Welche Risiken birgt Erythrit?
Eine internationale Forschergruppe unter Beteiligung der Berliner Charité hatte mehr als 4.000 Menschen in den USA und Europa untersucht. Ziel der Studie war ursprünglich, die Blutproben von Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko auf das Vorhandensein von auffälligen Metaboliten zu untersuchen. Eine Arbeitshypothese gab es nicht, die Suche erfolgte ungerichtet. Insgesamt wurden die Blutproben von 1.157 Personen analysiert. Im Ergebnis fielen erhöhte Erythritwerte im Blutplasma der Probanden auf.
Erythrit fördert kardiovaskuläre Ereignisse
In einem nächsten Schritt konnten die Autoren in zwei weiteren Kohorten einen Zusammenhang zwischen Erythrit-Konzentrationen im Blut und dem Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen bestätigen. Sie untersuchten auch die Auswirkungen der Zugabe von Erythrit zu humanem Vollblut sowie zu isolierten Thrombozyten. Die Ergebnisse zeigten, dass Erythrit die Thrombozytenreaktivität erhöht, die Gerinnungsbildung verstärkt und das Thromboserisiko erhöht.
„Unsere Studie zeigt, dass die Teilnehmer, die ein künstlich gesüßtes Getränk mit Erythrit konsumierten, das in vielen verarbeiteten Lebensmitteln vorkommt, tagelang deutlich erhöhte Werte im Blut aufwiesen – Werte, die weit über denen lagen, die das Gerinnungsrisiko erhöhen", sagte Studien-Mitautor Stanley Hazen von der Cleveland Clinic in Ohio. Dafür wurde acht gesunden Freiwilligen einmalig ein Getränk mit einer Erythrit-Konzentration von 30 Gramm verabreicht. Die Erythrit-Plasmaspiegel stiegen daraufhin deutlich an. Auch nach zwei Tagen lag der beobachtete Anstieg des Erythritolspiegels „deutlich über den Schwellenwerten, die für Erythrit-Konzentrationen signifikante Erhöhungen mehrerer Indizes der Thrombozytenfunktion auslösen“, schreiben die Forscher.
Erythrit – die „zahnfreundliche“ Alternative
Künstliche Süßstoffe wie Erythrit sind ein gängiger Ersatz für Haushaltszucker in kalorien- und kohlenhydratarmen Produkten sowie in Keto-Produkten. Erythrit ist etwa 70 Prozent so süß wie Zucker und wird durch die Fermentierung von Mais hergestellt. Nach der Einnahme wird Erythrit vom Körper nur schlecht verstoffwechselt. Stattdessen gelangt es in die Blutbahn und verlässt den Körper hauptsächlich über den Urin. Der menschliche Körper bildet auf natürliche Weise geringe Mengen an Erythrit, so dass sich jeder zusätzliche Verzehr anreichern kann. Erythrit wird von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde, der Food and Drug Administration (FDA), als „Generally Recognized As Safe (GRAS)“ eingestuft, was bedeutet, dass keine langfristigen Sicherheitsstudien erforderlich sind.
Diese Einschätzung könnte sich nun ändern. Nicht nur die Studienautoren, sondern viele Wissenschaftler und Ernährungsmediziner fordern jetzt mehr Forschung zu Erythrit und auch zu anderen Zuckerersatzstoffen. In einer Expertenbefragung des Online-Portals „Science Media Center“ bemerkte Prof. Dr. Hans Hauner, Direktor des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin an der Technischen Universität München, „dass in den letzten Jahren bereits andere und größere Kohortenstudien einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Getränken, die statt mit Zucker mit Süßstoffen oder kalorienfreien Zuckerersatzstoffen gesüßt waren, und einem erhöhten Auftreten von Schlaganfall und anderen kardiovaskulären Ereignissen gefunden hatten“.
