„Sie haben Geschichte geschrieben!“
Das Pathos von Benz war keineswegs zu hoch gegriffen: Schon allein die vor wenigen Wochen noch von vielen Beobachtern kaum für möglich gehaltene Präsenzveranstaltung im Berliner Estrel-Hotel zeigte den selbstbewussten Willen der Standespolitiker, sich trotz der Herausforderungen der Pandemie ein Stück Normalität zurückzuholen. Normalität, die man sich in der eigenen Praxis mit vorbildlichen Hygienemaßnahmen bereits erfolgreich erkämpft hatte, sollte nun auch wieder standespolitisch in Präsenz gelebt werden. Ein durchdachtes Test- und Kontrollsystem, gekennzeichnete Laufwege, viel Platz, ein funktionierendes Lüftungssystem – all die Schutzmaßnahmen wirkten konsequent, aber nicht aufdringlich und ließen ausreichend Raum für Begegnungen, teils leidenschaftliche Diskussionen und einen intensiven Austausch.
Benz würdigte die „grandiose“ Pandemiebewältigung der Zahnärzteschaft als geschichtsträchtig und resümierte weiter: „Sie haben ein zweites Mal Geschichte geschrieben, indem Sie zum ersten Mal eine Kollegin in den Geschäftsführenden Vorstand gewählt haben.“ Am Tag zuvor war die Potsdamer Zahnärztin Dr. Romy Ermler mit überwältigender Mehrheit der Delegiertenstimmen als Vizepräsidentin in den Geschäftsführenden Vorstand gewählt worden. Damit ist erstmals in der Geschichte der Bundeszahnärztekammer eine Frau in diesem Spitzengremium vertreten.
In einer einstimmig verabschiedeten Resolution „Zukunft des Gesundheitssystems“ nahmen die Delegierten der Bundesversammlung zu zentralen gesundheitspolitischen Fragen Stellung, die den Berufsstand betreffen. Sie fordern darin:
eine Erhaltung und Stärkung des dualen Krankenversicherungssystems,
eine spürbare Entlastung der Zahnarztpraxen von unnötigen Bürokratielasten,
die Förderung der freiberuflichen Leistungserbringung vor allem durch eine Stärkung der freien Arzt- und Therapiewahl,
eine angemessene Honorierung als Basis der jährlich im Punktwert dynamisierten privaten Gebührenordnung
die gezielte Förderung einer vom Berufsstand definierten Digitalisierung sowie die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips auf europäischer Ebene.
In der Begründung zur Resolution wird die Erwartung geäußert, dass sich die neue Bundesregierung nach den Bundestagswahlen dem „aufgelaufenen Reformstau” widmen wird. Die Bundeszahnärztekammer hat hierzu ihre „Gesundheitspolitische Perspektiven“ für die Legislaturperiode 2021 bis 2025 vorgelegt, in der die wichtigsten (standes)politischen Forderungen formuliert sind.
Gesundheitspolitische Positionen der Bundeszahnärztekammer
Wie wird die Gesundheits- und Sozialpolitik nach der Wahl im September aussehen? Die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) hat auf ihrer Bundesversammlung Anfang Juni ihre „Gesundheitspolitischen Positionen“ für die kommende Legislaturperiode verabschiedet. Ihr geht es vor allem um praxisbezogene Anliegen: die Erleichterung der Praxisführung, das Berufsbild als freier Heilberuf sowie die sinnvolle Implementierung und Nutzung der Digitalisierung in den Praxen. Und nicht zuletzt auch um eine angemessene Vergütung.
1. Patientenrechte: Vertrauen schützen durch freie (Zahn-)Arztwahl
2. Freie Heilberufe: Rahmenbedingungen müssen stimmen
3. Vergütung: Leistung fair bezahlen
4. Qualitätssicherung: Ausbildung und Forschung fördern
5. Prävention: mehr Aufklärung
6. GKV und PKV: duales System statt Einheitskasse
7. Stadt und Land: flächendeckend, hochwertig, nachhaltig
8. Fachkräftesicherung: attraktiv für Fachkräfte bleiben
9. Ausbildung: Starthilfe beim Berufseinstieg
10. Europa: Harmonisierung nur bei gleicher Qualität
11. Corona: aus der Pandemie lernen
Die Gesundheitspolitischen Positionen der BZÄK sind abrufbar unter: https://www.bzaek.de/gesundheitspolitische-positionen-zur-bundestagswahl-2021.html
Gegen Fremdinvestoren in der Zahnmedizin
Im Beschluss „Beschränkung des Einflusses von Fremdinvestoren“ fordern die Delegierten, dass die „weitere Zerstörung der gewachsenen zahnmedizinischen Versorgungsstrukturen durch Ausbreitung von Fremdkapital-investorgeführten Praxen in Deutschland gestoppt wird“. Mit der Kommerzialisierung durch „Fremdinvestoren, Spekulanten und Private Equity“ werde die zahnmedizinische Versorgung der Patienten gefährdet – etwa bei der Insolvenz großer Dentalketten, wie das Beispiele aus Spanien und Frankreich eindrucksvoll gezeigt hätten.
