KI in der Zahnarztpraxis – Teil 1

So bringt KI eine „Zweitmeinung” in die Praxis

Falk Schwendicke
,
Joachim Krois
Aktuell ist das Angebot von Künstlicher Intelligenz (KI) für Zahnarztpraxen noch überschaubar. Mit den derzeitigen KI-Produkten kann man sich aber eine „gesammelte Zweitmeinung” zu einem zahnmedizinischen Sachverhalt wie der Karieserkennung in die Praxis holen. Erfahren Sie, wie eine KI-Software ihre Empfehlungen generiert, wo die Grenzen der KI liegen und warum „dynamisch“ im Kontext der medizinischen KI kein Hinweis auf Qualität ist.

Um zu verstehen, wie KI in der Zahnarztpraxis funktioniert, muss man wissen, wie KI-Systeme zu ihrem Wissen kommen. Die meisten KI-Anwendungen, die momentan im medizinischen Sektor entwickelt und vertrieben werden, setzen auf das Prinzip des „Maschinellen Lernens“. Bei diesen Anwendungen geht es etwa um die Analyse von Röntgenbildern, 3-D-Oberflächen-scans oder Fotos. Maschinelles Lernen bedeutet nun vor allem Mustererkennung und -analyse: Maschinen erkennen aus großen Datenmengen (wie Bildern oder Texten) Muster und Zusammenhänge. Nötig sind hierzu in den meisten Fällen ein sogenanntes Datenobjekt, also ein Bild oder ein Text, und eine dazugehörige Dateninformation (auch Annotation oder englisch Label genannt). Eine Dateninformation wäre beispielsweise „auf diesem Bild – oder genauer: an dieser Stelle auf dem Bild – wird Karies gezeigt“.

Maschinen verarbeiten die Datenobjekte mittels Filter in Zahlenkolonnen – für eine Maschine sind Bild und Text schlussendlich nur Zahlen. Diese Zahlenkolonnen werden dann mit der Dateninformation (Annotation) in einen ZusammeAbbildungnhang gestellt und dieser wird durch ein Modell abgebildet. Um das Modell schrittweise zu optimieren (das sogenannte Training), werden Abertausende Datenpaare aus Datenobjekten und Annotationen verknüpft. Während des Trainings wird das Modell wiederholt genutzt, um die Dateninformation (Annotation) für ein Datenobjekt vorherzusagen. Ist diese Vorhersage korrekt, wird das nächste Datenobjekt mit dem unveränderten Modell vorhergesagt; ist die Vorhersage jedoch nicht korrekt, werden die Modellparameter leicht angepasst, so dass in der nächsten Iteration auch für dieses Datenobjekt eine korrekte Vorhersage erfolgt.

KI in der Zahnarztpraxis

Erste Anwendungen mit Künstlicher Intelligenz (KI) für die Zahnarztpraxis  gibt es inzwischen, doch noch immer herrscht viel Unsicherheit darüber, was KI eigentlich ist und leisten kann. Was können Zahnärztinnen und Zahnärzte vom Einsatz einer KI im Alltag erwarten? Welchen Mehrwert kann ein solches Werkzeug bringen? In der Reihe „KI in der Zahnarztpraxis“ erörtern Experten Fragen zum Verständnis der KI.

Nach dem Ende des Trainings können Maschinen so auf dem Trainingsdatensatz fast fehlerfrei jedem Objekt eine Dateninformation zuordnen (diese komplexen Modelle können ganze Datensätze sogar auswendig lernen, was nicht unbedingt vorteilhaft ist). Nach dem Training werden die Modelle dann an einem sogenannten Testdatensatz evaluiert; diesen Datensatz hat die Maschine bisher nie gesehen und man kann nun erstmals die Güte des Modells an ungesehenen Datenobjekten prüfen. Hinter solchen KI-Anwendungen stehen also immer Datensätze aus Datenobjekten und Dateninformationen. Im Bereich der Medizin, vor allem der Bildanalytik, sind diese Dateninformationen allerdings eine Herausforderung: Nur ein zahnmedizinischer Experte kann beispielsweise festlegen, ob eben Karies auf einem Bild zu sehen ist oder nicht. Selbst dieser Experte hat dann jedoch nur eine bestimmte Genauigkeit und irrt sich (leider) des Öfteren. Daher werden oftmals mehrere unabhängige Experten befragt; für viele Studien im Bereich der Röntgenbildanalyse annotierten beispielsweise drei bis fünf Experten jedes von mehreren Tausend Bildern (Abbildung).

