Postoperative Komplikationen nach Extraktion des unteren dritten Molaren
Die Extraktion/Osteotomie des unteren dritten Molaren stellt in der zahnärztlich-chirurgischen Routine den am häufigsten durchgeführten Eingriff dar. Während die verschiedenen chirurgischen Verfahrensweisen – von der Schnittführung bis hin zur Koronektomie – gut etabliert sind, unterscheiden sich die Schwierigkeit der Zahnextraktion und die Häufigkeit postoperativer Komplikationen je nach dem individuellen Hintergrund des Patienten. Die chirurgische Entfernung eines retinierten unteren dritten Molaren, der keine Symptome oder pathologischen Befunde aufweist, als vorbeugende Maßnahme bleibt unter Klinikern umstritten. Zu den genauen Indikationen sei auf die aktuelle S2k-Leitlinie „Operative Entfernung von Weisheitszähnen“ verwiesen, die unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) erarbeitet wurde und noch bis 2024 gültig ist.
Zu den häufigsten postoperativen Komplikationen bei der Extraktion der unteren Weisheitszähne gehören Schwellungen, Schmerzen, Kiefergelenkbeschwerden wie Trismus, Blutungen, „trockene“ Alveolen, Infektionen und sensorische Veränderungen in Bezug auf den Nervus alveolaris inferior oder den N. lingualis. Insgesamt werden Komplikationsraten von knapp fünf bis 31 Prozent der Fälle angegeben. Nichtsdestotrotz existieren nur wenige große prospektive Studien zu den postoperativen Komplikationen, weshalb sich Yamada und Kollegen im Rahmen einer observativ-prospektiven Multicenterstudie in Japan mit der Erstellung eines potenziellen Behandlungsprotokolls für untere dritte Molaren inklusive der Prävalenz und der Risikofaktoren postoperativer Komplikationen beschäftigten.
Material und Methode
Aus dem Patientenkollektiv von 20 Institutionen konnten innerhalb von sechs Monaten 1.826 Extraktionen und Osteotomien unterer Weisheitszähne eingeschlossen werden. Von diesen Fällen wurden die Krankenakten überprüft und die relevanten Daten (Alter, Komorbiditäten, präoperative Medikation, postoperative Komplikationen, Tiefe der Impaktierung der Zähne, anatomische Beziehung zwischen mandibulärem Ramus, Nervkanal und Zahn, Techniken der Zahnentfernung, Wundverschluss sowie das postoperative Vorgehen) extrahiert.
Ergebnisse
Die Autoren ermittelten eine Prävalenz postoperativer Komplikationen von zehn Prozent, wobei es sich am häufigsten um eine Alveolitis sicca (3,2 Prozent), gefolgt von Sensibilitätsstörungen des N. alveolaris inferior (1,7 Prozent) und postoperative Schmerzen (1,6 Prozent) handelte. Alle Komplikationen waren bei einer Nachsorgedauer von sechs Monaten selbstlimitierend.
AUS DER WISSENSCHAFT
In dieser Rubrik berichten die Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats der zm regelmäßig über interessante wissenschaftliche Studien und aktuelle Fragestellungen aus der nationalen und internationalen Forschung.
Die wissenschaftliche Beirat der zm besteht aus folgenden Mitgliedern:
Univ.-Prof. Dr. Elmar Hellwig, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Univ.-Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen, Universität Bonn
Univ.-Prof. Dr. Florian Beuer, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer, Universitätsmedizin Mainz
In der univarianten statistischen Auswertung schlussfolgerten die Autoren, dass die Rate an Komplikationen bei einem Alter von über 31 Jahren und wenn keine präoperativen Antibiotika eingesetzt wurden, signifikant anstieg. Ebenso wurden signifikant mehr Komplikationen in Fällen beobachtet, bei denen radiologisch ein Bezug der Zahnwurzeln zum Alveolarkanal zu sehen war, wenn eine Klasse IIB nach Pell & Gregory vorlag (distaler Abschnitt des dritten Molaren durch Knochen des aufsteigenden Astes bedeckt und Zahn in Infraposition), wenn Knochen entfernt werden musste und wenn eine Teilung des Molaren unternommen worden war. Die multivariate Analyse bestätigte, dass ein höheres Alter (vor allem > 35 Jahre) und ein tief impaktierter Zahn signifikante unabhängige Risikofaktoren für postoperative Komplikationen nach der Osteotomie des unteren dritten Molaren sind.
Diskussion
Eine der Limitierungen der Studie ist das nicht randomisierte Patientenkollektiv. Daneben berichten die Autoren, dass die Ergebnisse möglicherweise durch die unterschiedliche Erfahrung der Chirurgen beeinflusst wurden. Ihnen zufolge sei allerdings kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Erfahrung der Behandler und postoperativen Komplikationen festgestellt worden. Als Ursache dafür wird vermutet, dass die „schwierigeren“ Fälle mit tief impaktierten Zähnen oder Patienten im fortgeschrittenen Alter von erfahreneren Chirurgen behandelt wurden.
Klinische Relevanz
Insgesamt können postoperative Komplikationen, die nach der Extraktion unterer dritter Molaren auftreten, sowohl für Patienten als auch für Ärzte schwerwiegende Folgen haben. Im Rahmen der präoperativen Aufklärung stellen die Prävalenz postoperativer Komplikationen und die entsprechenden Risikofaktoren wichtige Informationen dar.
Obwohl in anderen Studien vereinzelt berichtet wurde, dass die chirurgische Morbidität mit dem Alter nicht zunimmt, ist ein höheres Alter unbestritten assoziiert mit einer Verringerung der Knochenelastizität, einer möglichen Hyperzementose, einer vollständigen Wurzelentwicklung und nicht selten einer reduzierten Wundheilungsfähigkeit – alles Einflussfaktoren, die Komplikationen befördern können. Insofern sollte das Studienergebnis, dass ein höheres Alter ab 35 Jahren einen unabhängigen Risikofaktor darstellt, in der klinischen Praxis Beachtung finden.
Originalpublikation:Yamada et al.: Prevalence of and risk factors for postoperative complications after lower third molar extraction: A multicenter prospective observational study in Japan. Medicine: August 12, 2022 – Volume 101 – Issue 32 – p e29989 doi: 10.1097/MD.00000000 00029989