Umfrage der Stiftung Gesundheit

Was das Gesundheitswesen fürs Klima tun könnte

Eine repräsentative Umfrage der Stiftung Gesundheit zeigt: Ärztinnen und Ärzte haben ein hohes Bewusstsein für Klimaschutz und Nachhaltigkeit, doch es mangelt an Führung und Umsetzung. Viele Mediziner fühlen sich von ihren Kollegen allein gelassen und bemängeln fehlende Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten.

In Deutschland gibt es bislang keine Klimastrategie für das Gesundheitswesen. Doch die Relevanz und die Dringlichkeit der Thematik ist vielen Entscheidungstragenden im Gesundheitssektor bewusst, wie eine repräsentative Umfrage der Stiftung Gesundheit ergab. Befragt wurden Führungskräfte und Fachärzte zu ihrer persönlichen Einstellung und zur Umsetzung von Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen sowie zu Barrieren bei deren Implementation.

Die aktuell umgesetzten Maßnahmen für Klimaschutz in medizinischen Einrichtungen seien bei Weitem nicht ausreichend, um der Klimakrise entgegenzuwirken, heißt es in der Umfrage. 80 bis 90 Prozent der befragten Ärzte und Führungskräfte sind sich demnach bewusst, dass Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise in Gesundheitseinrichtungen notwendig sind. Allerdings fühlen sich nur 20 Prozent in ihren Bemühungen von ihren Kollegen unterstützt. Acht von zehn Befragten halten die Reduktion von Emissionen im Gesundheitssektor für eine wichtige Maßnahme und stimmten zu, dass eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung mit Umweltschutz und Nachhaltigkeit vereinbar ist.

Es fehlt AN Wissen UND Verantwortung

Allerdings fehlt es an fachspezifischem Wissen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit sowie an klarer Verantwortlichkeit und Verankerung auf Führungsebene, heißt es in den Ergebnissen. Fast die Hälfte der Führungskräfte (45 Prozent) weiß demzufolge nicht, ob die Emissionen ihrer Einrichtung erfasst werden. Auch im Hinblick auf Klima-Anpassungsstrategien im klinischen Alltag besteht große Unkenntnis. So weiß fast ein Viertel der Klinik- und MVZ-Leitungen nicht, ob in ihrer Einrichtung eine Gefährdungsanalyse durchgeführt wurde (31 Prozent) oder ob ein Hitze-Aktionsplan im Einsatz ist (26 Prozent). Auch die ökologische Dimension der Überversorgung spielt laut Umfrage eine wichtige Rolle. Knapp neun von zehn Ärzten stimmten demnach zu, dass eine Vermeidung nicht notwendiger Therapien dazu beitragen würde, personelle und ökologische Ressourcen zu schonen.

Zur Umfrage

Zur Teilnahme eingeladen wurden von der Stiftung Gesundheit alle 6.079 Führungskräfte in Kliniken und MVZ (Vollerhebung) sowie 15.000 ambulant und stationär tätige Fachärzte (Stichprobe), die hinsichtlich Gender, Fachgebieten, Alter sowie geografischer Verteilung repräsentativ für die niedergelassene und angestellte Ärzteschaft in Deutschland aus dem Strukturverzeichnis der medizinischen Versorgung ausgewählt wurden. Die Online-Umfrage wurde dann vom 13. bis zum 27. September 2022 durchgeführt. Die Rücklaufquote betrug 1,3 Prozent bei den Führungskräften und 2,9 Prozent bei den Fachärzten.

Deutlich wurden regionale Unterschiede: So wurden die eigene Verantwortung und die Wichtigkeit von Klimaschutz in der eigenen Einrichtung von Befragten im Osten geringer eingeschätzt als in den nördlichen, westlichen und südlichen Bundesländern.

