Schlechte Noten für das Zahnmedizinstudium
Zahnmedizinstudierende aus ganz Deutschland berichten von einer hohen psychischen Belastung. Befragungen unter Zahnärztinnen und Zahnärzten zeigen, dass die Belastung auch im Beruf hoch bleibt und ein ernst zu nehmendes Gesundheits- und Berufsrisiko darstellt“, fasst Christoph Austermann, Vorstandsmitglied im StuPa, die Motivation hinter der Umfrage zusammen. Konstantin Schrader, erster Vorsitzender des StuPa, fügt hinzu: „Auf Instagram betreiben wir seit einiger Zeit einen ‚Zahni-Kummerkasten‘. Hier können Kommilitonen und Kommilitoninnen von belastenden Erlebnissen berichten. Die Erzählungen dort sind zum Teil schockierend, aber auch sehr subjektiv. Um zu objektiveren Daten über das Ausmaß der psychischen Belastung während des Zahnmedizinstudiums und deren Ursachen zu kommen, haben wir diese bundesweite Umfrage durchgeführt.“
Rund 14 Prozent aller Zahnmedizinstudierenden in Deutschland machten Gebrauch von dem Angebot. Als Grundlage für den Fragebogen diente dem StuPa ein Leitfaden des Instituts für Leadership und Organisation der Ludwig-Maximilians-Universität München und des Bayerischen Staatsinstituts für Hochschulforschung und Hochschulplanung. Die 2021 veröffentlichten Empfehlungen beschäftigen sich mit der Bedeutung von Resilienz für den erfolgreichen Abschluss eines MINT-Studiengangs und sollen Hochschulen dabei helfen, geeignete Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Aktiv Einfluss auf die Studiensituation nehmen zu können, ist laut Resilienzforschung entscheidend für den Studienerfolg. Der StuPa-Umfrage zufolge schneidet die Zahnmedizin in diesem Punkt schlecht ab: Nur 19,8 Prozent der Teilnehmenden glauben, Einfluss auf die Gestaltung ihres Studiums, etwa im Rahmen von Evaluationen, zu haben. „Nein“ urteilten 63,4 Prozent. Die Studierenden berichteten vielmehr „von undurchsichtigen Planungen der Stundenpläne, kurzfristigen Ankündigungen von Testaten und willkürlichen Bewertungen ihrer praktischen Leistungen – alles in allem von einem Gefühl der limitierten Selbstwirksamkeit“, heißt es in einer Zusammenfassung der Umfrageergebnisse, die in der monatlich erscheinenden FVDZ-Zeitschrift „Der Freie Zahnarzt“ veröffentlicht wurde. Das Gefühl, ihr Potenzial im Studium voll ausschöpfen zu können, haben laut Umfrage 15,9 Prozent der befragten Zahnis.
Fremdbestimmt und mäßig fair
Geht es um das Thema Fairness in der zahnärztlichen Ausbildung in Deutschland, fällt die Resonanz durchwachsen aus: Sie sei in der Umfrage durchschnittlich mit der Note 3,43 bewertet worden, schreibt „Der Freie Zahnarzt“ unter Berufung auf das StuPa. Die Frage, ob sie sich aufgrund persönlicher Faktoren schon einmal benachteiligt gefühlt hätten, wurde von 49,6 Prozent der Studierenden mit Migrationshintergrund mit „ja“ beantwortet. Sortiert nach Geschlecht bejahten die Frage 23,1 Prozent der Studenten und 29,9 Prozent der Studentinnen. Die Frage „Wurdest du im Rahmen des Studiums schon mal sexuell belästigt, das heißt auch durch übergriffige Kommentare?“ beantworteten 79 Prozent der Studierenden mit „nein“. Etwa 8,5 Prozent hätten solche Kommentare allerdings schon einmal durch Lehrpersonen erlebt und 8,8 Prozent durch Patienten.
Über die Studie
Von Zahnis für Zahnis: Zwischen November 2022 und Januar 2023 waren alle in Deutschland eingeschriebenen Studierenden der Zahnmedizin eingeladen, an der anonymisierten Umfrage des Studierendenparlaments (StuPa) teilzunehmen. Der Fragebogen umfasste 16 Fragen, unter anderem zu den Themen Demografie, Studiensituation, individuelles Stressempfinden und Lehrkultur. Insgesamt konnten 2.150 gültige Antworten ausgewertet werden. In die Bewertung einbezogen wurden nur Hochschulstandorte, über die mindestens 25 Antworten eingingen. Diese Voraussetzung wurde für alle Unis erfüllt.
