Sofortimplantation mit autologem Dentin
Die Idee, Zähne unmittelbar nach dem Extrahieren durch ein Implantat zu ersetzen, ist bereits sehr alt. Erste dentale Sofortimplantationen mit Zähnen aus Elfenbein, Quarz und Holz wurden im alten Ägypten vor 4.000 bis 5.000 Jahren durchgeführt. In präkolumbianischer Zeit wurden Zähne erfolgreich durch Muschelschalen ersetzt und ab dem 18. Jahrhundert erfolgten Sofortimplantationen mit Hunde-, Schafs- und Pavianzähnen.
Die erste Sofortimplantation mit einem konfektionierten Implantat wurde unter der Leitung von Prof. W. Schulte an der Universitätsklinik Tübingen 1976 beschrieben. Hierbei wurde ein Implantat aus reinem Aluminiumoxid (Frialit I, Dentsply, Germany) in die palatinale Wand der frischen Extraktionsalveole eingeklopft [Schulte und Heimke, 1976]. Aufgrund hoher Verlustraten wurde diese Methode eingestellt. Stattdessen wurden Implantate verwendet, die nach der Vorbohrung in den Knochen eingeschraubt wurden.
Nach heutiger Sicht sind verschiedene Zeitpunkte für eine Implantatinsertion nach erfolgter Extraktion eines Zahns beschrieben [Hämmerle et al., 2004; Chen und Buser, 2008]. 2003 wurde bei der ITI Consensus Conference die Klassifikation der Implantationszeitpunkte definiert. Dabei erfolgte die Einteilung in vier Typen:
Typ 1: Sofortimplantation
Typ 2: Frühimplantation nach Ausheilung der Weichgewebe (4 bis 8 Wochen Heilungszeit),
Typ 3: Frühimplantation nach radiologisch sichtbarer Knochen- regeneration (12 bis 16 Wochen Heilungszeit)
Typ 4: Spätimplantation (länger als 16 Wochen Heilungszeit)
Chen und Buser untersuchten die klinische Relevanz der verschiedenen Implantationszeitpunkte im Zusammenhang mit augmentativen Maßnahmen. Im Rahmen einer Meta-Analyse wurde festgestellt, dass Augmentationen bei Implantationen von Typ 1 bis 3 erfolgreicher waren als bei Typ 4 [Chen und Buser, 2009].
Für eine erfolgreiche Osseointegration von Sofortimplantaten werden unter ästhetischen Gesichtspunkten Kriterien beschrieben, die vorteilhaft sind. Dazu gehören intakte knöcherne Alveolenwände sowie mindestens 1 mm Knochendicke der vestibulären Alveolenwand, dicker Gingiva-Biotyp, keine akute Infektion des Zahnfachs und ausreichend verfügbarer apikaler und palatinaler Knochen zum Erreichen einer hohen Primärstabilität [Hämmerle et al., 2004; Morton et al., 2014].
Aufgrund der Positionierung des Implantats an die palatinale Wand der Alveole entsteht ein freier Raum zwischen bukkaler Lamelle und Implantatoberfläche, die sogenannte „Jumping Distance“. Durch Umbauprozesse nach der Extraktion kommt es unweigerlich zu einer Resorption des bukkalen lamellären Knochens [Covani et al., 2011]. Um die Resorption zu minimieren, kann die Jumping Distance mit einem volumenstabilen Knochenersatzmaterial befüllt werden [Araujo et al., 2011].
Für die Augmentation in der oralen Implantologie gibt es eine Vielzahl von Materialien. Dazu zählen autogene, allogene, xenogene und synthetische Materialien. Der Goldstandard ist autologes Material, denn es enthält alle Eigenschaften der Knochenregeneration (Osteogenese, Osteoinduktion, Osteokonduktion). Die Transplantatgewinnung geht jedoch mit einem Zweiteingriff und höherer Patientenmorbidität einher [Nkenke et al., 2002]. Deshalb werden Knochenersatzmaterialien bei der Sofortimplantation häufig bevorzugt.
In experimentellen Tierstudien und klinischen Untersuchungen stellte sich autologes Dentin als vielversprechende Alternative zu den herkömmlichen Knochenersatzmaterialien heraus [Bormann et al., 2012; Jun et al., 2014; Schwarz et al., 2016; Gual-Vaqués et al., 2018; Schwarz et al., 2018; Becker et al., 2019]. Die Ähnlichkeiten in der organischen und anorganischen Zusammensetzung des Dentins sowie die spezifischen osteogenetischen Proteine sind vergleichbar mit denen des Knochens [Kim et al., 2014]. Etwa 90 Prozent der organischen Substanz des Dentins besteht wie beim Alveolarknochen aus Kollagen Typ I und etwa neun Prozent aus nichtkollagenen Proteinen [Leonhardt, 1990]. Besondere Bedeutung haben dabei nichtkollagene Strukturproteine, die auch im Knochen vorkommen, wie zum Beispiel Osteocalcin, Osteonectin, Phosphoprotein und Sialoprotein, und wachstums- stimulierende Faktoren wie das Bone Morphogenic Protein-2 (BMP-2), der Transforming Growth Factor-ß (TGF-ß) und der Insulin Like Growth Factor-II (IGF-II), die die Differenzierung von mesenchymalen Stammzellen in Chondrozyten und knochenbildende Zellen beeinflussen [Linde, 1989; Kim et al., 2010; Kim et al., 2014; Kim et al., 2017].
In einem Review von Chan et al. wurde die Reossifikation der Extraktionsalveole unter Berücksichtigung verschiedener Knochenersatzmaterialen (autolog, allogen, xenogen) zur Socket Preservation untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass es je nach Knochenersatzmaterial zu unterschiedlicher Durchblutung des neu gebildeten Knochens gekommen war. Dabei wurde der Grad der Knochendurchblutung mit der Vitalität des Knochens gleichgesetzt. Die Autoren konnten allerdings keine Aussage treffen, inwieweit besser durchbluteter Knochen einen positiven Einfluss auf die Knochenqualität im Bereich des Implantatlagers und die Stabilität des periimplantären Gewebes hat [Chan et al., 2013]. Es konnte jedoch histologisch nachgewiesen werden, dass die Neubildung von Knochen bei einer Socket Preservation mit Dentin als Augmentationsmaterial signifikant größer ist als mit xenogenen Augmentationsmaterialien [Calvo-Guirado et al., 2018; Minetti et al., 2019]. Im folgenden Fallbericht wird über das Vorgehen bei der Sofortimplantation mit Dentinaugmentation berichtet. Einem 29-jährigen Patienten mussten beide mittleren Oberkieferschneidezähne entfernt werden. Es wurden Sofortimplantate inseriert und eine Augmentation mit autologem Dentin durchgeführt. Abschließend erfolgte eine provisorische Sofortversorgung.