Erythrit in Luft-Pulver-Wasserstrahlgeräten
Zuckeraustauschstoffe wie Erythrit werden vor allem in der Kariesprophylaxe als „zahnfreundliche“ Alternative zum Zuckerkonsum empfohlen. Im Vergleich zu Sorbit und Xylit gilt Erythrit zusätzlich als verdauungsfreundlicher – damit könnten auch größere Mengen ohne weitere Beschwerden verzehrt werden, lautet der vielfach ergangene Rat. Möglicherweise müssten solche Empfehlungen künftig überarbeitet werden.
Darüber hinaus wird Erythrit auch in Luft-Pulver-Wasserstrahlgeräten eingesetzt, was ebenfalls Fragen im Hinblick auf die gesundheitliche Unbedenklichkeit aufwirft. Allerdings kommt es im Unterschied zur täglichen Erythritaufnahme bei entsprechenden Ernährungsgewohnheiten nur im Rahmen von Prophylaxemaßnahmen, also vergleichsweise selten, zur Exposition mit Erythrit. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM) hin (siehe Kasten).
DGPZM zur Nutzung von Erythritpulver in Luft-Pulver-Wasserstrahlgeräten
Auch die Deutsche Gesellschaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM) hat sich mit der Studie von Witkowski et al. beschäftigt und eine Pressemitteilung dazu veröffentlicht. Zur Frage, wie die Nutzung von Erythritpulver in Pulver-Wasserstrahlgeräten im Lichte der Studienergebnisse zu bewerten ist, schreibt die Fachgesellschaft:
„Diese Nutzung ist grundsätzlich anders zu bewerten als die Verwendung von Erythrit als Süßungsmittel. Bei der Nutzung in Luft-Pulver-Wasser-Strahlgeräten kommt es nur selten, in der Regel etwa ein- bis viermal pro Jahr, zur Exposition mit Erythrit und nicht, wie bei der Verwendung als Süßungsmittel, zu einem dauerhaften, täglichen Einsatz. Da Luft-Pulver-Wasser-Strahlgeräte mit Erythrit auch subgingival eingesetzt werden können, ist es denkbar, dass es zu einem gewissen Eintrag von Erythrit in die Blutbahn kommt. Dadurch können jedoch keine Konzentrationen erreicht werden, wie sie in der zitierten Studie als relevant identifiziert wurden. Unabhängig von den Ergebnissen weiterer Studien zu Erythrit als Süßungsmittel kann daher bei der Nutzung in Luft-Pulver-Wasser-Strahlgeräten auch weiterhin von einer sicheren Anwendung ausgegangen werden."
Dennoch bleiben auch hier Fragen offen, da – wie die Studie gezeigt hat – auch eine einmalige Erythritgabe zu hohen und anhaltenden Konzentrationen von Erythrit im Blut führen kann. Demgegenüber rechnet die Firma EMS in einer Stellungnahme gegenüber der zm vor, dass die tatsächliche Erythritexposition während einer AIRFLOW®-Behandlung aufgrund der Absaugung des Pulvers um ein Vielfaches geringer ausfällt als in der Studie getestet (siehe Kasten).
EMS: „AIRFLOW® PLUS-Pulver mit Erythrit(ol) ist sicher!“
Die Firma EMS mit Sitz in Nyon, Schweiz, vertreibt Pulver-Wasserstrahlgeräte (AIRFLOW®), die unter anderem mit Erythrit-Pulver (AIRFLOW® PLUS) betrieben werden. EMS hat sich in einer Stellungnahme gegenüber den zm zu den Ergebnissen der Studie von Witkowski et al. geäußert, aus der wir hier zitieren. EMS schreibt:
„Erythritol ist ein natürlicher Süßstoff (Zuckeraustauschstoff), dessen Sicherheit in den letzten 30 Jahren umfassend untersucht wurde [Munro et al., 1998]. Erythritol weist ein niedriges Toxizitätsprofil auf und bei Konsum von moderaten Mengen haben die Studien keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit festgestellt. Erythritol kommt als natürlicher Bestandteil in Lebensmitteln wie zum Beispiel in Honig und Früchten vor und wird in geringen Mengen auch vom menschlichen Organismus selbst produziert. Die U.S. Food and Drug Administration (FDA) [FDA, 2018] und die European Food Safety Authority (EFSA) [EFSA, 2015] stufen Erythritol als sicher ein (Generally Recognized As Safe).
