Bundesverwaltungsgericht stärkt das Arztgeheimnis
Der Kläger ist Arzt und betreibt eine allgemeinmedizinische Praxis. Die Behörde wies ihn an, für 14 namentlich benannte Patienten und jeweils mehrjährige Zeiträume alle von ihm ausgestellten Betäubungsmittelrezepte sowie die Unterlagen vorzulegen, die die Betäubungsmittelverschreibungen medizinisch begründen können (Patientendokumentation, Arztbriefe, Befunde).
Zur Begründung des Bescheides führte das Amt aus, bei routinemäßigen Kontrollen in Apotheken seien zahlreiche Verschreibungen des Mediziners über die Betäubungsmittel Methylphenidat und Fentanyl aufgefallen. Die auffälligen Rezepte gäben Anlass zur Überprüfung, ob die Anwendung der verschriebenen Betäubungsmittel medizinisch indiziert gewesen sei. Die Prüfung sei ohne Einsicht in die Patientenakten nicht möglich.
Der Arzt muss bisherige Rezepte herausgeben
Das Verwaltungsgericht München wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten änderte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das erstinstanzliche Urteil und wies die Klage insgesamt ab.
Die Revision des Klägers hat nun teilweise Erfolg: Das Bundesverwaltungsgericht hat die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 BtMG sind die Überwachungsbehörden befugt, Unterlagen über den Betäubungsmittelverkehr einzusehen und hieraus Abschriften oder Ablichtungen anzufertigen, soweit sie für die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs von Bedeutung sein können.
Behörden haben keine Einsicht in Patientenakten
Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, nicht nur Betäubungsmittelverschreibungen, sondern auch Patientenakten seien Unterlagen im Sinne von § 22 Abs. 1 Nr. 1 BtMG, verstößt den obersten Richtern zufolge dagegen gegen Bundesrecht. Die Auslegung der Vorschrift ergibt, dass sie auf Patientenakten keine Anwendung findet.
Laut Gesetz dürfen Ärzte Betäubungsmittel nur verschreiben, wenn ihre Anwendung im menschlichen Körper begründet ist, heißt es in der Urteilsbegründung. Anhand der Angaben auf einem Betäubungsmittelrezept lasse sich die medizinische Begründung der Verschreibung nicht feststellen. Das Ziel, eine effektive Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs zu gewährleisten, könne daher dafürsprechen, den Überwachungsbehörden auch die Befugnis einzuräumen, ärztliche Patientenunterlagen einzusehen. Das Gesetz biete für die Befugnis zur Einsicht in Patientenakten jedoch keine Grundlage.
Und weiter: „Weder Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Norm noch die Gesetzessystematik geben Anknüpfungspunkte dafür, dass Patientenakten nach dem Willen des Gesetzgebers von dem Begriff „Unterlagen über den Betäubungsmittelverkehr“ umfasst sein sollen.“ Anders liege es für die Befugnis zur Einsicht in Betäubungsmittelrezepte. Sie finde in der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung eine hinreichend bestimmte und auch im Übrigen verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage.
BVerwG, Az.: 3 C 1.21, Urteil vom 10. März 2022
VGH München, Az: 20 BV 18.68, Urteil vom 4. Juli 2019
VG München Az.: M 18 K 16.5287, Urteil vom 27. September 2017
Mahnung an den Gesetzgeber
Die Leipziger Richter richteten indirekt einen Appell an die Politik. Laut § 13 Abs. 1 BtMG dürfen Mediziner Betäubungsmittel nur verschreiben, wenn ihre Anwendung im menschlichen Körper begründet ist: „Anhand der Angaben auf einem Betäubungsmittelrezept lässt sich die medizinische Begründung der Verschreibung nicht feststellen“, stellen sie fest. Das Ziel, eine effektive Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs zu gewährleisten, könne daher dafür sprechen, den Überwachungsbehörden auch die Befugnis einzuräumen, ärztliche Patientenunterlagen einzusehen. Dafür biete jedoch § 22 Abs. 1 Nr. 1 BtMG keine Basis: „Weder Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Norm noch die Gesetzessystematik geben Anknüpfungspunkte dafür, dass Patientenakten nach dem Willen des Gesetzgebers von dem Begriff ,Unterlagen über den Betäubungsmittelverkehr‘ umfasst sein sollen.“
Quelle: beck-aktuell