Mundgesundheit in Amerika
Über 750.000 Fachkräfte arbeiten in den USA in der Zahnmedizin – darunter mehr als 200.000 Zahnärzte, 221.560 Dentalhygieniker und 351.470 Zahnarzthelfer. Sie sind in privaten und öffentlichen Praxen tätig, in der akademischen Welt sowie in Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen.
Geld: Der Dreh- und Angelpunkt
Zahnmedizin liegt im Trend: Noch nie zuvor gab es so viele Einschreibungen an den Universitäten und ausbildenden Schulen. Mehr als die Hälfte der Absolventen sind heute Frauen, und die Diversität in den dentalen Berufen wächst. Wer sich für die Zahnmedizin entscheidet, zahlt freilich einen hohen Preis: Die durchschnittliche Verschuldung für den Besuch einer privaten zahnmedizinischen Universität lag 2017 bei 340.000 Dollar, das Studium an einer öffentlichen Fakultät kostete 240.000 Dollar.
A propos Geld: Für die zahnärztliche Versorgung gaben die Vereinigten Staaten 2018 fast 136 Milliarden US-Dollar aus, das sind 3,7 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben. Davon wurden 55 Milliarden Dollar von den Patienten selbst gezahlt – dieser Betrag entspricht mehr als einem Viertel der gesamten Out-of-Pocket-Ausgaben im Gesundheitswesen.
Was die Berufsausübung betrifft, geht der Anteil privater Zahnarztpraxen prozentual zurück, während die Zahl der Praxen in Gemeinschaft und in Unternehmerhand in den letzten 20 Jahren stetig gestiegen ist. Dennoch ist die Hälfte aller Zahnärzte (51 Prozent) nach wie vor in Einzelpraxen tätig.
Der größte Teil der zahnmedizinischen Versorgung findet in privaten Zahnarztpraxen statt, doch werden die Menschen zunehmend dort behandelt, wo sie leben, arbeiten und lernen – also in Bildungseinrichtungen, kommunalen Gesundheitszentren, staatlichen Kliniken, zahnmedizinischen Schulen, Langzeitpflegeheimen und mobilen Praxen. Ziel ist, den Zugang zur Versorgung zu erweitern, die Behandlungserfolge zu steigern und zugleich die Kosten zu senken. Trotz dieser Anstrengungen leben etwa 60 Millionen Amerikaner in unterversorgten, meist ländlichen, Gebieten. Und das, obwohl es heute in USA mehr Zahnärzte gibt als im Jahr 2000. How come?
Ein Grund für den schlechten Zugang zur Versorgung: der Fachkräftemangel. Schätzungen zufolge fehlen mindestens 10.000 Zahnmediziner, und hier sind demografische Faktoren nicht eingerechnet. Dieser Engpass hat zu einer Vielzahl neuer Modelle zur Leistungserbringung geführt. So hat man zum Beispiel im Jahr 2000 begonnen, in den indigenen Dörfern Alaskas zahnärztliche Dienste aufzubauen. 2004 wurde dort der Beruf des Dental Health Aide Therapist (DHAT) für Native Students kreiert. Die Gesetzgebung erlaubt die Ausübung der zahnärztlichen Therapie auf verschiedenen Stufen und schreibt vor, dass die DHAT unter der Aufsicht eines Zahnarztes praktizieren dürfen und in erster Linie einkommensschwache, nicht versicherte und unterversorgte Patienten behandeln.
Nach diesem Vorbild sind in vielen Teilen des Landes multidisziplinäre Teams aus Gesundheitsfachleuten entstanden, die eine zahnärztliche Versorgung außerhalb der Zahnarztpraxis erbringen.
Kinder: die Gewinner der Prävention
Zur Bekämpfung frühkindlicher Karies (ECC) gibt es inzwischen extra Programme: von der Förderung des ersten Zahnarztbesuchs im Alter von einem Jahr bis hin zur Versiegelung der ersten Molaren mit Fluoridlacken. Kinderzahnärzte haben dafür mit Ärzten routinemäßige Vorsorgeuntersuchungen für Säuglinge und Kleinkinder unter drei Jahren etabliert.
Mehrere wichtige Initiativen haben in den vergangenen Jahren zudem die Verbesserung der Mundgesundheit von Kindern vorangetrieben. So empfehlen viele Gesundheits- und Berufsverbände heute den ersten Zahnarztbesuch im Alter von einem Jahr, um Eltern dabei zu unterstützen, ihre Kinder schon früh an gute Mundgesundheitspraktiken heranzuführen und auf frühkindliche Zahnkaries zu achten. Heute sind 9 von 10 Kindern in den Vereinigten Staaten gegen Zahnerkrankungen versichert.
