Schmerzbehandlung einer Corona-Leugnerin
Die Mitarbeiterin erläutert O., dass der Wartebereich schon sehr voll sei und sich im Einklang mit dem derzeit gültigen Hygienekonzept niemand mehr hinein setzen dürfe. Sie bittet O., sich die Hände zu desinfizieren und vor der Praxistür zu warten, bis ein Platz im Wartezimmer frei wird. O. lehnt dies genauso lautstark ab wie den angebotenen Mund-Nasen-Schutz. Es müsse doch reichen, wenn sie „zur Not“ mit einem Tuch Nase und Mund bedecken würde. Auf keinen Fall könne sie so lange stehen, und vom Desinfektionsmittel bekomme sie einen schlimmen Hautausschlag. Darüber hinaus sei diese ganze „Corona-Panikmache“ übertrieben. Sie kenne niemanden, der diese vermeintliche Erkrankung gehabt habe, und habe auch keine Lust, sich „von der Panik anstecken“ zu lassen.
Kommentar 1
Jeder Zahnarzt hat in seiner Praxis das Hausrecht
Die beschriebene Situation tangiert neben der ethischen Betrachtung auch eine mögliche strafrechtliche Komponente. Als Arzt wird man sehr schnell mit dem Vorwurf unterlassener Hilfeleistung konfrontiert. Das allgemeine Gebot „Grundsätzlich besteht die allgemeine Pflicht, in Notsituationen Hilfe zu leisten“ wird bei Medizinern aufgrund der Garantenstellung, basierend auf der speziellen Ausbildung und insbesondere ihrer Zugehörigkeit zu den Heilberufen, besonders strikt ausgelegt.
Dem gegenüber steht der Vorbehalt der Zumutbarkeit. Gemäß § 323 StGB ist die Unterlassung einer Hilfeleistung nur dann strafbar, wenn diese Hilfeleistung zum einen erforderlich, zum anderen jedoch auch dem Helfer „zuzumuten“ gewesen ist (Quelle: www.koerperverletzung.com/unterlassene-hilfeleistung/ ). Eine Komponente ist dabei auch die Mitarbeit der Patienten. Somit ist die Verpflichtung zur Hilfeleistung im Kontext mit anderen Rechtsgütern zu sehen.
Zur Betrachtung des ethischen Dilemmas werde ich die Prinzipienethik nach Beauchamps und Childress anwenden. Frau O. wünscht eine schnelle Schmerzbehandlung. Der Respekt vor der Patientenautonomie würde also (ungeachtet des Hygienekonzepts) eine solche Behandlung gebieten.
In Bezug auf das Prinzip der Schadensvermeidung (Non-Malefizienz) sind zwei Bereiche (Patienten- und Praxisebene) zu betrachten:
Patientenebene: Das Risiko, dass sich bei Unterlassen einer Therapie über einen längeren Zeitraum der Zustand von O. verschlechtert, ist als groß einzuschätzen.
Praxisebene: Dem gegenüber steht die Gefahr, dass sich (insbesondere) andere Patienten oder Teammitglieder durch die Nichtbeachtung geltender Hygienevorschriften infizieren.
Beim Prinzip der Fürsorge beziehungsweise beim Wohltunsgebot (Benefizienz) sind ebenfalls mehrere Aspekte zu beleuchten. Auch hier gibt es die geschilderten zwei Ebenen. Prinzipiell möchte man als Arzt zuallererst seinem Patienten helfen, indem man in einem solchen Fall die Schmerzen beseitigt. Gleichwohl müssen die anderen Patienten dem Hygienekonzept und dem Arzt bei dessen Umsetzung vertrauen können. Sofern sich ein anderer Patient oder sogar ein Mitarbeiter in der Praxis aufgrund eines (wie auch immer herbeigeführten) Mangels infiziert, wird dieses Vertrauen grundlegend zerstört. Hygiene muss als (zahn-)ärztliche Kernkompetenz praktiziert und wahrgenommen werden.
