No business as usual
Zunächst stellte sich der 41-jährige Patient in der truppenärztlichen Sprechstunde mit einem akuten, seit zwei Tagen zunehmenden Schub einer bekannten rheumatoiden Arthritis vor. Klinisch imponierte eine massive Schwellung beider Hand-, Metacarpophalangeal- (MCP) und proximalen Interphalangealgelenke (PIP) mit einer ausgeprägten Rötung und Überwärmung. Bereits die leichteste Palpatation oder Bewegung führten zu starken Schmerzen. Auslösend für den Schub war das eigenständige Absetzen der durch den Rheumatologen verordneten Dauermedikation (MTX 25mg s.c. 1x wöchentlich). Der Anlass für die Absetzung war ein Kinderwunsch des Patienten, der zuvor darüber informiert worden war, dass die MTX-Therapie zu schwerwiegenden Störungen der Spermatogenese führen kann. Sein behandelnder Rheumatologe konnte aufgrund der damaligen Corona-Situation keine Termine anbieten.
Als akutes Problem kam hinzu, dass sich der Ehering des Patienten trotz aller Versuche mit den bekannten Hilfsmitteln nicht lösen ließ, da auch das PIP-Gelenk des Ringfingers massiv geschwollen war. Um den Patienten vor einer langen Fahrt in die nächstliegende Notfallambulanz zu bewahren – besonders vor dem Hintergrund der Coronakrise –, suchten wir nach einer hausinternen Lösung.
Der Oralchirurg schlitzt den Ehering
So konsulierte der Truppenarzt mit dem Patienten den Oralchirurgen mit der Bitte um Hilfe bei der Entfernung des Eherings (Abbildung 1). Dass der Ring aus einem Edelmetall gefertigt wurde, vereinfachte die Entfernung. Der Patient wurde über den geplanten Versuch der Eröffnung des Rings mit einem hochtourig drehenden Diamanten (200.000 Umdrehungen pro Minute) aufgeklärt. Um potenzielle Verletzungen sowie eine mögliche thermische Belastung am Finger zu vermeiden, wurden ein Matrizenband zwischen Ring und Finger geschoben (Abbildung 2) und die Hand auf einem Eisbeutel platziert.
Durch intermittierendes Ansetzen des Diamanten wurde der Ring geschlitzt (Abbildungen 3 und 4) und im Anschluss mit zwei Flachzangen aufgebogen, so dass er schließlich schmerzlos abgenommen werden konnte (Abbildung 5). Der Zahntechniker bot an, den Ring zu einem späteren Zeitpunkt zu reparieren.
Die Entfernung gelingt komplikationslos
Die gesamte Entfernung verlief ohne mechanische oder thermische Beeinträchtigung des Fingers. Die weitere systemische Akuttherapie des Patienten erfolgte mittels „Kortisonstoßbehandlung“, hierunter zeigte sich der Patient schon am Folgetag deutlich schmerzgelindert und die Schwellung regredient. Aktuell wird eine möglichst niedrige Dosis des Prednisolons unter entsprechender Begleitmedikation angestrebt, bis eine Wiedervorstellung beim Rheumatologen wieder möglich wird beziehungsweise der Kinderwunsch (nach entsprechender Pause vom MTX) erfüllt ist. Erst danach soll die Basistherapie durch den Rheumatologen wieder angesetzt werden.
Die Behandlung von chronisch erkrankten Soldaten wird im Regelfall über den Truppenarzt eingesteuert und begleitet, wobei oftmals die Behandlung durch Ärzte mit entsprechender Schwerpunktausrichtung übernommen wird. Die betreuenden Ärzte kennen ihre Patienten sehr gut und wissen, wie sie sie einstellen und führen müssen. Aufgrund der Pandemie hatte der hier vorgestellte Patient zeitweise nur einen eingeschränkten Zugang zur ihn behandelnden Facharztpraxis.
Dieser Fall, der unter anderem durch die Nicht-Verfügbarkeit des betreuenden Rheumatologen überhaupt erst so schlimm geworden war, zeigt, wie einem Patienten durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Truppenzahnarzt und Truppenarzt geholfen werden konnte – für beide Seiten ein Blick über den Tellerrand hinaus.