Wie wird nun aus fünf Meinungen aber die eine Dateninformation, an der das Modell lernen soll? Oftmals geschieht dies durch ein Mehrheitsvotum; dieses garantiert zwar nicht, dass die schlussendlich festgelegte Dateninformation korrekt ist, reduziert jedoch die Wahrscheinlichkeit von Fehlern. Es ist demnach jedoch zentral, eine hohe Annotationsgüte (Erfahrung und Qualitätsstufe der Experten, Anzahl der Experten, Anzahl der Bilder) anzustreben: Ein KI-Modell wird immer nur so gut sein können, wie der Datensatz, an dem es trainiert wurde. Ein erfolgreich trainiertes und bewiesenermaßen generalisierbares KI-Modell kann seinen Anwendern das kollektive Wissen und die zahnärztliche Expertise aller annotierenden Kollegen zur Verfügung stellen – im Sinne einer robusten Zweitmeinung.

Ein Wort der Warnung bleibt aber: Die KI hatte beim Lernen nur das Bild zur Verfügung – nicht den ganzen Patienten! Die Anwender in der Praxis haben hingegen die intraorale Inspektion, etwaige weitere klinische Unterschungsmethoden oder sogar zusätzliche Bildgebungen zur Hand – und sollten diese bei Bedarf auch nutzen, um die KI-Meinung zu kontrollieren.

Statische oder dynamische KI?

Medizinische KI unterscheidet sich von anderen KI-Anwendungen durch die Art des Trainings. Google lernt etwa, wie Ampeln oder Bäume aussehen, indem jeder Internetnutzer (allesamt also Laien) diese auf Bildern markieren. Dabei ist davon auszugehen, dass diese Information nahezu fehlerfrei ist; kann sie doch durch einen Laien fast immer korrekt durchgeführt werden – jedes Bild muss vermutlich auch nur einmal angeschaut werden. Im Ergebnis kann Google günstig und schnell KI entwickeln, die Hunde und Katzen sowie Tausende weitere Tierarten auf Bildern mit höchster Genauigkeit erkennen kann. Zudem kann ein solches Modell stets weiterverbessert werden, wenn Nutzer einer solchen Tierklassifikationssoftware etwaige Fehler in der Routinenutzung korrigieren – man spricht von dynamischer KI.

Medizinische KI-Anwendungen zu entwickeln ist hingegen aufwendiger, teurer und die entwickelten Modelle sind auf absehbare Zeit auch nicht fehlerfrei. Zudem wird oft auf ein „Weiterlernen“ in der Routine verzichtet: Würde eine durch Spezialisten trainierte KI-Anwendung an etwaigen Korrekturen, die weniger spezialisierte Kollegen in ihrer Praxis vornehmen, lernen, wäre sie schlussendlich nach einiger Zeit genauso gut wie der durchschnittliche Nutzer – das aufwendig erworbene Expertenwissen ginge verloren. Um dies zu verhindern, sind viele medizinische KI-Anwendungen nicht weiterlernend (dynamisch), sondern statisch. Das bedeutet, dass Nutzer die KI-Software nicht trainieren können – die landläufige Vorstellung, dass die Nutzer durch ihre Interaktionen die Softwarequalität weiterentwickeln, trifft also auf die statische KI-Anwendung nicht zu.

Fazit

Um die Qualität einer KI-Software beurteilen zu können, sollten gezielt Informationen vom Anbieter abgefragt werden. Dazu gehören beispielsweise auch Informationen zu den annotierenden Experten, deren Expertise in die KI eingeflossen ist, sowie zum Annotationsprozess. Die medizinischen Daten sollten durch mindestens drei Experten annotiert worden sein. Auch sollte klar sein, wie die Annotationen dieser drei Experten schlussendlich „vereinigt“ wurden.

Ein statisches Modell konserviert das Wissen der annotierenden Spezialisten. Es wird nicht von selbst besser, kann aber auch nicht während der Routinenutzung schlechter werden (ein dynamisches Modell ist jeden Tag etwas anders). Auch statische Modelle werden allerdings in vielen Fällen durch ein Update regelmäßig verändert – allerdings eben kontrolliert und oft nur in Richtung Verbesserung. 

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Univ.-Prof. Dr. Falk Schwendicke

Direktor der Abteilung für Orale
Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde
und Versorgungsforschung,
CharitéCentrum 3 für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, MVZ Charité
Zahnheilkunde Charité –
Universitätsmedizin Berlin
Aßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin
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Dr. rer. nat. Joachim Krois

Abteilung für Orale Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung,
CharitéCentrum 3 für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Aßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin

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