Bis der Druck zu viel wird
Die strengen Hygienemaßnahmen, abgesagte Patiententermine und der hohe Krankenstand in den Zahnarztpraxen haben dazu beigetragen, dass die Arbeitssituation als immer stressiger wahrgenommen wird, berichtet Jöhren, Zahnarzt und Lehrbeauftragter an der Universität Witten/Herdecke.
Bereits 2010 war Jöhren an der Burn-out-Studie beteiligt, die die starke Belastung in der Berufsgruppe in Deutschland hervorbrachte [Wissel et al., 2012]. Die Pandemie habe das ohnehin schon straffe Arbeitsleben noch einmal verdichtet, sagt er. „Hinzu kamen gegebenenfalls auch noch wirtschaftliche Sorgen, da Eingriffe verschoben oder nur Notfallmaßnahmen durchgeführt wurden. Dabei liefen die Fixkosten der Praxen weiter – noch ein zusätzlicher Belastungsfaktor“, so der Experte. Das alles treffe auf den bestehenden Fachkräftemangel in den Praxen. Viel Arbeit werde auf wenige Schultern verteilt. Das erhöhe den Stress maßgeblich.
2010 empfanden schon 60 Prozent Stress im Job
Im Jahr 2010 führte die Universität Witten/Herdecke in Kooperation mit dem Arbeitskreis für Psychologie und Psychosomatik der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) unter der Beteiligung von Jöhren eine bundesweit angelegte Online-Befragung durch, die „Burn-out-Studie“. Von den 1.231 Zahnärzten, die teilnahmen, gaben damals 60,99 Prozent an, die zahnärztliche Berufsausübung als „überdurchschnittlich stressig“ zu empfinden. Stressbedingte Symptome wie Antriebsmangel, Müdigkeit, Schlafstörungen und Ängste gaben jeweils mehr als die Hälfte an. 44 Prozent litten nach eigenen Angaben an Depressionen, 13 Prozent hatten sogar Suizidgedanken.
Als die bedeutendsten (Dis)Stressfaktoren wurden eigene Misserfolge und Behandlungsfehler, der eigene Perfektionismus und Qualitätsanspruch sowie die umfangreichen Verwaltungstätigkeiten ermittelt. Die Studie stellte eine Burn-out-Prävalenzberechnung an und ermittelte einen Anteil von 13,6 Prozent von Burn-out betroffenen Zahnärzten. Einem Burn-out-Risiko unterlagen 31,9 Prozent der Teilnehmer. Anfang dieses Jahres startete nun die „Burn-out-Studie 2.0“, deren Auswertung derzeit läuft. Auch wenn deren Ergebnisse noch nicht abschließend vorliegen, berichtet Jöhren vom sich verschärfenden Trend der Überlastung.
Zusammengefasst sind die Digitalisierung, der wachsende Verwaltungsaufwand, der Fachkräftemangel und der Druck, fehlerfrei zu arbeiten, beziehungsweise die Angst vor Behandlungsfehlern seiner Einschätzung nach die stresstreibenden Faktoren, die ein Burn-out triggern können. Er regt an zu überlegen, ob wirklich 40 Wochenstunden am Patienten dauerhaft leistbar sind. „Ein Ergebnis unserer ersten Burn-out-Studie war ja: Die Arbeitsbelastung wurde häufig als zu hoch angegeben. Natürlich muss das Arbeiten im Team gut laufen, um Stress zu vermeiden oder diesen zusammen besser abfangen zu können. Keiner muss den Anspruch haben, alles alleine schaffen zu müssen. Delegieren, wo es möglich ist und auf gute Kommunikation setzen!“
Die Pandemie zeigt ihre Spuren – international
Eine aktuelle Studie aus den USA (zm 17/2022) brachte hervor, dass Zahnärzte und Dentalhygieniker auch dort während der Pandemie mit Angstzuständen und Depressionen zu kämpfen hatten, insbesondere während den Spitzenzeiten der Übertragung [Eldridge et al., 2022]. Befragt wurden 8.902 Beschäftigte des zahnärztlichen Gesundheitswesens. Davon gaben 17,7 Prozent an, dass sie Angstsymptome spüren, 10,7 Prozent hatten Symptome einer Depression und 8,3 Prozent sogar beides. „Angesichts der anhaltenden Pandemie ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Mitarbeitenden des zahnärztlichen Gesundheitswesens ihre Fähigkeit weiterentwickeln, Anzeichen und Symptome psychischer Erkrankungen bei sich selbst und ihren Kollegen zu erkennen und zu behandeln“, schrieben die Studienautoren zu den Ergebnissen.
