Digitalisierung ist für Ärzte ambivalent
Drei Viertel der Ärztinnen und Ärzte stehen dem Ausbau digitaler Gesundheitsangebote „grundsätzlich positiv gegenüber“. Bei den unter 40-Jährigen erreicht die Zustimmung fast 90 Prozent.
Skeptisch sind die Mediziner, wenn es um die Ausgestaltung der Digitalisierung geht: Bei der Frage, ob dabei ärztliche Interessen angemessen berücksichtigt werden, stimmen nur acht Prozent der Befragten zu, zwei Drittel stimmen „nicht“ oder „gar nicht“ zu. Nur 16 Prozent sehen zudem Forschungsinteressen, 22,5 Prozent Patienteninteressen angemessen berücksichtigt. Die Digitalisierung erscheint so nicht als selbst gestalteter Fortschritt, sondern eher als Entwicklung, der die Akteure ohne großen eigenen Gestaltungsraum ausgeliefert sind. Diese Einschätzung steht den Autoren zufolge auch im Zusammenhang mit dem Ringen um die Einführung der ePA und den technischen Problemen bei der Anbindung an die Telematikinfrastruktur der gematik.
Ärzte fühlen sich ausgeliefert
Zu dieser Einschätzung passt die Befürchtung, dass durch die Digitalisierung „die Übertragung marktwirtschaftlichen Denkens auf das Gesundheitswesen verstärkt“ wird. Über die Hälfte der Befragten stimmt dieser Aussage zu, 27,7 Prozent sehen das ambivalent und 17,4 Prozent haben hier keine Bedenken. Eine nur punktuell vertiefte digitale Transformation, zu der nur manche Bürger Zugang haben, erlaube keine flächendeckende Verbesserung der Gesundheitsversorgung, schlussfolgern die Autoren. „Sie stärkt vielmehr aufseiten der IT-Anbieter eine The-winner-takes-it-all-Mentalität, bei der große Plattformen den Nutzen einseitig monopolisieren können und eine unzureichende Gewährleistung von Interoperabilität den Datenfluss behindert.“
Digitalisierung first, Bedenken second
Die Skepsis gegenüber Technik allgemein hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgenommen. Während im Jahr 2017 noch 35,5 Prozent der Deutschen meinten, durch Technik entstünden mehr Probleme als gelöst werden, sank dieser Anteil 2021 auf 23,1 Prozent. Allerdings wollten 45,1 Prozent keine eindeutige Bewertung aussprechen.
Den höchsten Nutzen erwarten die Deutschen von der Digitalisierung der Bildung. Hier wird auch das Risiko als am geringsten eingestuft. Den zweithöchsten Nutzen haben die Digitalisierung der Wirtschaft und der Verwaltung. Den geringsten Nutzen sehen die Befragten in der Digitalisierung der Gesundheit; hier werden die Risiken zudem als relativ hoch bewertet.
Bei der Weitergabe ihrer Gesundheitsdaten sind die Deutschen zurückhaltend. Vertrauensschlusslicht sind staatliche Datentreuhänder – weniger als die Hälfte der Befragten würde ihre Daten einer solchen Institution anvertrauen. Das höchste Vertrauen genießen dagegen Hausärzte, Fachärzte und Krankenhäuser (80 Prozent), gefolgt von den Krankenkassen und privaten Forschungseinrichtungen.
Auch bei der Glaubwürdigkeit von Gesundheitsinformationen genießen Mediziner nach wie vor das höchste Vertrauen – gerade wenn sie Diagnosen auf Basis langjähriger Erfahrungen erstellen. Ärztliche Diagnosen auf der Basis von Datenbanken findet hingegen nur knapp die Hälfte der Interviewten sinnvoll. Und Diagnosen auf der Basis Künstlicher Intelligenz bewerten lediglich 27,5 Prozent der Interviewten positiv.
Der Anteil von Patienten, die eine der staatlich zertifizierten Gesundheits-Apps nutzen, liegt bei knapp unter vier Prozent. Weitaus beliebter sind Apps zur Erfassung von Gesundheits- oder Fitnessdaten, zur Aufzeichnung des Ernährungsverhaltens oder des psychischen Wohlbefindens – fast jeder zweite Deutsche ab 16 Jahren nutzte 2021 zumindest „manchmal“ eine solche App.
Die elektronische Patientenakte (ePA) nutzt nur rund jeder 20. Bundesbürger. Allerdings wollen 47 Prozent der Befragten die ePA künftig nutzen, gut 20 Prozent wollen sie nicht nutzen, 24,5 Prozent kennen sie nicht. Als Gründe für die Ablehnung werden hauptsächlich „Bedenken beim Datenschutz“ und „Unklarheit darüber, wer welche Daten einsehen kann“ genannt.
Weniger besorgt sind Ärztinnen und Ärzte, wenn es um den Einfluss der Digitalisierung auf das Arzt-Patienten-Verhältnis geht: Nur rund 30 Prozent der Befragten sehen die Vertrauensbasis zwischen Arzt und Patient gefährdet, knapp 40 Prozent stimmen dem „nicht“ oder „gar nicht“ zu.
Von der KI versprechen sie sich bislang wenig
Durch mehr Zeit pro Patient, ein größeres Budget für Behandlungen und vor allem bessere Daten zur Krankheitsgeschichte versprechen sich drei- bis viermal so viele Ärzte eine starke Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten als durch mehr Unterstützung per Künstlicher Intelligenz.
45 Prozent der Mediziner finden, dass Patienten durch die bessere Verfügbarkeit von Gesundheitsinformation heute besser informiert sind, 60 Prozent denken aber, dass sie mit der Einordnung überfordert sind. Eine gewisse Überforderung ist allerdings auch unter den Ärzten erkennbar, beispielsweise im Umgang mit digitalen Patientendaten: Nur 4 Prozent haben einen Überblick darüber, welche Patientendaten von der Krankenkasse gespeichert werden. Nicht einmal jeder siebte weiß, wer auf welche dieser Informationen zugreifen kann. Aus Sicht der Patienten könnte dieser Umstand die Vertrauensbasis verschlechtern.
Der digitale Fortschritt verringert den Dokumentationsaufwand und es bleibt mehr Zeit für die Patienten – dieses Narrativ gilt nach wie vor als eines der wichtigsten Nutzenversprechen der Digitalisierung. In der Praxis erfüllen sich die hochgesteckten Erwartungen offensichtlich nicht – im Gegenteil: 72 Prozent der Ärzte geben an, „dass sich durch die Digitalisierung der Dokumentationsaufwand eher oder stark vergrößert hat, eine Verringerung der Belastung empfinden nur 13 Prozent“, stellen die Autoren fest. Diese Bilanz zieht sich durch: „Selbst in der Gruppe derjenigen, die der Digitalisierung in ihrer Selbsteinschätzung grundsätzlich am positivsten gegenüberstehen, nimmt die Mehrheit eine Vergrößerung des Dokumentationsaufwands durch die Digitalisierung wahr (62 Prozent)“.
Der TechnikRadar wird erstellt von der Akademie für Technikwissenschaften, der Körberstiftung und dem Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart (ZIRIUS). Für die diesjährige Studie wurden zwei Umfragen durchgeführt: eine repräsentative Bevölkerungsbefragung (siehe Kasten) und eine nicht repräsentative Online-Umfrage unter 200 Ärztinnen und Ärzten.
Zum „TechnikRadar“ geht es hier:https://www.acatech.de/publikation/technikradar-2022/download-pdf/?lang=de