So bringen Sie Mitarbeiter wieder in die Spur!
Überall wo Menschen zusammenleben, orientieren sich einige strenger an Regeln und andere interpretieren sie lockerer. Wer das Team leitet, muss die generelle Entscheidung treffen, wie exakt Vereinbarungen eingehalten werden sollen – beziehungsweise wie frei man diese übertreten darf. Solange es keine Rückmeldungen dazu gibt, entwickeln die „lockeren Typen“ kein Unrechtsbewusstsein.
Im Gegenteil, wenn ein Verstoß mehrfach toleriert wird, wird diese Regel nicht mehr als „verbindlich gültig“ betrachtet. Weitere Teammitglieder beginnen sich ebenso zu verhalten. Ein Teufelskreis beginnt.
Ein Beispiel: Der Praxistag beginnt um 8 Uhr. Die Zahnärztin und fünf ZFA bereiten die Behandlungen vor. Um 8.07 stößt Lisa fröhlich mit den Worten „Hi! Sorry, bin mal wieder etwas knapp!“ dazu. Die Kolleginnen schauen sich kurz an und schauen dann zur Zahnärztin. Niemand sagt etwas. Lisa hat sich ja entschuldigt. Allerdings ist das allein in diesem Monat schon das dritte Mal, obwohl der Arbeitsweg der Kollegin nicht weit ist. Bisher hat die Zahnärztin solche Verspätungen ignoriert – in der Annahme, dass dies Ausrutscher waren. Doch jetzt reicht es der Zahnärztin! Sie sagt Lisa laut und unwirsch, dass „diese dauernde Zuspätkommerei nun endlich ein Ende haben muss“. Lisa rauscht wütend aus dem Zimmer und redet den Rest des Tages nur das Allernötigste. Die Chefin und die anderen Mitarbeitenden ignorieren das. Alle empfinden die Stimmung aber als ausgesprochen unangenehm. Sie sind froh, als am nächsten Tag dann alles wieder normal läuft.
Drei Tage später kommt Lisa erneut einige Minuten zu spät. Die anderen blicken gespannt auf die Zahnärztin. Jene ignoriert die Verspätung, weil sie sich wegen der fünf Minuten nicht wieder einen ganzen Tag verderben lassen will. Aber sie thematisiert die (Un-)Pünktlichkeit bei der nächsten Teambesprechung.
Was dreimal geduldet wurde, gilt als erlaubt
Da manche Menschen direkte Konfrontationen scheuen, werden solche Vorfälle oft eher in Teammeetings allgemein angesprochen. Dort wird „aus gegebenem Anlass“ darauf hingewiesen, „dass bitte alle morgens pünktlich da sein sollen“. Die Mitarbeitenden schauen auf den Tisch und nicken normalerweise. Für ein paar Tage scheint das Problem gelöst, aber dann fängt alles wieder von vorne an. Derartige allgemeine Ansprachen haben keine dauerhaften Verhaltensänderungen zur Folge, da sie keine Gefühle auslösen. Sie führen lediglich zu einer schlechteren allgemeinen Stimmung im Team.
Von vielen wird etwas, das dreimal oder öfter zugelassen wurde, quasi als erlaubt betrachtet. Dabei geht es nicht darum, jede Abweichung sofort zu sanktionieren. Allerdings wäre es sinnvoll gewesen, bei der ersten Wiederholung einzugreifen. Warten Sie also nicht zu lang! Spätestens beim zweiten Fehlverhalten von Lisa wäre eine kurze sachliche Rückmeldung angezeigt gewesen und hätte zur Zufriedenheit im Team beigetragen.
Studien mit mehr als 900 Probanden haben ergeben, dass fehlendes konstruktiv-kritisches Feedback wesentlich die Arbeitsfreude reduziert. Der Einfluss war erstaunlicherweise sogar etwas stärker als beim Fehlen von rein positivem Feedback. Generell gibt es zwei gegenläufige Tendenzen: Einerseits führt das Autonomiebedürfnis dazu, die eigene Freiheit so weit wie möglich ausleben zu wollen. Auf der anderen Seite besteht der Wunsch, im Team dazuzugehören, angesehen zu sein und gute Beziehungen zu haben. Dabei gibt es Menschen, die von ihrer Grundeinstellung her eine höhere Akzeptanz und Umsetzungsbereitschaft für Regeln haben. Andere hingegen besitzen einen stärkeren Freiheitsdrang. Das sind dann diejenigen, die die Regeln regelmäßig testen – und die entsprechend regelmäßig konstruktiv-kritisches Feedback benötigen.
Um das Verhalten auf Dauer zu verändern, ist es nützlich, die Intensität der Rückmeldung zu dosieren und mit der geringsten emotionalen Intensität zu beginnen. Bei einem unerwünschten Verhalten sofort massiv und emotional in die Konfrontation zu gehen, ist nicht sinnvoll. Falls es danach noch einmal zu einem entsprechenden Vorfall kommt, hat man keine adäquaten Steigerungsmöglichkeiten mehr.
Keine Bloßstellungen vor dem gesamten Team
Falls ein unerwünschtes Verhalten bisher toleriert wurde, könnte im Beispiel von Lisa die erste Feedbackstufe sein, dass die Zahnärztin sie direkt leise anspricht und ihr beispielsweise sagt: „Lisa, ich sehe gerade, dass es 8:07 Uhr ist. Bitte seien Sie morgens um 8 Uhr hier.“ Manchmal reicht es auch nur, darauf hinzuweisen, wie spät es aktuell ist. Dieser einfache Hinweis auf die Abweichung von der Norm zeigt den Mitarbeitenden, dass das unerwünschte Verhalten sehr wohl wahrgenommen wird. Für viele reicht dieses Bewusstsein völlig aus, um deren Verhalten zu ändern.
