis eine Rolle. Sie befindet sich nur acht Kilometer entfernt. Ein anderer Vorteil ist der im ehemaligen Schulgebäude nachträglich eingebaute großräumige Fahrstuhl. „Der ermöglicht auch älteren und gehbehinderten Menschen, barrierefrei unsere Praxis aufzusuchen“, betont Wiencke.

Die Innen- und Ausbauarbeiten fanden im vergangenen Sommer statt. „Der Vereinsvorstand und die Architektin haben unsere Wünsche und die zahnmedizinischen Anforderungen beim Umbau berücksichtigt“, erzählt er. Trotzdem war der Umbau nicht einfach. Neben erhöhten baulichen Anforderungen, wie etwa der Beachtung der Deckentragfähigkeit, kam es bei der Einrichtung zu Pandemie-bedingten Verzögerungen. Die Röntgengeräte und einige Möbel aus dem Dentalhandel waren nicht gleich lieferbar. Aktuell bereitet Wiencke vor allem die Internetverbindung Probleme. Sie bricht ständig ab und bringt damit das Termin- und Abrechnungsprogramm sowie die Telefonverbindung zum Abstürzen.

„Für die Einrichtung des zweiten Standorts benötigten wir keinen Kredit. Wir haben uns als Behandlungseinheit für die nachhaltige Variante einer recycelten Einheit entschieden. Für die Wartezimmereinrichtung haben wir vorhandene Klassenraummöbel aus unserer Buckower Schule verwendet, die entsorgt werden sollten. Außerdem hat uns der Buckower Kneipp- und Heimatverein mit einer Spende unterstützt“, berichtet er.

An beiden Standorten wird – Ausnahme Kieferorthopädie – das gesamte Spektrum der Zahnmedizin angeboten. Für ihre beiden Praxen nutzen sie gemeinsame technische Ressourcen. Die digitalen Terminkalender sowie das Leistungs- und Abrechnungsprogramm sind durch einen VPN-Tunnel miteinander verbunden. An beiden Standorten arbeiten die beiden Zahnärzte und ihre Mitarbeiterinnen tagesweise versetzt.

„Zum Anfang war die Nachfrage nach Terminen sehr groß. Vor allem ältere Patienten aus dem Ort besuchten die Praxis. Unser erster Patient war der letzte Schuldirektor der ehemaligen Oberschule. Er war erfreut, wie verwandelt sein Lehrerzimmer war. Nach den ansteigenden Infektionszahlen stornierten viele Patienten ihre Termine. Zurzeit steigt der Behandlungsbedarf wieder“, erzählt Wiencke. Um Kontakte zwischen den Patienten im Wartezimmer zu vermeiden, werden auch Patienten aus der Hauptpraxis nach Reichenberg bestellt. Zukünftig können sie sich vorstellen, ein bis zwei Ausbildungsplätze für ZFA anzubieten, wenn eine durchgreifende Impfstrategie, auch für jüngere Menschen umgesetzt wurde.

„Rückblickend würden wird die Entscheidung vielleicht wegen der Pandemieeinschränkungen hinterfragen, aber für unsere Patienten ist und bleibt es die richtige Entscheidung“, so Wienckes Fazit. 

Eine Zweigpraxis als Filiale 

Ein anderes Konzept verfolgten die Zahnärzte Daniel Jäger und Oliver Bitsch. „Die Filialstrategie haben wir bereits vor sechs Jahren entwickelt. Im April 2016 übernahmen wir eine Praxis im baden-württembergischen Laudenbach, die wegen Altersaufgabe geschlossen wurde. Neben unserem Hauptstandort in Mannheim war sie unsere erste Filiale“, berichtet Bitsch. Den Grundstein hatte vor 40 Jahren der im vergangenen Jahr verstorbene Zahnarzt und ehemalige Vizepräsident der LZK Baden-Württemberg, Bernhard Jäger, mit seiner Zahnarztpraxis gelegt. Im Dezember 2020 folgte die Übernahme einer anderen Praxis in Bensheim in Südhessen, die ebenfalls wegen Altersabgabe verfügbar war. „So konnten wir unser Einzugsgebiet erweitern und mehr Patienten dazugewinnen“, erzählt er. 