„Knapp neun von zehn Ärzt:innen stimmen zu, dass die Vermeidung nicht notwendiger Therapien personelle und ökologische Ressourcen schonen würde. Dieses Potenzial gilt es zu heben ... Die Vermeidung von Über- und Fehlversorgung in Deutschland muss des- halb zentraler Ansatz- punkt im Gesundheits- wesen zur Bewältigung der Klimakrise werden.“

Prof. Dr. med. Kai Kolpatzik, stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Gesundheit

Wie die Umfrage weiter ergab, berücksichtigen Niedergelassene Nachhaltigkeitskriterien im Management ihrer Einrichtung noch nicht ausreichend – aber immer noch eher als ihre Kollegen in der Klinikleitung. Dies zeigt sich vor allem beim Kauf von Medizinprodukten und im Qualitätsmanagement. Fast zwei Drittel der Klinikleitungen gaben an, dass Umsetzungsstrategien für Nachhaltigkeitsziele in ihrer Einrichtung noch nicht genau definiert wurden. Führungskräfte in Kliniken nannten auch viel häufiger als ihre Kollegen in Praxen und MVZ Hindernisse, wie mangelnde finanzielle Mittel, das Fehlen verantwortlicher Mitarbeitender oder deren fehlende Fachkenntnis.Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind hierzulande auch kaum in Stellenausschreibungen verankert – im Gegensatz zum National Health Service (NHS) in England und Wales. Dort ist seit Juni vorgeschrieben, dass jede öffentliche Gesundheitseinrichtung eine Führungskraft hat, die verantwortlich ist, dass die Klimaneutralität der Einrichtung erreicht wird.

Schon mal an einen Klima-Manager gedacht?

Auch Fragen zur Klima-Resilienz in ihrer Einrichtung konnten viele Befragte nicht beantworten. So wusste fast ein Viertel der MVZ- und Klinikleitungen weder, ob die Gebäude und die Infrastruktur ihrer Einrichtung auf Gefährdung – zum Beispiel durch Hitze, Stürme, Fluten – und Schwachstellen analysiert werden, noch, ob Hitze-Aktionspläne umgesetzt werden.

Basierend auf den Ergebnissen geben die Autoren der Umfrage Handlungsempfehlungen für Entscheidungsträger im Gesundheitswesen. So sollten in den Einrichtungen Verantwortliche benannt werden, die Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsziele entwickeln und umsetzen. Zudem könnten Gefährdungsanalysen hilfreich sein, etwa um die Resilienz gegenüber Extremwetterereignissen zu stärken. Wichtig sei auch, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fachspezifische Informationen über Klima- und Umweltschutz zu vermitteln. Einen wichtigen Beitrag könnten hier Klimamanager, Fachgesellschaften und die Landesärztekammern leisten. Dazu sollten deren Fort- und Weiterbildungsangebote angepasst werden.

Die Umfrage: Baltruks D., Mezger N.C.S., Schulz C.M., Voss M. (2022): „Umsetzungsbereitschaft unter Ärzt:innen und Führungskräften für Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen braucht Unterstützung.“ Berlin. Abrufbar unter:www.cphp-berlin.de

Der Klimawandel macht krank

Vor einer gesundheitlichen Bedrohung durch den Klimawandel hat die Europäische Umweltagentur (EEA) gewarnt. Vor allem in Europa seien Hitzewellen eine Gefahr. Bei einer Erwärmung der Erde um drei Grad könnten 2100  jährlich rund 90.000 Menschen in Europa sterben. Bei einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad reduziere sich die Zahl auf 30.000 Todesfälle jährlich. Laut EEA starben zwischen 1980 und 2020 rund 129.000 Europäer durch starke Hitze. Hitzewellen stellen somit die größte direkt mit dem Klima zusammenhängende Gesundheitsbedrohung für Europäer dar. Die Behörde warnt außerdem vor der klimabedingten Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Mit Aktionsplänen für Städte oder einer verbesserten Gebäudegestaltung könnten gefährdete Menschen besser geschützt werden.

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