Wie bei den vorangegangenen Prinzipien kommen auch bei der Gerechtigkeit zwei grundsätzliche Aspekte zum Tragen. Jeder andere Patient würde eine zeitnahe Schmerzbeseitigung erwarten können. So gebietet es die Gerechtigkeit, dass auch Frau O. sich darauf verlassen kann. Auf der Praxisebene haben sich alle Patienten und Praxismitarbeiter an die durch die aktuellen Verordnungen geltenden Hygienemaßnahmen zu halten und willigen durch das Passieren der entsprechenden Schilder an der Praxistür in diese ein. Es wäre ungerecht, wenn deren Gesundheit durch eine Person, die dies trotz weiterer deutlicher Hinweise ignoriert, gefährdet wird.
Fazit: Im dargestellten Fall ist aus juristischer Sicht abzuwägen, ob das Einhalten des Hygienekonzepts (basierend auf entsprechenden Erlassen) – dessen Ziel die Eindämmung einer potenziell lebensbedrohlichen, in vielen Infektionsfällen jedoch zumindest mit erheblichen Spätfolgen verbundenen Pandemie ist – höher wiegt als die unverzügliche Schmerzbeseitigung bei O. Eine signifikante Verschlechterung ihres Befunds durch ein Aufschieben der Behandlung um einige Stunden ist indes nicht zu erwarten. Zudem verweigert O. die für sie niedrigschwellig zu erreichende Mitarbeit, um P. in die Lage zu versetzen, ihre Beschwerden zu beseitigen.
P. lehnt ja nicht die Behandlung an sich ab, sondern fordert aufgrund der allgemeinen Erlasslage und im Sinne des Infektionsschutzes einfach umzusetzende Hygienemaßnahmen in der Praxis. Es ist O. zuzumuten, entgegen ihrer eigentlichen Überzeugung einen Mundschutz zu tragen. Das Problem der angegebenen Unverträglichkeit gegen Desinfektionsmittel ließe sich durch das Tragen von Einweghandschuhen für den Zeitraum des Praxisaufenthalts umgehen. Auf diese Weise könnte der Patientin ein Weg geboten werden, ihrer Mitwirkungspflicht bei der Gewährleistung des Infektionsschutzes in der Praxis nachzukommen und die von ihr gewünschte und geforderte Behandlung zu erhalten.
Sofern P. und das Team dazu bereit wären, gäbe es auch die Möglichkeit, der Patientin einen Termin nach der Sprechstunde anzubieten und ihr bis dahin mittels Schmerzmedikation eine Linderung zu verschaffen. Auf diese Weise könnte ihrem Behandlungswunsch beziehungsweise -bedürfnis ohne Gefährdung weiterer Personen nachgekommen werden. Ein Infektionsrisiko für das Praxisteam bestünde in diesem Fall allerdings weiterhin. Sollte die Patientin auch dieses Vorgehen ablehnen, wäre aufgrund der oben dargestellten Güterabwägung die Behandlung aus meiner Sicht abzulehnen, zumindest bis alle weiteren Patienten die Praxis verlassen haben.
Sollte es zu einem Rechtsstreit kommen, würde ich mich auf die Erlasslage COVID-19, die dargelegte Argumentationskette und die fehlende Mitarbeit der Patientin berufen.
Da die Patientin auch kein entsprechendes Attest vorweist, das eine medizinische und juristische Rechtfertigung für den Verzicht auf das Tragen einer Maske liefert, wäre ich in einer solchen Situation bezüglich des Urteils zuversichtlich. Zudem hat jeder Zahnarzt das Hausrecht in seiner Praxis, das im vorliegenden Fall durch den „lautstarken Vortrag“ bereits verletzt wurde.
Dr. Med. Dent. Dirk Leisenberg
Ringstr. 52b, 36396 Steinau
leisenberg@ak-ethik.de
Die Prinzipienethik
Die Assistentin informiert daraufhin P., die ihrerseits versucht – nun mit entsprechendem Nachdruck –, O. von den notwendigen Hygienemaßnahmen zu überzeugen. Allerdings verweigert O. diese weiterhin und besteht auf einer schnellen Schmerzbehandlung. P. vermutet nach Prüfung ihrer Dokumentation, dass die Beschwerden von O. mit einer vor wenigen Monaten durchgeführten endodontischen Therapie zusammenhängen könnten, und sieht den dringenden Behandlungsbedarf. Andererseits ist ihr die konsequente Umsetzung des Hygienekonzepts sehr wichtig, um die Patienten, ihre Mitarbeiterinnen und sich selbst vor Infektionen zu schützen. Gleichwohl ist sich P. unsicher, wie sie mit O. umgehen soll.
