Ein Lehrfilm, Molarenzangen und Hermelinschädel
Gegründet wurde die Universität Marburg bereits 1527 durch Landgraf Philipp I., genannt der Großmütige, einem Vorkämpfer für die Reformation in Deutschland. In Marburg und in Liegnitz (1526) entstanden die ersten protestantischen Universitäten im deutschsprachigen Raum, wobei die in Niederschlesien nur drei Jahre Bestand hatte. Zu den Gründungsfakultäten in Marburg gehörten neben Philosophie, Theologie und Jura auch die Medizin.
Nach der vorübergehenden Schließung während des Dreißigjährigen Krieges und der Pest entstanden bei der Neugründung 1653 drei Ordinariate: „Hygiene und Therapeutik“, „Pathologie, Semiotik und Botanik“ sowie „Physiologie, Anatomie und Chirurgie“. Zu den neuen Sparten der Medizin gehörte ab 1890 die Zahnmedizin, die anfangs in nur zwei Räumen untergebracht war und ab 1909 in einem Schulgebäude in der Ketzerbach ihren Platz fand. Ab 1920 wurde auch das alte physikalische Institut der Universität am Renthof als Standort genutzt. 1964 hatten die alten Räumlichkeiten ausgedient und die Klinik für Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten zog in den Neubau am Ortenberg.
Die Sammlung zählt inzwischen 131 Jahre
Die Sammlung des zahnärztlichen Instituts geht ebenfalls auf das Jahr 1890 zurück. Die Exponate sind in Vitrinen im Neubau ausgestellt. Weitere größere Objekte befinden sich in einem Magazin – diese sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Über die Jahrzehnte gingen einige Sammlungsstücke durch Krieg, die Studentenwirren und auch durch Verschenken verloren.
Die zahnmedizinischen Sammlungen deutscher Universitäten
Entdeckt wurde bei Aufräumungsarbeiten im alten Institutsgebäude allerdings eine Rarität: ein Unterrichtsfilm, in dem der vormalige Institutsdirektor Prof Dr. Guido Fischer (von 1911 bis 1919) seine Technik der Lokal- und Leitungsanästhesie erläutert. Fischer war ein Wegbereiter der Lokalanästhesie [Groß, 2018], und der Film aus dem Jahr 1914 gehört zu den ersten zahnärztlichen Lehrfilmen – er wurde restauriert und bei Fortbildungen gezeigt. In der Sammlung wird auch eine Injektionsspitze gezeigt, die Fischer 1914 entwickelte, samt alter Narkosemaske.
Alle Exponate stammen aus dem Zeitraum vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zu den 1960er-Jahren. Zu den Objekten aus der Anästhesie kommen Instrumente zur Zahnchirurgie, Reinigung und Prothetik, Geräte und Instrumente der Zahntechnik, der Bereich der Röntgenologie, Behandlungsstühle und Apparaturen sowie eine Sammlung zur vergleichenden Anatomie von Menschen- und Tierschädeln und eine Moulagensammlung.
Katzen-, Igel-, Affen- und Kinderschädel
Bei der Kollektion der Schädel handelt es sich „um fünf Schädel von bis zu vier Jahre alten Kindern, davon sind drei als Demonstrationspräparate mit entsprechender Beschreibung versehen, vier spezielle Präparate der Nasennebenhöhlen und drei weitere sehr verschieden geformte menschliche Schädel“ [Schmitt, 1993]. Diesen Humanschädeln sind eine ganze Reihe tierischer Schädel vom Igel über Hermelin, Katze und Fuchs bis zum Affen sowie Zähne vom Elefanten, vom Kamel oder vom urzeitlichen Höhlenbären gegenübergestellt.
Beeindruckend sind ebenfalls die handgeschnitzten Prothesen aus Elfenbein, die aus dem 18. und dem 19. Jahrhundert stammen. Aus der Zahntechnik finden sich einige Öfen, Porzellangussapparate, Kronenziehpressen und Artikulatoren.
Übrigens wurde der Schweizer Artikulatorenkonstrukteur Alfred Gysi (1865–1957) 1927 von der Universität Marburg mit dem Titel Dr. med. dent. h. c. geehrt. Neben einem Gysi-Artikulator von 1930 gehört ein Artikulator des Engländers Gibson A. Bonwill zur Sammlung. Zu sehen sind auch Instrumente für die Bearbeitung von Kronen- und Brücken wie Konturenzangen, Kronenaufschneidezangen und Stiftzahnentferner.
Zu den gezeigten chirurgischen Instrumenten gehören unter anderem Mundwinkel- und Wangenhalter, Wundhaken, Wurzelschrauben und Winkelstücke sowie zehn verschiedene Zahnzangen. Besonderheiten sind eine Front- und eine Molarenzange im Rohrguss. Darüber hinaus gibt es eine Kollektion von Zahnreinigungsinstrumenten, Geräte zur Zahnmassage, Zahnstocher, auch ein Exemplar des Interdentalreinigers „Fedenor“ ist ausgestellt.
Das Magazin beherbergt Behandlungsstühle, einen Instrumentenschrank, Röntgenapparate, eine Walterscheidsche Siebpresse, eine kleine Gold-Plattenwalze, Keramikbrennöfen, Vulkanisierkessel und Fußtretbohrmaschinen. Wie der Kustos hervorhob, bedarf die Sammlung, die seit dem Jahr 1964 keine Erweiterung mehr erfahren hat, einer gründlichen Überarbeitung. n
Kay Lutze
Historiker, M.A.
Literaturliste
- Guido Fischer – Pionier der Lokalanästhesie, Dominik Groß, zm 06/2018.
- Schmitt, Dagmar, Diss. Sammlungen und Museen zur Geschichte der Zahnheilkunde in Zentraleuropa, Gießen 1993, S.72–87.