Rätselhafter Fremdkörper im OPT: Patient hatte den Schuss nicht gehört
Ein 25-jähriger Patient stellte sich mit seit Längerem bestehenden Schmerzen im Bereich des linken Mittelgesichts, insbesondere bei der Mundöffnung, bei seinem Zahnarzt vor. In der klinischen Diagnostik fanden sich weder ein dentaler Fokus noch konkrete Hinweise auf das Vorliegen einer craniomandibulären Dysfunktion (CMD). Der Patient wurde zur weiteren Abklärung an die Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover verwiesen.
Bei der Erstvorstellung präsentierte sich der allseits gesunde Patient mit Schmerzen im Bereich des linken Kiefergelenks und der angrenzenden Kaumuskulatur. Die Mundöffnung war schmerzhaft auf 19 mm eingeschränkt. Andere CMD-typische Befunde zeigten sich nicht. Die intra- und extraorale Untersuchung war ohne pathologischen Befund. In der Vorgeschichte war ausschließlich die Osteotomie der vier Weisheitszähne alio loco vor einigen Jahren zu finden. Auf Nachfrage wurde ein zeitlicher Zusammenhang mit den Beschwerden geschildert. Zur weiteren Abklärung wurde ein Orthopantomogramm (OPT, Abbildung 1) angefertigt.
Nach Anfertigung des Röntgenbildes erfolgte eine erneute Untersuchung der regiones 27 und 028 und der angrenzenden Weichteile. Weder inspektorisch noch palpatorisch ließ sich der im OPT sichtbare Fremdkörper nachvollziehen, in der Sonografie ließ er sich nicht sicher darstellen. Aufgrund der zu erwartenden Metallartefakte wurde eine Digitale Volumentomografie (DVT) zur Lokalisation des Fremdkörpers durchgeführt, die eine circa 5 mm x 5 mm x 7 mm, stark radioopake Struktur am ehesten im Bereich des Musculus masseter zeigte.
Die differenzialdiagnostischen Überlegungen im Kollegium reichten von einem Artefakt über ein Inlay bis zur Spitze eines Wurzelhebels nach Barry, einem eingesprengtem Schrapnell oder einem Projektil. In der wiederholt durchgeführten Anamnese fanden sich keine Angaben hinsichtlich der Anfertigung eines Inlays oder auf Schuss- oder Kriegsverletzungen. Extraoral fand sich im zu untersuchenden Bereich nur eine winzige Narbe, die in der Gesamtbetrachtung am ehesten auf die Folgen einer juvenilen Akne zurückzuführen war.
Zusammen mit dem Patienten wurde der Entschluss zur operativen Exploration gefällt. Aufgrund der in der DVT vermuteten Nähe zur Mundhöhle erfolgte dies von intraoral über einen Zugang im Bereich des linken aufsteigendes Astes (Abbildung 2). In Lokalanästhesie konnte der sich nun als Geschoss (Spitzkopfdiabolo, Kaliber 4,5 mm) offenbarende Fremdkörper (Abbildung 3) nach vorsichtiger Präparation in die Tiefe mit der zahnärztlichen Pinzette lokalisiert und geborgen werden. Der postoperative Wundschmerz klang wie erwartet innerhalb einiger Tage ab. Wider Erwarten kam es jedoch zu einer nur marginalen Verbesserung der initial beschriebenen Symptomatik, da sich im späteren Verlauf zunehmend Hinweise auf eine CMD fanden.
DISKUSSION
Im Rahmen der radiologischen Routinediagnostik erhobene Zufallsbefunde sind in der Zahnmedizin nicht selten [Ghassemzadeh et al., 2021; Bondemark et al., 2006]. Auch wenn verbliebene Projektile aus Schusswaffen oder deren Anteile in der Literatur beschrieben sind [Rao et al., 2014; Barett et al., 1984; Wenham et al., 2009], stellen diese sicherlich eine besondere Ausnahme unter den Zufallsbefunden dar. Besonders in Deutschland sind penetrierende Verletzungen durch den Gebrauch von Handfeuerwaffen ausgesprochen selten [Bieler et al., 2021].