„Das Projekt konnte erst gelingen, als die Personalfrage geklärt war. Zusätzliche Schwierigkeiten ergaben sich dadurch, dass sich die neue Filialpraxis in einem anderen Bundesland befindet als der Hauptsitz. Deshalb mussten wir uns mit zwei KZVen und Zahnärztekammern arrangieren und abstimmen“, erklärt Bitsch. „Bei der Auswahl des Standorts wichtig, dass sie von der Hauptpraxis gut erreichbar ist.“

Für den Kauf, die Modernisierung und die Einrichtung wurde ein KfW-Förderdarlehen aufgenommen. Der neue Standort konnte im Januar 2021 eröffnet werden. Von Anfang an sei die Praxis in Bensheim gut frequentiert gewesen. Vor allem die Patienten des Vorgängers seien neugierig auf „die Neuen“ gewesen, doch auch neue Patienten fanden den Weg in die Praxis. Diese Kombination ließ den Patientenstamm zügig wachsen. Aktuell haben sie etwa 550 Patientinnen und Patienten. „Während sich unsere Hauptpraxis durch Spezialisierung in allen Bereichen der Zahnmedizin, vor allem der Implantologie, positioniert, stehen in den Filialen allgemeinzahnärztliche Behandlungen im Vordergrund. Patienten aus den Filialen werden für spezielle oder schwierige Behandlungen intern an die Hauptpraxis überwiesen“, berichtet der Fachzahnarzt für Oralchirurgie.

Ihre Filialpraxen sehen sie als Zweigstellen der Hauptpraxis. Die Hauptpraxis und die Filialpraxen arbeiten nach demselben Behandlungskonzept und mit den gleichen Materialien. Bei Bedarf, etwa krankheitsbedingtem Personalausfall, sei jederzeit ein Switch von Praxispersonal zwischen den einzelnen Praxen möglich – sowohl im zahnärztlichen wie im Assistenzbereich. In der Hauptpraxis befindet sich ein eigenes Dentallabor, das auch die Zweigpraxen nutzen. Die IT läuft zentral über die Hauptpraxis. Am neuen Standort sind neben der Übernahme von drei ZFA des Vorgängers vier neue Arbeitsplätze entstanden. Zurzeit wird in Bensheim nicht ausgebildet, da sie dort hauptsächlich mit angestellten Zahnärztinnen arbeiten.

„Die Entscheidung eine zweite Filiale zu eröffnen, war rückblickend richtig. Sicherlich ist aller Anfang schwierig und erfordert viel Zeit und Arbeit. Und es ist eine gewaltige Herausforderung, alles praktisch nebenbei, bei gleichzeitigem Vollzeiteinsatz am Patienten zu stemmen. Dieser Aufwand lohnt sich vor allem dadurch, dass man sein Einzugsgebiet und seinen Patientenstamm deutlich erweitern kann. Wir profitieren auch davon, dass wir Spezialbehandlungen an unsere Hauptpraxis intern überweisen können“, so sein Resümee. 

Zweiter Standort, um Unterversorgung zu verhindern

Für Zahnarzt Michael Aschenbrenner ergab sich die Entscheidung zur Eröffnung einer Zweigpraxis kurzfristig. „Von einem Kollegen erfuhr ich, dass er seine Praxis aufgegeben wollte und keinen Nachfolger gefunden hat. Da in Raidwangen nahe Nürtingen sonst kein Zahnarzt tätig war, drohte eine Unterversorgung“, erzählt Aschenbrenner, der seine zweite Praxis im April dieses Jahres eröffnet hat. Gemeinsam mit seinem Kollegen Robert Thoma teilt er sich die Arbeit in beiden Praxen. „Nach Besichtigung der alten Praxisräumlichkeiten und der Technik war klar, dass die Praxis komplett umgebaut werden musste, um sie auf den Stand der Technik zu bringen.“

