Deutschsprachige Zahnärzte und ihre Erfolge in der Emigration
Wer sich mit den führenden deutschsprachigen Zahnärzten des vergangenen Jahrhunderts befasst, stößt zumeist auf Namen wie Otto Walkhoff (1860–1934), Hermann Euler (1878–1961) oder Ewald Harndt (1901–1996). Sie prägten die Zahnheilkunde hierzulande in besonderem Maß und hatten – so jedenfalls die gängige Annahme – auch im globalen Maßstab große Bedeutung. Bei näherer Betrachtung stellt man jedoch fest, dass diese Hochschullehrer kaum international publizierten und ihre Karrieren sehr stark auf den deutschen Sprachraum ausrichteten. Dementsprechend blieb ihre wissenschaftliche Reichweite faktisch begrenzt – sie waren, überspitzt ausgedrückt, vor allem in Deutschland „weltberühmt“.
Global betrachtet setzten andere Fachvertreter Maßstäbe – darunter auch Deutsche und Österreicher, deren Namen man hierzulande kaum kennt, weil sie frühzeitig auswanderten, später in englischer Sprache publizierten und so stark international wirkten. Sie wurden in der Folgezeit nicht (mehr) als Fachvertreter des deutschen Sprachraums wahrgenommen, sondern dem jeweiligen Emigrationsland zugeordnet.
Auswanderung in drei Zeiträumen
Zwölf dieser Personen stehen im Mittelpunkt der neuen zm-Reihe. Vorgestellt werden Zahnärzte, die im deutschsprachigen Raum geboren und dort zumeist auch ausgebildet wurden, den maßgeblichen Teil ihrer Karriere aber im Ausland machten – überwiegend in der Zahnheilkunde, teilweise aber auch auf anderem Gebiet.
Dabei lassen sich im Wesentlichen drei Auswanderungszeiträume unterscheiden: erstens die Zeitphase von der Jahrhundertwende bis zum Ende der Weimarer Republik, in der individuelle Jobangebote in Übersee und späterhin die zunehmend prekäre wirtschaftliche Lage in Zentraleuropa Anlass zur Emigration gaben, zweitens die Zeit nach der Machtübernahme Hitlers (1933), in der vor allem vielversprechende jüdische Fachvertreter Deutschland verließen, und schließlich drittens der „Anschluss“ Österreichs als „Ostmark“ an Hitler-Deutschland (1938, „Großdeutsches Reich“), der vor allem begabte Wiener Juden zur Auswanderung zwang.
Zwölf ungewöhnliche Karrieren
Zur ersten Gruppe gehört etwa der Rheinländer Herman Becks (1897–1962), mit dem die Serie startet. Er wurde in Wesel als Sohn eines Architekten geboren, studierte in Rostock Zahnheilkunde und Medizin und trat 1926 eine Assistentenstelle an der Universität Freiburg an. Er emigrierte jedoch bereits zwei Jahre später mit einen attraktiven Jobangebot in die USA, wo er an der University of California eine nahezu beispiellose Karriere machte. Becks zählt zu den Wegbereitern der Parodontologie und der Oralbiologie; zudem gründete er das noch heute existente „American Institute of Oral Biology“.
Zur Gruppe der deutschen Juden, die nach 1933 auswanderten, zählt Gertrud Harth (1904–1962) – die einzige Frau in dieser Reihe. Sie war eine Schülerin von Alfred Kantorowicz (1880–1962) und wurde 1933 – ebenso wie ihr jüdischer Mentor – in Bonn aus dem Hochschuldienst entlassen. Sie floh noch im selben Jahr zunächst in die Schweiz und schließlich nach Palästina. Hier machte sie sich um die Kieferorthopädie und die Kinderzahnheilkunde verdient, ließ sich als allererste Kieferorthopädin in Haifa nieder und übernahm eine leitende Funktion in der Untergrundbewegung „Hagana“, die das Ziel hatte, die Existenz des jungen, im Mai 1948 gegründeten Staates Israel – nötigenfalls mit Waffengewalt – zu verteidigen. Auch sie kehrte nicht wieder nach Deutschland zurück.
Zum Kreis der Österreicher, die 1938 im Rahmen der Etablierung des „Großdeutschen Reiches“ ins Ausland flohen und sich dort eine internationale Karriere aufbauten, gehörte Bálint Orbán (1899–1960). Der Wiener Zahnarzt emigrierte zum Jahreswechsel 1937/38 in die USA, schlug am College of Dentistry der Universität Illinois die Professorenlaufbahn ein und entwickelte sich zu einem weltweit führenden Oralpathologen und Parodontologen. Auch er blieb bis zu seinem Tod in Illinois ansässig.
Nicht alle Zahnmediziner der Reihe blieben ihrem erlernten Beruf treu: So verletzte sich Fritz (später: Fred) Benjamin (1912–1998) im Emigrationsland dauerhaft die rechte Hand, wandte sich daraufhin – notgedrungen – der Physiologie und der „Space Medicine“ zu und erreichte eine führende Position innerhalb der NASA. Andere suchten und fanden eine fachliche Nische – so etwa Hermann Prinz (1869–1957), der sich auf die zahnärztliche Pharmakologie spezialisierte.
Die meisten der vorgestellten Persönlichkeiten fanden ihr Glück im Immigrationsland USA – vor allem in Chicago und in New York –, andere wurden in England ansässig (London, Oxford, Birmingham), in Australien (Melbourne, Sydney) oder in Palästina beziehungsweise Israel (Jerusalem, Haifa).
Alle eint, dass sie zwar hierzulande geboren wurden, Deutsch als Muttersprache hatten und in unserem Sprachraum ihre ersten beruflichen Schritte unternahmen. Doch ihre eigentlichen Erfolge feierten sie im Ausland – und gerieten so mehr und mehr aus dem Blick. Mit dieser Serie wollen wir diese in vielerlei Hinsicht besonderen Fachvertreter ins kollektive Gedächtnis unserer Berufsgruppe zurückholen.
Prof. Dr. Dr. Dr. Dominik Groß
Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen
Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2,
Wendlingweg 2, 52074 Aachen
dgross@ukaachen.de