Zudem berge die Konzentration auf die Erzielung von Renditen das Risiko, „dass wirtschaftlich motivierter Verkaufsdruck auf angestellte Behandler/Behandlerinnen ausgeübt werden könnte, Über- und Fehltherapie könnte so Vorschub geleistet werden“. „Wir wollen nicht, dass Geschäftsführer von IMVZ tägliche Umsatzgespräche mit ihren Mitarbeitern führen“, sagte der neue BZÄK-Vizepräsident Konstantin von Laffert in der Diskussion in der Bundesversammlung. Im Hinblick auf die Patienteninformation forderten die Delegierten zudem, eine gesetzliche Regelung zur Transparenz der Eigentumsverhältnisse zu implementieren.
Aligner: nur in die Hände von Zahnärzten
In einem Beschluss „Patientensicherheit bei Aligner-Behandlungen” fordert die Bundesversammlung den Gesetzgeber auf, „zum Schutz der Patienten und zur Sicherung der Qualität die zahnärztliche Behandlung in rein gewerblichen Unternehmen (zum Beispiel Aligner-Start-ups) jenseits der für Zahnärztinnen und Zahnärzte ausdrücklich zugelassenen Berufsausübungs- und Gesellschaftsformen auszuschließen”.
Bei den (Landes-)Zahnärztekammern lägen Beschwerden vor, die den Verdacht von „systematischen und erheblichen Standardunterschreitungen” bei der Patientenbehandlung durch gewerbliche Aligner-Anbieter aufkommen lassen. Das könne zu erheblichen Gesundheitsschäden führen, vor denen die Patienten geschützt werden müssten. Bei der vertraglichen Einbindung von approbierten Zahnärztinnen und Zahnärzten durch gewerbliche Aligner-Anbieter liege eine „unzulässige Verknüpfung von heilkundlicher und gewerblicher Tätigkeit” vor, da die Unabhängigkeit der zahnärztlichen Berufsausübung bei Weisungen durch Nichtberufsträger nicht gewährleistet sei. Die (Landes-)Zahnärztekammern hätten jedoch bislang keine Möglichkeit, gegenüber den gewerblichen Unternehmen tätig zu werden. „Der Gesetzgeber muss daher dringend dafür Sorge tragen, dass eine Aligner-Behandlung wie jede andere zahnärztliche Behandlung verantwortlich von Zahnärztinnen und Zahnärzten durchgeführt wird und nicht in Unternehmen von Nichtberufsträgern ausgelagert werden kann”, fordern die Delegierten in ihrem Beschluss.
TI 2.0 zwischen Ablehnung und Gestaltung
Umfangreiche Diskussionen gab es zu einem Antrag des BZÄK-Vorstands, der die Ablehnung einer schnellen Einführung der Telematikinfrastruktur 2.0 zum Inhalt hatte. Einige Delegierte fanden den Antrag missverständlich formuliert. Nach einer Umformulierung, in der auf die Mitarbeit der Zahnärzteschaft bei der Weiterentwicklung der TI verwiesen wurde, wurde der Antrag mehrheitlich angenommen. Die Bundesversammlung lehnt damit den Übergang zur TI 2.0 zum jetzigen Zeitpunkt ab. Der von der gematik angedachte Verzicht auf einen Hardware-Konnektor und auf eine VPN-Verbindung (TI 2.0) würde eine „erhebliche Absenkung des Sicherheitsniveaus” nach sich ziehen.
Weitere Beschlüsse – Auswahl:
Gerechte Ausgestaltung der PKV-Hygienepauschale: Die Bundesversammlung appelliert an den PKV-Verband und die Beihilfe von Bund und Ländern, die Pandemie-bedingte Hygienepauschale über den 30.6. hinaus fortzuschreiben und an die aktuelle Kostensituation anzupassen.
Gleichbehandlung mit der Ärzteschaft: Gefordert wird, eine Gleichbehandlung der Zahnärzteschaft mit der Ärzteschaft während der Corona-Pandemie sowie bei künftigen ähnlichen Ausnahmesituationen sicherzustellen.
Amalgam soll als Wirkstoff erhalten bleiben: Die EU-Institutionen und die Bundesregierung sind aufgefordert, am „Phase-Down” festzuhalten, um einen abrupten Wegfall von Amalgam als bewährter und sicherer Werkstoff zu verhindern.
Fortführung der Reform des Zahnmedizinstudiums: Die Bundesregierung, das Bundesgesundheitsministerium sowie die Gesundheitsministerkonferenz sind aufgefordert, die Reform des Zahnmedizinstudiums fortzuführen und eine Synchronisierung des ersten Abschnitts der Studiengänge Medizin und Zahnmedizin im aktuellen Novellierungsverfahren derÄApprO umzusetzen. Die finanzielle Ausgestaltung der Reform ist in den Länderhaushalten sicherzustellen.
Ablehnung der Bürgerversicherung bekräftigt: Die Einführung einer Bürgerversicherung wird abgelehnt, die Politik wird aufgefordert, das duale Gesundheitssystem von GKV und PKV weiterzuentwickeln.
Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin vorantreiben: Das Positionspapier des BZÄK-Vorstandes zur „Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin“ wird befürwortet , der Vorstand wird aufgefordert, das Thema mit Nachdruck voranzubringen.