„Wir standen vor der Aufgabe innerhalb von zwei Monaten die Praxis komplett von unten bis oben zu modernisieren, um ein Abwandern der Patienten zu verhindern. Parallel dazu musste noch ein passendes Praxisteam gefunden werden, was aktuell im ländlichen Bereich ein großes Problem darstellt“, erklärt der Zahnarzt. Ein weiteres Problem war die rechtliche Seite: „Dadurch, dass die Anmeldefrist für die Zulassungssitzung der KZV schon beendet war, musste entschieden werden, in welcher Form die Praxis vorerst betrieben werden kann. Die Rechtsform eines medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) ließ sich in der Kürze der Zeit ebenfalls nicht realisieren“, berichtet er.

Auch hier hat die Pandemie auf die Entscheidung keinen Einfluss gehabt. Während der gesamten Coronazeit war die Hauptpraxis im baden-württembergischen Neuffen sehr gut ausgelastet. Bei Raumgestaltung, organisatorischen Abläufen und Qualitätsmanagement setzt der Zahnarzt auf Altbekanntes und hat versucht, alles ähnlich zu gestalten. Durch das Engagement und die Mithilfe seiner Mitarbeiter sei es gelungen, alles in so kurzer Zeit auf die Füße zu stellen. Beide Praxen sind unabhängig voneinander, aber durch den Personalstock sei es möglich, Mitarbeiter in beiden Standorten einzusetzen. So sollen temporäre Personalengpässe vermieden werden.

Von Anfang an habe er sehr guten Zuspruch erfahren und einen nahezu ausgefüllten Terminkalender gehabt. Dadurch, dass er sich mit dem abgebenden Zahnarzt schnell einig wurde, konnte jener seinen Patienten mitteilen, dass er doch noch einen Nachfolger gefunden hat. Aktuell sind es 250 Patientinnen und Patienten.

Die größten Herausforderungen bestanden in der zügigen Anschaffung der Technik (Computer, Netzwerk und Konnektor), der Einarbeitung des neuen Personals sowie der Zusammenarbeit mit den vorhandenen Mitarbeitern bis hin zu Schwierigkeiten bei der Material- und Gerätebeschaffung. Einzelne Artikel seien auch nach drei Monaten noch nicht eingetroffen. Für die neue Praxis wurde ein neues Team aufgebaut – bestehend aus einer Verwaltungsmitarbeiterin und zwei ZFA. Bei der zahnärztlichen Behandlung wechseln sich Aschenbrenner und Thoma ab, weil die Behandlung am Hauptstandort nicht vernachlässigt werden darf.

„Die Eröffnung der Zweigpraxis war eine Herausforderung. Da mir der Beruf nach 26 Berufsjahren immer noch Spaß macht, fiel mir die Entscheidung nicht allzu schwer. Dank sehr viel Eigenleistung sowie tatkräftiger Unterstützung meiner Familie, Kollegen und Mitarbeiter konnte es gelingen“, so sein Fazit. 

Fazit

Trotz der Corona-Pandemie haben sich die vier Zahnärzte getraut, einen Zweitstandort zu eröffnen. Alle hatten dabei mit unterschiedlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Dennoch kommen alle zu dem Schluss, dass sich die Mühe gelohnt hat und sie den Schritt wieder wagen würden.

Zweigstellen

  • Am geplanten Standort liegt eine Unterversorgung vor oder die Zweigpraxis bietet Leistungen an, die in dieser Region unabhängig vom Versorgungsgrad nicht (im erforderlichen Umfang) angeboten werden.

  • Die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Vertragszahnarztsitz darf nicht beeinträchtigt werden. 

  • Die Patientenversorgung muss an allen Standorten sichergestellt sein. 

Quelle: KZBV Websitehttps://www.kzbv.de/kooperationsmoeglichkeiten.390.de.html - external-link-new-window

ak

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