Das Gesundheitssystem muss grüner und resilienter werden
Wir sind hintendran“, mahnte Prof. Dr. mult. Eckhard Nagel, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth. Obwohl 50 Prozent der Patienten von dem Thema „nichts mehr hören wollen“ – die Perspektiven seien vielen zu düster und die Zusammenhänge zu komplex – dürfe das MedizinerInnen nicht davon abhalten, aktiv zu werden.
PD Dr. med. Christian Schulz, Facharzt für Anästhesiologie und Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheits (KLUG), bekräftigte Nagels Botschaft. Es sei jetzt an der Zeit, ins Handeln zu kommen, eine neuerliche Evaluationsphase, wie sie manche wünschen, sei nicht nötig, Informationen seien zur Genüge vorhanden. Die anstehende Herkulesaufgabe für das Gesundheitswesen sei nun „eine Adaption an das Unvermeidliche“ vorzunehmen. Sowohl das Bevölkerungswachstum und der damit verbundene wachsende Ressourcenbedarf als auch die Klimakrise seien „kein linearer Prozess, sondern eine Explosion“. Wer sich die Vitalparameter des Planeten anschaut, dem werde augenblicklich klar, dass eine Wertediskussion ansteht.
Da heute die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung – definiert mit einem Jahreseinkommen über 35.000 US-Dollar – rund 50 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verursachen, sei eine Diskussion um Verzicht unvermeidlich, „auch wenn wir sie nicht führen wollen". Schulz warnte weiter: Der schon heute beobachtbare Effekt der Biodiversitätskrise auf die körperliche sowie der Effekt des Klimawandels auf die mentale Gesundheit würden unterschätzt.
„Wir müssen über Verzicht reden“
Gesundheitsakteure sollen sich engagieren
Eine von The Lancet veröffentlichte Reihe (siehe QR-Code oder bit.ly/lancet_determinanten) von Autoren aus 16 Ländern und sechs Kontinenten zeigt: Produkte und Praktiken kommerzieller Akteure haben zunehmend negative Folgen für die Gesundheit von Mensch und Planet. Vier Branchen (Tabak, ungesunde Lebensmittel, fossile Brennstoffe und Alkohol) sind je nach Definition für mindestens ein Drittel der weltweiten Todesfälle pro Jahr verantwortlich. The Lancet will nicht nur für die Problematik sensibilisieren, sondern auch Lösungen aufzeigen. So sollen den Autoren zufolge Staaten und internationale Organisationen ihre strukturelle Macht nutzen, um politische Systeme zu verändern und Anreize für Investitionen in Geschäftsmodelle zu schaffen, die einen positiven Beitrag für Gesundheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit leisten. Zivilgesellschaftliche Gruppen sollten ihre kollektive Stimme erheben und Gesundheitsakteure ihre rein biomedizinische Sichtweise auf Gesundheit aufgeben – und sich breiter engagieren, etwa indem sie Einfluss auf Akteure aus Handel, Finanzen und Wirtschaft ausüben.
Auf die Frage, woher die finanziellen Mittel zur Anpassung des Gesundheitswesens an den Klimawandel kommen sollen, verwies Schulz auf eine brandneue Lancet-Reihe (siehe Kasten rechts): Laut des Global Burden of Disease Collaborative Networks sind bis zu 33 Millionen der weltweiten Todesfälle durch nichtübertragbare Krankheiten auf Tabak- (9 Millionen), Alkoholkonsum (3 Millionen), eine unausgewogene Ernährung oder den Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln (11 Millionen) oder Luftverschmutzung (10 Millionen) zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund müsse sich die Gesellschaft fragen, wie sie den Lobbyismus der dahinterstehenden Konzerne künftig unterbinden und die Regeln so weiterentwickeln wolle, dass mehr Geld für eine bessere Prävention zur Verfügung steht.
Zu „WeACT Con“
Die Veranstaltung „WeACT Con“ wurde von der Chiesi GmbH, einem deutschen Pharmaunternehmen mit Sitz in Hamburg, ausgerichtet. Chiesi ist ein Tochterunternehmen der italienischen Chiesi Farmaceutici S.p.A. mit Sitz im italienischen Parma und hat sich als zertifizierte Benefit Corporation verpflichtet, über die rein wirtschaftlichen Unternehmensziele hinaus gesellschaftlich Verantwortung zu übernehmen. Das Zertifikat der Non-Profit-Organisation B Lab misst die soziale, ökologische und ökonomische Gesamtleistung eines Unternehmens, heißt es. Inzwischen sind weltweit mehr als 6.755 Unternehmen von B Lab zertifiziert. Schirmherr der Kongressreihe „WeACT Con“ ist Prof. Dr. Edgar Franke, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium. Die nächste „WeACT Con“ ist für den 23. und 24. April 2024 geplant.
Für die Niedergelassenen besteht nach Schulz der größte Hebel darin, als Multiplikatoren für ihre Patienten sowie deren soziales Umfeld zu agieren und dem Themenkomplex Klima- und Biodiversitätskrise einen größeren Stellenwert einzuräumen. Es sei allerhöchste Zeit, zu handeln – darin waren sich Referenten und Publikum einig.