Eine Frage der Erfahrung
Die 32-jährige Zahnärztin Dr. med. dent. Nora Joos wird bald die Berliner Praxis ihres Vaters übernehmen und kennt als Sprecherin der Interessengemeinschaft Junge Zahnmedizin (IJZ) im Verband der Zahnärztinnen und Zahnärzte von Berlin die Wünsche und Sorgen junger Zahnmediziner. Sie vertritt die Meinung, dass junge Zahnmediziner die Selbstständigkeit wählen sollten.
Die Entscheidung für die Selbstständigkeit ist Joos zufolge eine Typfrage. Außerdem sei der Wunsch nach dem Grad der Selbstbestimmtheit entscheidend. „Selbstständige müssen ihre Ideen und Konzepte nicht anpassen und mit einem Chef abstimmen, sondern treffen selbst die Entscheidungen“, betont sie. Wenn man den Freiheitsdrang stark in sich spürt, sei die eigene Praxis der richtige Weg.
Zahnärzte gehen früher in die Selbstständigkeit
Für Männer sei dieser Schritt nach dem Studium allerdings einfacher als für Frauen. „Junge Zahnärzte wählen früher den Weg in die Selbstständigkeit, während die Kolleginnen zunächst ihren Wunsch nach Familienplanung umsetzen“, hat Joos im eigenen Umfeld festgestellt. Dennoch plädiert sie dafür, nach dem Studium nichts zu überstürzen. In den ersten fünf Jahren sei eine Anstellung vernünftig, um Erfahrungen zu sammeln, sich weiterzubilden und herauszufinden, auf welchem Gebiet man sich spezialisieren möchte. Diese Zeit benötige man, um souverän in der Behandlung und im Umgang mit Patienten zu werden. Der Trend gehe dahin, dass man sich als Zahnmediziner spezialisiert oder Schwerpunkte setzt. Und dann müsse der Ort für die Niederlassung eben zum Fachgebiet passen. „Es macht wenig Sinn, sich in einer Gegend niederzulassen, in der der demografische Wandel bereits weit fortgeschritten ist, wenn man sich zum Beispiel auf die Behandlung von Kindern spezialisiert“, erklärt Joos.
Eine zusätzliche Herausforderung für die Praxen sei natürlich die Corona-Situation gewesen – und sei es noch. Viele Zahnärzte hätten sich im Stich gelassen gefühlt. Die Politik habe das Bild vermittelt, den Zahnärzten gehe es während der Pandemie gut. „Das war eine Geringschätzung des Berufsstands. Die Anforderungen den Praxisbetrieb aufrechtzuerhalten, waren im Gegenteil sehr hoch. Und vielleicht hat der Störfaktor Corona bei den jungen Zahnärztinnen und Zahnärzten für noch etwas mehr Unruhe und Verunsicherung gesorgt“, so ihr Fazit.
Das vielzitierte „selbst und ständig“ stelle durchaus eine Hürde dar, die junge Zahnmediziner zunächst davor abschreckt, sich niederzulassen. Viele tendierten zu einer ausgeglichenen Work-Life-Balance. Diese Vorstellung lasse sich eher mit einem „guten Arbeitgeber“ vereinbaren. Außerdem müssten Zahnärzte immer mehr dokumentieren. Der Bürokratieaufwand nehme extrem viel Zeit in Anspruch. „Junge Zahnmediziner wollen behandeln und sich nicht 15 Stunden in der Woche mit Bürokratie rumschlagen müssen“, kritisiert Joos. Auch die Digitalisierung müsse von der Politik besser und geordneter umgesetzt werden. Insbesondere für ländliche Praxen stelle diese eine große Herausforderung dar, wenn die Voraussetzungen nicht überall gegeben sind.
Selbstständigkeit ist mehr als nur behandeln
Ein Angestelltenverhältnis biete die Möglichkeit herauszufinden, wie eine Praxis geführt wird und worauf es ankommt, sagt hingegen Benedikt Joachim. Schließlich bedeute Selbstständigkeit mehr als nur behandeln, nämlich auch die Praxisorganisation, das Praxismanagement und die Mitarbeiterführung. „Das sind Sachen, die lernt man nicht in zwei Jahren. Ich finde, das muss man über einen Zeitraum begleiten. Das wird einem nicht die Wiege gelegt.“ Joachim fühlt sich wohl in der Praxis, für die er arbeitet. Dort gebe es verschiedene Schwerpunkte und er schätze die Arbeit im Team. „Ich habe die Möglichkeit, Fälle zu sehen, die nicht in jeder Praxis behandelt werden, kann diese begleiten oder selber durchführen“, schwärmt Joachim. In etwa fünf Jahren möchte er sich dann auch niederlassen. „Mein Chef und ich sind uns darin einig, dass die Selbstständigkeit für mich irgendwann ein Ziel sein wird. Da unterstützt er mich und steht mir zur Seite – dafür bin ich ihm sehr dankbar.“ Bis dahin genießt er die Vorzüge, die die Praxis mit sich bringt, und kann sich selbst verwirklichen.
Der 30-jährige Zahnarzt hat sich nach seiner Assistenzzeit aus familiären und beruflichen Gründen bewusst für eine Anstellung bei den Zahnärzten am Jägertor in Potsdam entschieden, um mehr Berufserfahrung zu sammeln. „Nach der Assistenzzeit hat ein junger Zahnmediziner noch zu wenig Berufserfahrung gesammelt. Ich finde nicht, dass man nach so kurzer Zeit in einem neuen Terrain ausreichend Erfahrung hat, eine Praxis selber zu führen“, erklärt er. Weitere Aspekte seien die Pandemie und die finanzielle Situation. Es fehle zu dem Zeitpunkt schlicht noch am nötigen finanziellen Volumen, um eine Praxis aufzubauen.
Es kommt auf die Praxis an
Joachim sind auch Fälle von jungen Kolleginnen und Kollegen bekannt, die weniger Glück mit der Praxiswahl hatten. Er weiß von einem jungen Zahnarzt, der am Existenzminimum leben muss, weil er zu wenig verdient. Andere müssten so viel arbeiten, dass sie verschlissen werden, berichtet er. „Als Frau wird man wegen der Möglichkeit der Schwangerschaft erst gar nicht eingeladen.“ Auch von einigen Medizinischen Versorgungszentren hat er bisher nichts Gutes gehört: „Sie haben wirklich familienunfreundliche Bedingungen, weil sie durchgehend geöffnet haben. Als Familienvater möchte man nicht nachts um drei Uhr arbeiten müssen.“ Andere Zahnärzte seien dort unterfordert, weil sie nur „zum Füllungen machen“ eingestellt wurden.
FAZIT
Die Wahl zwischen Niederlassung oder Angestelltenverhältnis scheint eine individuelle Entscheidung zu sein, die zur jeweiligen Lebenslage passen muss. Ferner spielen die Arbeitsbedingungen, die Persönlichkeit und das familiäre Umfeld eine wichtige Rolle. Viele junge Zahnärztinnen und Zahnärzte bevorzugen erst ein Angestelltenverhältnis, später dann die Niederlassung. Das eine schließt das andere ja nicht aus.