Eine Studie aus Spanien, die im Frühsommer (zm 12/2022) publiziert wurde, zeigte eine noch gravierendere Bilanz: Über 50 Prozent aller Zahnärzte leiden unter einem Burn-out-Syndrom, davon rund 10 Prozent besonders schwer [Gómez-Polo et al., 2022]. Ein höheres Risiko für eine chronische Erschöpfung hatten der Auswertung nach Frauen, Personen im Angestelltenverhältnis und Alleinarbeitende in einer Einzelpraxis. Bemerkenswert sei, dass Jüngere und Berufsanfänger häufiger Symptome eines Burn-outs aufwiesen.
Das Studierendenparlament (StuPa) des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte (FVDZ) hat kürzlich eine Umfrage unter Zahnmedizinstudierenden durchgeführt, um ein umfangreiches Stimmungsbild hinsichtlich der psychischen Belastung in der Ausbildung einzufangen. Dafür wurden Studierende der Zahnmedizin aller deutschen Fakultäten um Antwort gebeten. Die Rückmeldungen von 637 Studierenden von 30 Unistandorten zeichnen ein eher düsteres Bild: So gab fast die Hälfte der Teilnehmenden an, in der vergangenen Zeit darüber nachgedacht zu haben, das Studium aufgrund der zu hohen Belastung abzubrechen.
Auch der Nachwuchs fühlt sich stark belastet
Gut 50 Prozent meldeten, dass sie schon einmal von einem Dozenten beleidigt oder sogar angeschrien wurden. Lediglich 21 Prozent berichteten von einem respektvollen Umgang seitens ihrer Lehrpersonen. In den ergänzenden Kommentaren zur Umfrage wurde von als unfair empfundenen Bewertungen, Bloßstellungen, sexistischen und sogar rassistischen Situationen berichtet. Über 80 Prozent wünschen sich eine psychologische Beratungsstelle und über 90 Prozent eine Vermittlungsinstanz zwischen Dozenten und Studierenden an der Lehrstätte. Fast 85 Prozent gaben an, neben der Ausbildung kaum noch Zeit für ihr Privatleben zu finden und somit auf einen wichtigen Ausgleich zu verzichten.
Um die Burn-out-Rate bei den Zahnärzten langfristig zu reduzieren, müsste nach Jöhren unter anderem die zunehmende Digitalisierung genutzt werden, um Abläufe zu vereinfachen. „Man sollte die Tools, die es in einer digitalen Praxis gibt, nutzen, um besser und schneller dokumentieren zu können.“ Ebenso müsse man dem Fachkräftemangel aktiv entgegenwirken. „Wenn Zahnärzte aufwendige Verwaltungsaufgaben an qualifiziertes Fachpersonal delegieren könnten, fiele ein großer Belastungsfaktor von ihnen ab“, so Jöhren.
Für die Resilienz, also die mentale Widerstandsfähigkeit, sei zudem der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen ganz wichtig. „Ein stärkendes Gespräch kann sehr unterstützend wirken in schwierigen Situationen. Regelmäßige Reflexion und der Austausch über Probleme und Herausforderungen können der Resilienz-Bildung zugutekommen. Zum Ausgleich trägt vor allem auch das Privatleben bei. Familie und Freunde helfen, die Batterien wieder aufzuladen und so die Spirale permanenter Erschöpfung zu durchbrechen. Man kann auch durch Sport seine Widerstandsfähigkeit trainieren. Außerdem, und das ist ja bekannt, heißt es in stressigen Phasen: wenig Alkohol, viel Schlaf und regelmäßige Erholungsphasen! Finger weg von Beruhigungs- oder Schlaftabletten! Damit beginnt ein Teufelskreis. Wer viel leistet, muss sich auch immer wieder erholen. Wir Zahnärzte tragen ein hohes Maß an Verantwortung und dürfen uns klar sein, dass wir eben auch Pausen brauchen“, rät der Experte. „Und auch das Handy mal aus der Hand legen und nicht immer in der Freizeit erreichbar sein.“
Aufgrund der verschiedenen lokalen Rahmenbedingungen und Messmethoden sind die Studien nur bedingt vergleichbar. Dennoch kommen sie zum gleichen Ergebnis: Das Burn-out-Syndrom ist unter der Zahnärzteschaft weit verbreitet, weil bestimmte Faktoren die Berufsgruppe besonders anfällig machen.