Ethische Dilemmata, also Situationen, in denen der Zahnarzt zwischen zwei konkurrierenden, nicht miteinander zu vereinbarenden Handlungsoptionen zu entscheiden oder den Patienten zu beraten hat, lassen sich mit den Instru menten der Medizinethik lösen. Viele der geläufigen Ethik-Konzeptionen (wie die Tugendethik, die Pflichtenethik, der Konsequentialismus oder die Fürsorgeethik) sind jedoch stark theoretisch hinterlegt und aufgrund ihrer Komplexität in der Praxis nur schwer zu handhaben.
Eine methodische Möglichkeit von hoher praktischer Relevanz besteht hingegen in der Anwendung der sogenannten Prinzipien ethik nach Tom L. Beauchamp und James F. Childress: Hierbei werden vier Prinzipien „mittlerer Reichweite“, die unabhängig von weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen als allgemein gültige ethisch-moralische Eckpunkte angesehen werden können, bewertet und gegeneinander abgewogen.
Drei dieser Prinzipien – die Patientenautonomie, das Nichtschadensgebot (Non-Malefizienz) und das Wohltuns - gebot (Benefizienz) – fokussieren ausschließlich auf den Patienten, während das vierte Prinzip Gerechtigkeit weiter greift und sich auch auf andere betroffene Personen oder Personengruppen, etwa den (Zahn-)Arzt, die Familie oder die Solidargemeinschaft, bezieht.
Für ethische Dilemmata gibt es in den meisten Fällen keine allgemein verbindliche Lösung, sondern vielfach können diffe rierende Bewertungen und Handlungen resultieren. Die Prinzipienethik ermöglicht aufgrund der Gewichtung und Abwägung der einzelnen Faktoren
und Argumente subjektive, aber dennoch nachvollziehbare und begründete Gesamtbeurteilungen und Entscheidungen. Deshalb werden bei klinisch-ethischen Falldiskussionen in den zm immer wenigstens zwei Kommentatoren zu Wort kommen.
Oberstarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth
Schildern Sie Ihr Dilemma!
Haben Sie in der Praxis eine ähnliche Situation oder andere Dilemmata erlebt?
Schildern Sie das ethische Problem die Autoren prüfen den Fall und nehmen ihn gegebenenfalls in diese Reihe auf.
Kontakt: Prof. Dr. Ralf Vollmuth, vollmuth@ak-ethik.de
Alle erschienenen Fälle sowie ergänzende Informationen zum Arbeitskreis Ethik finden Sie auf zm-online.de.
Es stellen sich für sie mehrere Fragen:
1. Dürfte sie O. eine Schmerzbehandlung aufgrund von deren Verhalten verweigern?
2. Was wiegt schwerer, eine mögliche Gefährdung der anderen Patienten sowie des eigenen Personals oder die Beschwerden einer einzelnen Person?
3. Macht sie sich rechtlich wie ethisch angreifbar, wenn sie O. ohne Einhaltung der Hygienemaßnahmen innerhalb der Praxis warten lässt und schließlich möglicherweise mit Kompromissen im Infektionsschutz behandelt?
Oberstarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth
Zentrum für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der Bundeswehr
Zeppelinstr. 127/128, 14471 Potsdam
vollmuth@ak-ethik.de
Oberfeldarzt Dr. Adnré Müllerschön
Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg
Werner-Heisenberg-Weg 39, 85579 Neubiberg
andremuellerschoen@bundeswehr.org
Kommentar 2
P. darf eine Schmerzbehandlung verweigern
Um im vorliegenden Fall zu einer Bewertung zu kommen, erscheint es sinnvoll, zunächst die verschiedenen Anforderungen zu betrachten, die an P. zu stellen sind. Hierbei ist zwischen medizinischen, rechtlichen und ethischen Aspekten zu unterscheiden:
Aus medizinischer Sicht hat P. grundsätzlich Sorge zu tragen, dass ihr Team und ihre Patienten in der Pandemiesituation bestmöglich geschützt sind. Medizinisch betrachtet gibt es eine hinreichende klinische Evidenz dafür, dass die AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmasken) zumindest einen relativen gesundheitlichen Schutz bieten und das Infektionsrisiko nachhaltig senken. Da P. die Praxis führt und damit letztlich für die Abläufe in der Praxis verantwortlich ist, ist es auch an ihr, im Rahmen ihres Heilauftrags und ihrer Sorgfaltspflicht als Behandlerin die Umsetzung dieser protektiven Maßnahmen sicherzustellen.
Aus medizinischer Sicht hat P. grundsätzlich Sorge zu tragen, dass ihr Team und ihre Patienten in der Pandemiesituation bestmöglich geschützt sind. Medizinisch betrachtet gibt es eine hinreichende klinische Evidenz dafür, dass die AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmasken) zumindest einen relativen gesundheitlichen Schutz bieten und das Infektionsrisiko nachhaltig senken. Da P. die Praxis führt und damit letztlich für die Abläufe in der Praxis verantwortlich ist, ist es auch an ihr, im Rahmen ihres Heilauftrags und ihrer Sorgfaltspflicht als Behandlerin die Umsetzung dieser protektiven Maßnahmen sicherzustellen.
Aus rechtlicher Sicht stellt sich die Situation nahezu deckungsgleich dar: Das aktuell gültige, von den politischen Entscheidungsträgern veranlasste Hygienekonzept sieht ebendiese Verhaltensregeln (AHA-Regeln) vor, das heißt Zahnärzte sind auch rechtlich gehalten, ihre Praxisabläufe nach den erwähnten Vorgaben auszugestalten. Dabei wird speziell die Maskenpflicht – wie auch andere (passagere) Beschränkungen der Freiheitsrechte – auf die Generalermächtigung des § 28 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz gestützt. In dieser Frage besteht hinreichende Rechtsklarheit: Die allgemeine Maskenpflicht in Innenräumen (Geschäfte, Praxen, ÖPNV) hatte und hat vor dem Bundesverfassungsgericht und den bundesdeutschen Gerichten größtenteils Bestand. Begründet wurde und wird dies mit dem gebotenen Schutz der Gesundheit der Allgemeinheit und der erforderlichen Eindämmung der Ausbreitungsgeschwindigkeit des COVID-19-Virus.
Bleibt die ethische Perspektive. Hier erscheint es sinnvoll, die vier ethischen Prinzipien zu betrachten, die im Umgang mit Patienten zu wahren sind. Dabei gilt es, (1) den Respekt vor der Patientenautonomie, (2) das Gebot der Fürsorge (Benefizienz), (3) das Nichtschadensgebot (Non-Malefizienz) und (4) Gerechtigkeitsaspekte zunächst jeweils einzeln zu analysieren und nachfolgend im Bedarfsfall gegeneinander abzuwägen:
Im vorliegenden Fall verweist O. auf ihre Selbstbestimmung und lehnt eine Einhaltung der AHA-Regeln dezidiert ab, weil sie hierin einerseits eine persönliche Zumutung sieht („Es müsse doch reichen, wenn sie ‚zur Not‘ mit einem Tuch Nase und Mund bedecken würde. Auf keinen Fall könne sie so lange stehen, und vom Desinfektionsmittel bekomme sie einen schlimmen Hautausschlag.“) und andererseits den grundsätzlichen Bedarf derartiger Schutzregeln anzweifelt („Sie kenne niemanden, der diese vermeintliche Erkrankung gehabt habe, und habe auch keine Lust, sich ,von der Panik anstecken‘ zu lassen.“).