Hunderte der Zahnis nutzten die Möglichkeit, per Freitext ihre Erfahrungen an der Uni zu schildern. Bestimmte Themen seien dabei immer wieder aufgegriffen worden, berichtet „Der Freie Zahnarzt“. Dazu gehört, dass sich die anonymisierte Abgabe praktischer Arbeiten zum Semesterende und eine Klausureinsicht in allen Fächern an manchen Universitäten noch nicht etabliert hätten. Weiterer Kritikpunkt: „Kommt es zu Differenzen zwischen ihnen und ihren Assistenten, bemängeln viele Studierende in der Umfrage mangelnde Anlaufstellen und Beschwerdemöglichkeiten.“ Nur 18,6 Prozent der Befragten gaben an, dass sie sich bei ungerechter Behandlung an Vorgesetzte wenden würden, knapp 61 Prozent würden dies nach eigener Aussage nicht tun. Männer legen laut der Umfrage deutlich häufiger Beschwerde ein als ihre Kommilitoninnen. Zu groß sei die Furcht vor persönlichen Konsequenzen in einem zahlenmäßig so überschaubaren Studiengang.
StuPa-Vorstandsmitglied Austermann: „Das Arbeitsklima an vielen Hochschulen lässt zu wünschen übrig und könnte verbessert werden.“ Schrader bestätigt: „Wenn wir das Thema Stress und Druck ansprechen, hören wir von älteren Kolleginnen und Kollegen noch oft die Reaktion: ‚Die Situation war schon immer so. Da mussten wir alle durch.‘ Oder: ‚Lehrjahre sind keine Herrenjahre.‘ Aber solche Sprüche sind aus unserer Sicht einfach nicht mehr zeitgemäß. Wir finden: Wer Respekt erwartet, muss auch respektvoll mit anderen umgehen. Das gilt gerade in der Lehre.“
Viele schilderten einen rauen Umgangston und Schikane. In etwa einem Drittel der eingegangenen 500 Erfahrungsberichte sei dieses Problem zur Sprache gebracht worden. „Viele Studierende berichten, sich besonders von Assistentinnen und Assistenten nicht ernst genommen und teils auch nicht respektiert zu fühlen. Die Lehrkultur wird sehr verschieden beschrieben. Häufig wird jedoch auf wenig Lob hingewiesen und darauf, dass die Studierenden angeben, sehr auf sich gestellt zu sein“, heißt es in „Der Freie Zahnarzt“ unter Verweis auf eine vorangegangene StuPa-Befragung aus dem Sommer 2022. Dort hatten 51,7 Prozent der 637 befragten Zahnmedizinstudierenden aus ganz Deutschland angegeben, im Studium bereits von einer Lehrperson angeschrien oder beleidigt worden zu sein. Als respektvoll hatte damals lediglich ein Fünftel (20,9 Prozent) der Teilnehmenden den Umgang des Lehrkörpers mit den Studierenden bezeichnet.
Gereizt, antriebslos und müde
Die StuPa-Umfrage brachte noch eine Zahl zutage, die aufhorchen lässt: So haben 46,8 Prozent der Zahnmedizinstudierenden in Deutschland nach eigenen Angaben schon einmal ernsthaft den Abbruch ihres Studiums in Erwägung gezogen. Um dem standzuhalten, was im Studium erwartet wird, greifen manche offenbar zu Medikamenten: So gab ein Viertel der Befragten zu, schon einmal chemische Hilfsmittel eingenommen zu haben, etwa das aufmerksamkeitssteigernde Mittel Ritalin oder Schlafmittel. „Etwa je zwei Drittel der Studierenden erleben stressbedingte Symptome wie Gereiztheit, Antriebslosigkeit und Schlafstörungen“, zitiert Austermann aus der Studie.
Studienbedingungen: Was bringt die neue ZApprO?
Die am 1. Oktober 2020 in Kraft getretene Novelle der Zahnärztlichen Approbationsordnung (ZApprO) sollte hier Abhilfe schaffen. So haben Studierende laut neuer ZApprO die Möglichkeit, sich in Wahlfächern auch Inhalte anzueignen, die über zahnmedizinische Themen hinausgehen, etwa aus den Bereichen Psychologie, Psychosomatik oder Neurologie. Die Idee dahinter: Angehende ZahnärztInnen sollen sich Kompetenzen aneignen, die sie für die fordernde Berufsausübung stärken.