Die bei einer AIRFLOW®-Behandlung im AIRFLOW® PLUS-Pulver verwendete Erythritol-Menge ist mit circa 10 g sehr gering. Werden die Empfehlungen für ein effektives Aerosolmanagement befolgt, werden mehr als 95 Prozent des Erythritols während der Behandlung abgesaugt. Bei einer AIRFLOW®-Behandlung mit AIRFLOW® PLUS-Pulver als Teil des 'Guided Biofilm Therapy (GBT)'-Protokolls nimmt der Patient also maximal 0,5 g Erythritol auf.
In der besagten Studie [Witkowski et al., 2023] wurde die Einzeldosierung mit 30 g Erythritol getestet, um einen Effekt nachzuweisen (Seite 715 – Fig. 5). Bei einer GBT-Behandlung mit AIRFLOW® PLUS-Pulver wird maximal 0,5 g Erythritol aufgenommen. Das ist 60-mal weniger als der in dieser Studie getestete Wert mit einer Einnahme von 30 g Erythritol. Weiterhin weist die Studie darauf hin, dass ein Effekt auf das Blutbild nur bei dieser hohen Konzentration von 30 g Erythritol auftritt [Witkowski et al., 2023].
Also müsste ein Patient 60 AIRFLOW®-Behandlungen mit AIRFLOW® PLUS-Pulver in einem Tag erleben, um diesen Risikowert zu erreichen. [...]
Die Deutsche Gesellschaft für Präventive Zahnmedizin (DGPZM) hat am 26. April 2023 eine Pressemitteilung veröffentlicht, mit der Aussage, dass Erythritol-Pulver in der PZR (professionellen Zahnreinigung) als sicher gelten kann.
Die Sicherheit der Patienten hat bei EMS erste Priorität. EMS führt laufend wissenschaftliche Untersuchungen und klinische Studien durch, um die Sicherheit seiner Produkte zu gewährleisten.“
Literaturliste
Witkowski, M., Nemet, I., Alamri, H. et al. Nat Med (2023). doi.org/10.1038/s41591-023-02223-9.
Munro, I. C. et al. Erythritol: an interpretive summary of biochemical, metabolic, toxicological and clinical data. Food Chem. Toxicol. 36, 1139–1174 (1998).
[FDA, 2018]: www.fda.gov/media/132946/download.
EFSA Panel on Food Additives and Nutrient Sources added to Food. (2015). Scientific Opinion on the safety of the proposed extension of use of erythritol (E 968) as a food additive. EFSA Journal, 13(3), 4033.
Die Studie von Witkowski et al. hat in der gesamten Medizin Fragen aufgeworfen, die nach dem aktuellen Wissensstand nur unbefriedigend beantwortet werden können und weitere Forschung erfordern. Von den Erkenntnissen zum Gefährdungspotenzial von Erythrit ist in erster Linie die Debatte um eine zuckerarme Ernährung betroffen – hier spielen Zuckeraustauschstoffe eine wichtige Rolle. Aber auch in der Zahnmedizin könnten sich im Licht weiterer Forschung neue Empfehlungen und Einschätzungen ergeben.
Die Studie: Witkowski M, Nemet I, Alamri H, Wilcox J, Gupta N, Nimer N, Haghikia A, Li XS, Wu Y, Saha PP, Demuth I, König M, Steinhagen-Thiessen E, Cajka T, Fiehn O, Landmesser U, Tang WHW, Hazen SL: The artificial sweetener erythritol and cardiovascular event risk. Nat Med. 2023 Mar;29(3):710-718. doi: 10.1038/s41591-023-02223-9. Epub 2023 Feb 27. PMID: 36849732.