Im konkreten Fall erschien es aufgrund der wenig eindrücklichen Narbe im Bereich der retrospektiv zu vermutenden Eintrittswunde und der fehlenden anamnestischen Angaben dahingehend ausgesprochen unwahrscheinlich, dass es sich bei dem Fremdköper um ein Projektil handeln könnte. Auf der anderen Seite sprach die ausgeprägte Radiodensität für ein am ehesten aus einem stark radiodensen Metall (in diesem Fall Blei) bestehenden Fremdkörper. Die in der DVT auszumachende Größe von knapp 5 mm in Kombination mit der besonderen Form ließen retrospektiv betrachtet auf einen sogenannten Spitzkopfdiabolo schließen. Diese werden aus – meist ab 18 Jahren frei verkäuflichen – Luftgewehren mit Kaliber 4,5 mm im Freizeitbereich und in der Schädlingsabwehr eingesetzt.
Extrem ungewöhnlich war jedoch, dass für eine Schussverletzung in der Anamnese keinerlei Hinweise zu finden waren. Weder war dem Patienten eine solche Verletzung erinnerlich, noch bestanden andere Umstände (Aufenthalt in einem Kriegsgebiet, betrunkenes Hantieren mit Schusswaffen), die auf eine solche Verletzung schließen ließen. Darüber hinaus sind Fälle unbemerkt eingesprengter Projektil(teil)e ausgesprochen selten und selbst international nur spärlich beschrieben [Rao et al., 2014; Barett et al., 1984; Wenham et al., 2009].
Obwohl der Befund im vorliegenden Fall abklärungsbedürftig war, musste dem Patienten zuvor klar kommuniziert werden, dass eine Entfernung des Fremdkörpers nicht unbedingt zu einer Beschwerdebesserung führt, jedoch in jedem Fall gewisse Risiken birgt. Aufgrund des hohen Leidensdrucks und insbesondere aufgrund der Unkenntnis der Entität des Fremdkörpers wurde sich hier rasch zur Exploration und Entfernung entschlossen.
Fazit für die Praxis
Zufallsbefunde sind insbesondere in tomografischen Aufnahmen nicht selten. Sie bedürfen häufig einer weiteren Abklärung.
Selbst eine gründliche, wiederholte Anamnese garantiert nicht die Richtigkeit der Angaben.
Insbesondere bei für eine längere Zeit eingesprengten Fremdkörpern ist nach der Entfernung nicht immer mit einer sofortigen Besserung der Beschwerden zu rechnen.
Literaturliste
[1] S. Ghassemzadeh, L. Sbricoli, A. C. Frigo, and C. Bacci, “Incidental findings detected with panoramic radiography: prevalence calculated on a sample of 2017 cases treated at a major Italian trauma and cancer centre,” Oral Radiol., vol. 37, no. 3, pp. 507–517, Jul. 2021, doi: 10.1007/s11282-020-00488-1.
[2] L. Bondemark, M. Jeppsson, L. Lindh-Ingildsen, and K. Rangne, “Incidental Findings of Pathology and Abnormality in Pretreatment Orthodontic Panoramic Radiographs,” Angle Orthod., vol. 76, no. 1, pp. 98–102, Jan. 2006, doi: 10.1043/0003-3219(2006)076[0098:ifopaa]2.0.co;2.
[3] S. Rao, D. D. Divakar, A. A. Al Kheraif, and R. Ramakrishnaiah, “Accidental radiographic finding of a maxillofacial gunshot injury. A case report,” Rom J Leg Med, vol. 22, pp. 243–244, 2014.
[4] A. P. Barrett, B. E. Waters, and C. J. Griffiths, “A critical evaluation of panoramic radiography as a screening procedure in dental practice,” Oral Surgery, Oral Med. Oral Pathol., vol. 57, no. 6, pp. 673–677, 1984.
[5] K. Wenham, S. Craig, and E. Tsitrou, “The incidental finding of a retained gunshot pellet,” Dent. Update, vol. 36, no. 1, pp. 28–30, 2009.
[6] D. Bieler, E. Kollig, L. Hackenberg, J. Rathjen, R. Lefering, and A. Franke, “Penetrating injuries in Germany – epidemiology, management and outcome an analysis based on the TraumaRegister DGU®,” Scand. J. Trauma. Resusc. Emerg. Med., vol. 29, no. 1, p. 80, Dec. 2021, doi: 10.1186/s13049-021-00895-1.