Prof. Dr. med. dent. Hans-Peter Jöhren von der Fakultät für Gesundheit (Department für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde) an der Universität Witten/Herdecke: „Wer viel leistet, muss sich auch immer wieder erholen.“
„Der Erfolg darf nicht zulasten der Gesundheit gehen“
Auf seine mentale Gesundheit zu achten ist mindestens so wichtig wie auf den Rücken bei der Sitzhaltung am Patienten. Sonst können 30 Berufsjahre eine extreme Herausforderung werden. Das ist die Botschaft von Alexander Volz, Co-Praxischef und Initiator einer neuen Beratungsplattform für die mentale Gesundheit von Zahnärzten und Ärzten. Zentral dabei sind Führungskompetenz und Persönlichkeitsentwicklung. Die geistige Gesundheit hält er für das Schlüsselthema der kommenden Jahre, auch mit Blick auf eine langfristig erfolgreiche Teamarbeit.
Wie sind Sie auf das Thema gekommen und woher stammt der Impuls für das Projekt?
Alexander Volz: Unser eigener Arbeitsalltag war der stärkste Impuls und hat die Erkenntnis gefordert: „So geht es nicht auf Dauer.“ Wir wollen ganz bewusst ein gutes Klima in der Praxis schaffen mit ausreichend Zeit, uns auch wirklich um die Mitarbeiter zu kümmern. Die Patienten sollen nicht abgefertigt werden, sondern gerade hier in der Zahnarztpraxis, wo sie nicht selten auch mit Angst hinkommen, spüren, dass wir Zeit und Empathie für sie haben.
Alexander Volz Botschaft lautet: „Hab Gnade mit dir selbst, sonst kann es zu viel werden.“ Zielgruppe sind niedergelassene Zahnärzte und Ärzte. Die Fähigkeit von Führungskräften zu einem Perspektivwechsel hält er außerdem für ganz zentral. | Volz
Das erfordert mentale Energie von den Behandlern. Jeden Tag 30 bis 50 Patienten, unterschiedliche Charaktere, Lebensgeschichten und fachliche Fragen – das strengt unglaublich an und man braucht eine Möglichkeit zur Erholung und Regeneration. Wenn man diese Bedürfnisse vernachlässigt, geht das vielleicht eine Weile lang gut, aber es kommt der Punkt, da zeigt der Körper auf, dass das keine gute Idee für die nächsten 25 Jahre ist. Das Problem ist: Das sagt kaum einer laut und es wird auch nicht in der Ausbildung darauf eingegangen.
Warum glauben Sie ist mentale Gesundheit ein vernachlässigtes Thema in der Branche? Und was sind die kritischen Faktoren, die zu Überlastung führen können?
Der Zahnarzt und die Zahnärztin der vergangenen Generation waren oder sind oft Inhaber der eigenen Praxis und dabei in drei Rollen gleichzeitig: Fachspezialist, Teamführung und Unternehmer. Diese parallel laufenden profunden Anforderungen können meines Erachtens nach Stressquellen sein, die auf den Inhaber einwirken. Und die beiden letzteren Rollen werden in der Ausbildung nicht gelernt. Im Gegenteil: Das zahnmedizinische Studium fördert ja eher den Perfektionismus-Gedanken und kann direkt von Beginn an Druck und damit Stress auslösen. Später in der Praxis sind die Patientenerwartungen und die eigene meist so hoch, dass Druck ein dauerhafter Begleiter ist. Mal ehrlich, das ist unrealistisch und auch noch psychologisch ungesund. Und irgendwie muss man aber damit klarkommen und schafft sich Kompensationsstrategien.
Dauerhaft überhöhte Erwartungen und nicht zuletzt auch der Stress durch Corona, das macht ja nicht nur einen selbst auf Dauer krank, es wirkt sich irgendwann zwangsläufig auf das Team aus und man gerät in die Spirale von Fluktuation, weniger gut funktionierende Abläufe, mehr Stress für alle und so weiter. Spätestens dann wird es nicht nur persönlich ungesund, sondern betriebsgefährdend. Glücklicherweise wächst gerade eine neue Generation in die Verantwortung, die diese Dinge anders handhaben will und für sich selbst ein anderes Modell möchte. Aber gerade die kommen in ein wirtschaftliches Umfeld, das zunehmend anspruchsvoller wird. Die Personalführung erfährt jedoch einen neuen Stellenwert, ebenso nehmen auch hier die Anforderungen eher zu.
Wie können Auswege oder Alternativen aussehen, um die InhaberInnen in Zukunft besser zu unterstützen?
