Ökonomische Modellierung

Parodontitis-Prävention könnte fast 12 Milliarden Euro einsparen

Heftarchiv Zahnmedizin
ck/nl
Eine aktuelle Analyse im Auftrag der European Federation of Periodontology (EFP) zeigt: Würde man in Europa die Gingivitis konsequent therapieren, könnte man Milliarden Euro einsparen. Allein in Deutschland würden die Kosten für Parodontitisbehandlungen durch eine konsequente Therapie der Gingivitis als Vorstufe der Parodontitis halbiert.

Die Modellierung zeigt für Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Spanien und das Vereinigte Königreich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen auf, die mit der parodontalen Gesundheit verbunden sind.

Zahnfleischerkrankungen sind weit verbreitet und können unbehandelt zu Zahnverlust führen. Wechselwirkungen mit fast 60 systemischen Erkrankungen sind bekannt. Durch gute Mundhygiene und regelmäßige zahnärztliche Untersuchungen wären die meisten Fälle weitgehend vermeidbar. Dennoch stellt der Bericht des EFP fest, dass in Westeuropa die Entwicklungen in der Prävention und Behandlung stagnieren und die Prävalenz in den letzten zehn Jahren eher unverändert blieb. In Deutschland sind die Zahlen tendenziell rückläufig. Trotzdem ist weiterhin rund jeder zweite Erwachsene von einer Parodontitis betroffen.

Zur Studie: Die Forscher entwickelten ein Modell, um die wirtschaftliche Belastung durch Zahnfleischerkrankungen und die Kapitalrendite (Return on Investment – ROI) für die Parodontitisbehandlung zu ermitteln. Um die Folgen von Prävention und Behandlung zu messen, orientierten sie sich an den EFP-Behandlungsrichtlinien. (Abbildung 1). Sie modellierten den Übergang zwischen den Gesundheits- und Krankheitsstadien über zehn Jahre anhand von fünf Szenarien:

  • Ausgangssituation: Beibehaltung der derzeitigen Präventions- und Behandlungssituation.

  • Rückgang der Gingivitisbehandlungsrate von 95 auf 10 Prozent: Als Folge einer unbehandelten Gingivitis würden viel mehr Patienten Parodontitis bekommen.

  • Beseitigung von Gingivitis durch eine verbesserte häusliche Mundpflege. Dadurch würde der Übergang einer Gingivitis in eine Parodontitis verhindert werden. 

  • Keine Parodontitisbehandlungen: Es würden somit alle Parodontitis-Patienten unbehandelt bleiben.

  • 90 Prozent der Parodontitisfälle würden diagnostiziert und einer Behandlung unterzogen.

Die Beseitigung der Gingivitis mithilfe der Präventionstechniken häuslicher Pflege (Zähneputzen und Interdentalbürsten) als auch die Erhöhung der Diagnose- und Behandlungsrate von Parodontitis auf 90 Prozent hätte in allen fünf Ländern einen positiven ROI. Anstrengungen zur Eliminierung der Gingivitis und damit zur Verhinderung des Fortschreitens der Parodontitis würden über 10 Jahre im Vergleich zum „Business as usual“ von 7,8 Milliarden Euro in den Niederlanden bis 36 Milliarden Euro in Italien einsparen. Wird das Basisszenario beibehalten, reichen die Kosten von 18,7 Milliarden Euro in den Niederlanden bis zu 96,8 Milliarden Euro in Italien. 

21,9 Milliarden für Business as usual

Würde man in Deutschland in den nächsten zehn Jahren mit den aktuellen Strategien fortfahren (Szenario 1), würden sich die Gesamtkosten im Zehn-Jahres-Zeitraum auf 21,9 Milliarden Euro belaufen, was 35 Euro pro „gesundem Lebensjahr“ entspräche. Dagegen würde sich bei einer Behandlung von lediglich zehn Prozent aller Gingivitis-Fälle (Szenario 2) eine leichte Kosteneinsparung auf rund 21,4 Milliarden Euro ergeben (42 pro gesundem Lebensjahr). Allerdings würde die Anzahl der gesunden Lebensjahre um 5,7 Millionen sinken und eine negative Kapitalrendite von –1.007 erzielt werden. Könnte durch die Beseitigung von Gingivitis (Szenario 3) der Übergang in eine Parodontitis verhindert werden, würden sich die Kosten mit 11,8 Milliarden Euro langfristig nahezu halbieren. Dies würde rund 19 Euro pro gesundem Lebensjahr sowie 5,7 Millionen gewonnene gesunde Lebensjahre für alle Deutsche bedeuten. Die Kapitalrendite würde indes auf 57,5 ansteigen.

Zahnarztkosten sind ein Hindernis

Die Kosten für Zahnarztbesuche seien für die Allgemeinheit ein Hindernis, bilanzieren die Parodontologen in ihrem Fazit: „Die Menschen gehen dann eher zum Zahnarzt, wenn etwas nicht in Ordnung ist, anstatt zu Kontrolluntersuchungen zu gehen.“ Zahnärztliche Tarife seien in Europa zudem sehr unterschiedlich, einige Länder wie das Vereinigte Königreich und Frankreich erstatten teilweise die Gebühren, während in anderen wie Italien und Spanien zahnmedizinische Behandlungen weitgehend eine Privatleistung sind. Wegen der Kosten vermeiden Menschen häufig die Vorsorge, was am Ende zu teuren Behandlungen führe. Die zahnmedizinischen Kosten sollten daher von der Politik in ganz Europa überprüft werden. 

„Es ist eine große Herausforderung, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten einer komplexen Krankheit wie Parodontitis zu ermitteln“, sagt Mitautor Prof. Iain Chapple. „Die Daten zeigen deutlich, dass der weitaus größte ROI aus der Prävention von Parodontitis resultiert, also aus der Behandlung von Gingivitis, die traditionell als trivial angesehen und ignoriert wird. Stattdessen setzt man auf die Behandlung von Parodontitis – was natürlich zu spät ist.“ 

Quelle: The Economist Intelligence Unit. 2021. Time to take gum disease seriously: The societal and economic impact of periodontitis. London, The Economist Intelligence Unit.

ck/nl

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