Im Fall einer eventuellen weiteren Verspätung, kann man die Intensität der Rückmeldung dann steigern, indem man auf die Verletzung eines eigenen Wertes hinweist. Zum Beispiel so: „Lisa, es ist 8:07 Uhr. Mir ist wichtig, dass wir morgens als Team gemeinsam pünktlich anfangen. Bitte achten Sie darauf, dass Sie spätestens um 8 Uhr hier sind.“ Ein derartiges Feedback ruft meistens ein „Ja, okay!“ oder eine Entschuldigung hervor. Wichtig ist, in solchen Fällen darauf zu achten, dass möglichst keine weitere Person zuhört. Spätestens in dem Moment, wenn ein kritisches Feedback nicht mehr nur eine reine Sachinformation beinhaltet, fühlt sich die kritisierte Person durch weitere Zuhörende bloßgestellt und beschämt. Scham ist ein schwer auszuhaltendes Gefühl und kann bei leicht kränkbaren Personen sogar dazu führen, dass sie – temporär durch Krankheit oder dauerhaft – das Team verlassen. Daher gilt die Grundregel, kritische Feedbackgespräche nur unter vier Augen zu führen.
Natürlich garantiert auch ein werteorientiertes Feedback nicht, dass das unerwünschte Verhalten endgültig unterbleibt. Falls erforderlich, kann man in der nächsten Stufe das Feedback mit einer Interpretation erweitern. „Lisa, es ist 8:07 Uhr. Wie bereits gesagt, ist mir sehr wichtig, dass wir morgens als Team gemeinsam pünktlich anfangen. Ich habe den Eindruck, dass Sie das nicht ernst nehmen! Bitte sorgen Sie dafür, dass Sie spätestens um 8 Uhr hier sind.“
Es gilt: Wer schreit, hat unrecht
Sollte danach noch eine weitere Steigerung erforderlich werden, kann das durch das Verbalisieren der eigenen Emotionen geschehen. Dabei geht es nicht darum, das Gefühl auszuleben – also zum Beispiel zu schimpfen oder laut zu werden. Das wäre im Zusammenspiel mit einem Feedback kontraproduktiv. Generell ist kritisches Feedback ist eine gezielte kognitive Rückmeldung zu einem unerwünschten oder ungeeigneten Verhalten. In dem Moment, wenn diese Form nicht mehr eingehalten wird, verliert das Feedback massiv an Wirkung – frei nach dem Motto „Wer schreit, hat unrecht“. Die Rückmeldung wird dann nicht mehr als Hinweis auf eine notwendige Verhaltensänderung, sondern als Angriff erlebt. Angriffe lösen Verteidigung, keine Änderungsbereitschaft aus.
Wenn Sie dagegen ihre Gefühle unter Kontrolle haben und diese gleichzeitig klar benennen, hat das eine wesentlich stärkere Wirkung. Im Zusammenhang mit dem oben angeführten Beispiel würde das so klingen: „Lisa es ist 8:07 Uhr! Sie wissen, dass es mir ausgesprochen wichtig ist, dass wir gemeinsam pünktlich anfangen! Wir haben darüber bereits dreimal gesprochen. Ich bin echt verärgert über Ihre erneute Verspätung. Wie wollen Sie sicherstellen, dass sie ab jetzt pünktlich sind?“ Dieses Beispiel enthält noch einen weiteren Aspekt: die Frage am Abschluss! Sie erfordert von Lisa eine Erklärung, wie sie das Problem lösen will. Dabei ist es wichtig, gegebenenfalls weiter nachzufragen, bis die Lösung plausibel erscheint.
Wenn es nötig ist, ein unerwünschtes Verhalten unattraktiver zu machen und damit zu unterbinden, erweist sich eine systematische Steigerung der Feedback-Intensität als effektiv. Denn diejenige, die das unerwünschte Verhalten zeigt, macht jedes Mal die Erfahrung, dass die emotionale Intensität der Rückmeldung zunimmt. Unbewusst entsteht so die Erwartung, dass sich diese Intensitätssteigerung immer weiter fortsetzen wird. Das führt dazu, dass das unerwünschte Verhalten für den Mitarbeiter uninteressanter und unattraktiver wird und schließlich unterbleibt.
Wir haben uns in diesem Beitrag ausschließlich auf geeignete Möglichkeiten fokussiert, kritisches Feedback auf unerwünschtes Verhalten zu geben. Allerdings hat sich gezeigt, dass ausschließlich negatives Feedback die Zufriedenheit der Mitarbeitenden und die Leistungsfähigkeit von Betrieben reduziert. Auch rein positives Feedback wirkt sich nicht leistungsfördernd aus. Die Forschung hat in den vergangenen Jahren herausgefunden, dass menschliche Beziehungen am besten gelingen und die Leistungen und die Zufriedenheit am höchsten sind, wenn mindestens drei- bis fünfmal so viel positives wie negatives Feedback erfolgt.
Teil 1 zur Mitarbeitermotivation („So loben Sie richtig!“) finden Sie in der zm 6 auf Seite 18.