Die Achtung der Patientenautonomie kollidiert hier jedoch zahnärztlicherseits mit dem Fürsorgegebot: Um das Wohlergehen aller Patienten bestmöglich zu schützen, bedarf es der Einhaltung der AHA-Regeln. Schert eine Person aus diesem Regelwerk aus, bedeutet dies ein Risiko für alle Anwesenden. Dieses Risiko ist deshalb unbotmäßig, weil es der Patientin O. ohne Weiteres möglich wäre, zur Gefahrenminimierung beizutragen, und sie dies allein aus Eigeninteresse – negativ formuliert: aus mangelnder Solidarität – nicht tut. (Anders wäre es zu bewerten, wenn die Patientin aus gesundheitlichen Gründen von der Maskenpflicht befreit wäre und sich ansonsten einsichtig zeigte. Beides ist hier jedoch nicht der Fall.)
Auch das Nicht-Schadensgebot weist in diese Richtung: Es bedeutet konkret, dass P. im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür Sorge tragen muss, dass ihren Patienten kein vermeidbarer Schaden entsteht. Daraus folgt ebenfalls, dass sie die Einhaltung der AHA-Regeln sicherstellen muss.
Last not least ist das Prinzip der Gerechtigkeit anzusprechen: Es wäre ungerecht, eine einzelne Patientin gleichsam „auf Zuruf“ von der AHA-Regel freizustellen und ihr überdies, wie von ihr gefordert, „eine schnelle Schmerzbehandlung“ zukommen zu lassen, während alle anderen sich an die Regeln und an das „first come, first serve“-Prinzip halten.
In der Summe ist hier somit die Achtung der Patientenautonomie geringer zu gewichten als die drei übrigen Prinzipien, die allesamt ein Festhalten an den AHA-Regeln nahelegen. Das Einzelinteresse muss in der skizzierten Pandemiesituation hinter das Gemeinwohl und Solidaritätspflichten zurücktreten.
Allerdings gebietet es der Respekt vor der Patientenautonomie, mit der uneinsichtigen Patientin ein Aufklärungsgespräch zu führen. Hierbei sollte P. die medizinische Sinnhaftigkeit und die rechtliche Notwendigkeit der Einhaltung der AHA-Regeln darlegen. Zugleich sollte sie O. deutlich machen, dass in ihrem Fall ein Behandlungsbedarf besteht, dem sie als Zahnärztin sehr gerne nachkommen würde – freilich unter Einhaltung der besagten Kautelen. Wenn die Patientin trotz dieses differenzierten Gesprächs keine Einsicht zeigt, hat P. ihrer Aufklärungs- und Sorgfaltspflicht Genüge getan. In diesem Fall sind die gestellten Fragen wie folgt zu beantworten:
Ja. P. darf der Patientin eine Schmerzbehandlung verweigern, wenn O. unkooperativ bleibt. De facto muss sie sogar von einer Behandlung Abstand nehmen, weil sie sich hierfür außerhalb der AHA-Regeln bewegen müsste. In einem solchen Fall würde sie die Gesundheit dritter Personen (Behandlungsteam, andere anwesende Patienten) riskieren und sich zudem rechtlich angreifbar machen. Auch ethisch wäre ein solches Risiko aus den genannten Gründen (Fürsorgegebot, Nichtschadensgebot, Gerechtigkeits- beziehungsweise Solidaritätsaspekte) nicht vertretbar.
Damit ist auch bereits die zweite Frage beantwortet: Eine Sonderbehandlung einer Person stößt da an Grenzen, wo sie mit einer Gefährdung Dritter (Patienten, Personal) einhergeht. Deshalb wiegt hier das Wohlergehen des Kollektivs stärker als das anders gelagerte Interesse einer einzelnen Person – insbesondere, weil es der Patientin durchaus möglich wäre, sich regelkonform zu verhalten und weil ihr das Angebot unterbreitet wurde, bei Einhaltung der Hygienemaßnahmen behandelt zu werden.
Ähnlich eindeutig ist die Antwort auf die letzte Frage: P. würde sich in der Tat rechtlich wie ethisch angreifbar machen, wenn sie O. ohne Einhaltung der Hygienemaßnahmen innerhalb der Praxis warten ließe und eine Kompromissbehandlung vornähme.
Prof. Dr. Dr. Dr. Dominik Groß
Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen University
Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2
Wendlingweg 2, 52074 Aachen
dgross@ukaachen.de