Zusammen genommen haben diese Bemühungen zu einem Rückgang unbehandelter Karies bei Vorschulkindern um fast 50 Prozent und einer historisch niedrigen Prävalenz von ECC geführt. Der verstärkte Einsatz von Fissurenversiegelungen hat bewirkt, dass die sich Ungleichheiten bezüglich der Mundgesundheit deutlich verringert haben. Der Anteil unbehandelter Karies im Milchgebiss sank bei unter 12-Jährigen von 23 auf auf 15 Prozent. Am stärksten zeigt sich der Rückgang bei Kindern im Alter von 2 bis 5 Jahren: Bei ihnen reduzierte sich die Karieserfahrung von mindestens 19 auf 10 Prozent. Diese Erfolge kommen Kita-Kindern aller Schichten zugute, wobei sie am stärksten bei Minderheiten und einkommensschwachen Familien sichtbar sind. Bei Kindern im Vorschulalter zählt ein Zahntrauma übrigens zu den häufigsten Unfällen – es macht fast 20 Prozent aller Verletzungen aus.
Teenies: Der Blinde Fleck in der Forschung
Sie wurden in den Programmen zur Untersuchung, Bewertung und Verbesserung der Mundgesundheit oft übersehen: die Teenager. Diese Gruppe wurde einfach von Maßnahmen überschattet, die sich an jüngere Kinder oder Erwachsene richten.
Die Adoleszenz ist daher in den USA vielleicht die am wenigsten erforschte Altersgruppe. Was wir wissen: Einer von 6 Jugendlichen leidet an unbehandelter Karies, das ist ein Rückgang im Vergleich zu 2002 von etwa 3 Prozent. Insgesamt 23 Prozent der Jugendlichen, die in Armut leben, haben Karies. 2020 rauchte mehr als einer von 8 Mittel- und Highschool-Schülern E-Zigaretten – das sind in absoluten Zahlen 3,6 Millionen. Die Prävalenz von unbehandelter Karies ist damit höher als die von Asthma oder Zigarettenrauchen. Leider gibt es nur wenige systematisch gesammelte Informationen über andere Zahnkrankheiten bei Teenagern.
Bei den Erwachsenen nimmt Zahnverlust weiter ab. Von den Senioren im Alter von 65 bis 74 Jahren sind heute nur noch 13 Prozent zahnlos, gegenüber 50 Prozent in den 1960er Jahren. Der Anteil Älterer, die Zahn-implantate erhalten, hat sich in den letzten 20 Jahren vervierfacht.
Unter Erwachsenen zwischen 50 und 64 Jahren sind schätzungsweise 6 Prozent zahnlos, wobei mehr als 17 Prozent der in Armut lebenden Menschen von vollständigem Zahnverlust betroffen sind. Drei von vier Personen in dieser Gruppe besitzen dagegen ein funktionelles Gebiss (mehr als 20 Zähne) – in der Armutsbevölkerung sind es 47 Prozent und bei den Wohlhabenden 83 Prozent.
Karies bleibt eine fast universelle Erfahrung für Senioren: Vor 20 Jahren waren bei einem in Armut lebenden Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter etwa vier Zahnflächen von unbehandelter Karies betroffen, bei einem wohlhabenden dagegen nur eine. Inzwischen ist diese Zahl um 50 Prozent gestiegen, unabhängig vom Armutsstatus. Aber auch Parodontitis erwächst sich zu einem ernsten Problem: Fast 10 Prozent der über 65-Jährigen sind von einer schweren Form betroffen.
Richtig schwierig wird es für alte Menschen, die auf dem Land leben, wo die Entfernungen zum Zahnarzt groß und Gesundheitsnetze rar sind.
Erwachsene: Wer kein Geld hat, ist raus
Zusätzlich zu den geografischen und wirtschaftlichen Barrieren leiden Senioren unter denselben sozialen Ungleichheiten wie die anderen Altersgruppen. Hinzu kommt Altersdiskriminierung – manchmal auf der Grundlage der Überzeugung, dass Ältere ja nur wenige oder gar keine Zähne haben und daher keine Routinezahnpflege benötigen.
Oral Health in America: Advances and Challenges
Der Bericht der National Institutes of Health fußt auf wissenschaftlichen und evidenzbasierten Studien, ergänzt um Beschreibungen von Programmen und Maßnahmen, die wichtige neue Trends widerspiegeln. Neben zehn größeren Überarbeitungen wurde das Werk mehrfach intern überprüft und zwei großen Peer-Review-Zyklen unterzogen.
Fast die Hälfte aller älteren Erwachsenen ist nicht zahnärztlich versichert. Einige von ihnen könnten theoretisch zahnärztliche Leistungen über Medicaid in Anspruch nehmen, jedoch variiert diese Möglichkeit von Staat zu Staat. Hinzu kommt, dass viele Zahnärzte keine Medicaid-Erstattungen akzeptieren. Dies hat dazu geführt, dass seit 2002 die Ausgaben für zahnmedizinische Leistungen am stärksten für ältere Amerikaner nach oben gegangen sind.