Am Anfang steht die ehrliche Bestandsaufnahme jedes Inhabers oder jeder Inhaberin bei sich selbst: Wie geht es mir? Habe ich ein Praxiskonzept organisiert, in dem ich mich persönlich mit meinen Bedürfnissen gesund bewegen kann? Oder fühle ich mich als Gefangener in meinem eigenen Konstrukt? Diese Ehrlichkeit gegenüber sich selbst ist nicht schön und kann schmerzen. Wer will schon eingestehen, dass er nicht alles im Griff hat und man selbst auch nicht mehr alleine die Lösung produzieren kann? Ab diesem Punkt gilt es durchzuatmen und die Dinge zu sortieren.
Einen Berg besteigt man Schritt für Schritt. Wir haben ein Modell erarbeitet, in dem wir über die drei Dimensionen Person, Organisation und Praxiskultur über 30 Einzelaspekte identifiziert haben, die man überprüfen darf. Das hilft, den großen Berg in kleine Etappen zu zerlegen und zu prüfen, ob man an dem jeweiligen Punkt schon sauber aufgestellt ist oder ob Handlungsbedarf besteht. Ziel ist es auch, dass Arbeits- und Freizeitpensum danach festzulegen und regelmäßige Auszeiten zu nehmen. Ist es langfristig nicht besser neun als zwölf Stunden zu arbeiten – für den Gehirnstoffwechsel und die mentale Gesundheit?
Was kann ein Inhaber heute schon tun, damit es ihm im Arbeitsalltag besser geht?
Man muss sich ganz bewusst Zeit für sich freischaufeln. Unser Gehirn braucht unabdingbar wirkliche Ruhepausen, um die Informationsdichte unseres intensiven Arbeitsalltags zu verarbeiten. Zeit zur Reflexion und des Klarwerdens ist so enorm wichtig. Das sind neurowissenschaftliche Erkenntnisse, was unser Gehirn braucht, um langfristig gesund zu bleiben. Und das Gehirn ist das Organ, in dem das sogenannte „Mentale“ produziert wird.
Der wohl wichtigste Tipp überhaupt ist so einfach, wie zu oft vernachlässigt: Jeden Tag ausreichend schlafen und dabei eine Routine entwickeln, damit dieser Schlaf auch seine gesundheitsschützende Funktion erfüllen kann. Leider ist es ein verklärtes Symbol vermeintlicher „High Performance“ mit wenig Schlaf auszukommen.
Welchen Vorteil hat es noch, wenn sich die Praxisführung mit dem Thema der mentalen Gesundheit beschäftigt?
Die Praxis als Ganzes profitiert, weil der emotionale Stress reduziert wird. Das führt zu weniger Krankheit, mehr Zufriedenheit. Am langen Ende geht es mir aber darum, dass die Praxis auch nach außen sichtbar deutlich machen kann, einen mental gesunden Arbeitsplatz zu bieten. Ich glaube, dass das der zentrale Aspekt ist, nach dem viele Fachkräfte entscheiden, ob sie zu uns kommen, bei uns bleiben oder uns verlassen. Es ist nicht das Geld, das die Damen bei uns hält. Es sind zum überwiegenden Teil das Miteinander, das Team und das Gefühl als Mensch willkommen und wertgeschätzt zu werden.
Die ZFA-Community untereinander weiß, in welchen Praxen man gerne arbeiten möchte und wo man sich besser fernhält. Nur weil eine Stelle frei ist und egal wie aufwendig auch ein Marketing gestaltet ist – wenn der Ruf der Praxis versaut ist, werden nicht die gewünschten Bewerbungen reinkommen. Ein ausgeglichenes Arbeitsklima zu schaffen lohnt sich demnach auch an der Stelle nachhaltig.
Das Gespräch führte Laura Langer.
Literaturliste
1. Burnout-Studie 1: C. Wissel, A. Wannemüller, H.P. Jöhren.: „Burnout bei Zahnärzten – Ergebnisse einer bundesweiten Onlinebefragung in Deutschland“ 2010. Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift 2012, 67:317-326, DOI 10.3238/dzz.2012.0317–0326
2. Studie aus den USA: Eldrigde LA, Estrich CG, Gurenlian JG et al.: „U.S. dental health care workers’ mental health during the COVID-19 pandemic“. J Am Dent Assoc. 2022 Aug 01; 153 (8):740–749. doi.org/10.1016/j.adaj.2022.02.011
3. Studie aus Spanien: Gómez-Polo, C. et al.: „Burnout syndrome in dentists: Work-related factors“ J Dent. 2022 Jun;121:104143. doi: 10.1016/j.jdent.2022.104143. Epub 2022 Apr 25. PMID: 35472454.