Die Umfrage des StuPa fragte gezielt nach dem Vorhandensein entsprechenden Angeboten: „Gibt es an deiner Universität Lehrangebote, wie mit Druck, Stress und Misserfolgen umgegangen werden kann?“ Dies beantworteten nur 18,2 Prozent der Teilnehmenden mit „ja“. „Nein“, antworteten 27,5 Prozent und rund 54 Prozent wussten es nicht.“ Das StuPa fordert vor diesem Hintergrund: „Obwohl es Präventionsangebote gibt, sind diese bei den Studierenden wenig bekannt und sollten daher gezielt beworben werden, um ihre Zielgruppen zu erreichen.“
In der ZApprO vorgesehen sind darüber hinaus klinische Behandlungskurse in kleineren Gruppen unter Aufsicht der ausbildenden Lehrkraft. Studierende sollten so intensiver betreut werden und in kürzerer Zeit deutlich mehr praktische Erfahrungen sammeln können.
Der Burn-out beginnt schon im Studium
Gezielt auf ihre psychische Gesundheit angesprochen, räumten 52 Prozent der Studierenden ein, von ihrem Umfeld bereits besorgt auf ihre mentale Gesundheit angesprochen worden zu sein. Aufgrund von Problemen im Studium in psychologischer Behandlung befinden sich nach eigenen Angaben 12,5 Prozent der Studierenden, die den Fragebogen des StuPa ausgefüllt haben.
Um genauere Daten über das Ausmaß der Belastungen durch Stress und Druck im Studium zu erheben, enthielt die StuPa-Umfrage eine umfassende Burn-out-Analyse. Darin waren die Studierenden aufgefordert, häufig auf sie zutreffende Antworten auszuwählen und anzukreuzen. Hier eine kleine Auswahl der Ergebnisse, die diese Analyse ergeben hat:
Im Studium gehe ich mit emotionalen Problemen gelassen um. (0,6 Prozent)
Ich fühle mich energiereich. (0,5 Prozent)
Seit dem Studium bin ich anderen Menschen gegenüber emotional abgestumpfter. (30,1 Prozent)
Mir fällt es leicht, in der Uni eine entspannte Atmosphäre zu schaffen. (0,7 Prozent)
Ich befürchte, dass mich mein Studium weniger mitfühlend macht. (22 Prozent)
Ich fühle mich unverhältnismäßig müde, wenn ich morgens an den bevorstehenden Unitag denke. (52,1 Prozent)
Ich habe viele lohnende Ziele in meinem Studium erreicht. (29,2 Prozent)
Am Ende eines Unitags fühle ich mich von meinem Studium ausgelaugt. (85,1 Prozent)
Ich fühle mich durch mein Studium frustriert. (48,7 Prozent)
„Wir als StuPa sind nach dieser Umfrage der festen Überzeugung, dass viele maßgebliche Faktoren, die später im Berufsalltag zu einem Burn-out beitragen, schon im Studium ihren Anfang nehmen", schlussfolgert StuPa-Vorsitzender Schrader. „Ganz einfach aus dem Grund, dass wir schon während des Studiums keinen gesunden Umgang mit Stress lernen. Diese schlechte Stressbewältigung setzt sich aus unserer Sicht immer weiter fort."
Eine schockierende Zahl
Insgesamt 232 Studierende (11,7 Prozent) gaben zu, schon einmal Suizidgedanken gehabt zu haben. „Gerade diese Zahl hat uns nachhaltig geschockt“, sagt Schrader. Er plädiert vor diesem Hintergrund dafür, dass das Thema psychische Belastung während des Studiums – und auch später im Beruf – offener thematisiert wird: „Auch medizinische Fachkräfte sind nicht vor Problemen mit Stress und Druck gefeit. Und auch sie dürfen sich dann Hilfe suchen – ohne dass sie deshalb eine Stigmatisierung erfahren. Wir als StuPa sind nach dieser Umfrage der festen Überzeugung, dass schon während des Studiums ein gesunder Umgang mit Stress erlernt werden muss. Sonst sind Burn-outs fast schon vorprogrammiert – mit allen negativen Auswirkungen, die das auch auf den Versorgungsauftrag der Zahnärztinnen und Zahnärzte hat.“ Hier, stellt Schrader erfreut fest, machten sich durchaus erste Anzeichen bemerkbar, die auf eine Veränderung in der Lehr- und Gesprächskultur hindeuten.