Mundkrebs: Trotz Impfstoff eine Herausforderung
Im Affordable Care Act wurde die zahnärztliche Versorgung als eine wesentliche Gesundheitsleistung für Kinder, aber nicht für Erwachsene festgeschrieben. 2021 boten nur 23 Staaten im Rahmen von Medicaid umfassende zahnärztliche Leistungen für Erwachsene an. Insgesamt hat mehr als ein Viertel der Erwachsenen im erwerbsfähigen Alter keine Zahnversicherung. 20 Prozent gaben an, dass sie eine zahnärztliche Versorgung brauchen, diese aber wegen finanzieller Probleme in den letzten 12 Monaten nicht abschließen konnten. Doch selbst wenn die Policen erschwinglich sind, schränken sie in der Regel die zahnärztlichen Leistungen ein und verlangen hohe Zuzahlungen aus eigener Tasche.
Die Zahnversicherung ist deshalb längst nicht so weit verbreitet wie die Krankenversicherung, weil sie als Zusatz behandelt wird – nicht als wesentlicher Bestandteil. Mit oder ohne Versicherung können sich manche Bürger einfach keine Zahnbehandlung leisten. Der daraus resultierende Aufschub führt zu teuren Folgen, die vermieden werden könnten, wenn zahnmedizinische Leistungen für alle als wichtige Gesundheitsleistung betrachtet würden.
Das sind nicht die einzigen Herausforderungen für die US-Zahnmedizin. So wissen wir seit Langem, dass Tabak das Mundgewebe angreift und direkt mit der Entstehung von Parodontalerkrankungen und Mundkrebs verbunden ist. Glücklicherweise geht das Zigarettenrauchen weiter zurück, aber zu beobachten ist ein Aufwärtstrend beim Konsum von E-Zigaretten und Vaping-Produkten, insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Diese Entwicklung stellt in den USA eine neue Bedrohung für die Mundgesundheit dar.
Nicht zu vergessen; Das Oropharynxkarzinom ist heute die häufigste HPV-assoziierte Krebsart, es tritt öfter auf als Gebärmutterhalskrebs. Dabei haben Männer ein 3,5-mal höheres Risiko, an Oropharynxkrebs zu erkranken wie Frauen. Die gute Nachricht ist, dass wir jetzt über Impfstoffe verfügen, die zu etwa 90 Prozent wirksam sind.
Opioide: Die Unrühmliche Rolle der Zahnärzte
Mehr Amerikaner als je zuvor leiden an psychischen Erkrankungen. Sowohl akute als auch chronische Formen können bekanntlich zu einer Vernachlässigung der Mundgesundheit führen, umgekehrt haben Medikamente zur Behandlung psychischer Erkrankungen häufig schädliche Auswirkungen auf das orale Gewebe.
In Amerika sind Millionen von Menschen aufgrund ihres Drogenkonsums psychisch krank. Nahezu 50.000 US- Amerikaner starben 2019 an einer Überdosis Opioide – das sind mehr Todesopfer als infolge von Autounfällen und Schusswaffen zusammen.
Daran ist die Zahnmedizin nicht unschuldig: Sie war massiv in den Opioid-Skandal verwickelt. 1998 waren Zahnärzte die häufigsten Verschreiber von schnell wirkenden Opioiden – sie verschrieben bei Zahnschmerzen eins von sechs Rezepten. Bis 2012 verordneten sie eins von 15 dieser Medikamente, bevor diese Zahl dann stark zurückging. Heute ist die Wahrscheinlichkeit bei Zahnschmerzen ein Opioid erhalten, in der Notaufnahme fünf Mal höher als in der Zahnarztpraxis. Die Zahnärzteschaft hat am Ende die daraus resultierenden Probleme erkannt und Richtlinien zur Schmerzbehandlung entwickelt.
Versorgung: 30 Prozent teurer als 2002
Die wirtschaftlichen Verluste, die mit unbehandelten Mundkrankheiten verbunden sind, wurden 2015 auf 45,9 Milliarden Dollar beziffert. Denn mangelnder Zugang zu regelmäßiger zahnärztlicher Versorgung kann zu einer ineffektiven und teuren Überbeanspruchung von Notaufnahmen in Krankenhäusern führen:. 2014 gab es 2,4 Millionen Besuche in Notaufnahmen wegen nicht-traumatischer zahnärztlicher Erkrankungen, die mehr als 1,6 Milliarden Dollar kosteten. Hauptsächlich musste Medicaid dafür aufkommen. Die zahnärztliche Versorgung in den Notaufnahmen ist meist palliativ, wobei schätzungsweise 90 Prozent der Patienten nur Schmerzmittel oder Antibiotika sowie eine Überweisung zum Zahnarzt erhalten. Im Ergebnis sind die Kosten für die zahnärztliche Versorgung in den USA seit 2002 pro Person um 30 Prozent gestiegen, so dass der Zugang für viele unerschwinglich geworden ist.
National Institutes of Health. Oral Health in America: Advances and Challenges. Bethesda, MD: US Department of Health and Human Services, National Institutes of Health, National Institute of Dental and Craniofacial Research, 2021.