„Fegt alle hinweg, die die Zeichen der Zeit nicht verstehen wollen“
Die Ausstellung „Enteignet, vertrieben, ermordet – Zum Approbationsentzug jüdischer Ärztinnen und Ärzte“ ist den jüdischen Ärztinnen und Ärzten gewidmet, denen im Jahr 1938 die Approbation zwangsweise entzogen wurde. Der von den nationalsozialistischen Machthabern per Gesetz verfügte Approbationsentzug kam einem Berufsverbot gleich.
Die Schau widmet sich im Rahmen des 127. Deutschen Ärztetages 2023 der Verdrängung jüdischer Ärztinnen und Ärzte aus ihren Stellungen und Ämtern. Zur Eröffnung am 15. Mai hielt der President of the Israel Medical Association, Prof. Zion Hagay, eine kurze Rede, in der er die gute Zusammenarbeit mit den deutschen Kollegen unterstrich. Der Leiter der Alten Synagoge, Dr. Uri-Robert Kaufmann, erinnerte daran, dass jüdische Mediziner erst seit 1678 zum Medizinstudium auf deutschem Territorium in Frankfurt an der Oder zugelassen wurden. Davor mussten sie Universitäten in Italien besuchen.
Die Schau besteht aus zwei Teilen. Der erste wurde bereits 2008 konzipiert und zeigt das Schicksal verfolgter Ärzte im süddeutschen, respektive bayerischen Raum. 2018 kam es zur Kooperation mit der Ärztekammer Nordrhein, in dessen Folge die Präsentation um neun Porträts jüdischer Ärztinnen und Ärzte aus dem Rheinland erweitert wurde. Ehrenamtliche Mandatsträger halfen bei der Spurensuche nach betroffenen Medizinern im Rheinland. Ihre Lebenswege vervollständigen die Geschichte der Entrechtung und Schikanen durch die braunen Machthaber gegenüber den jüdischen Ärzten. Auf Rolltafeln werden aus ihrem Leben Fotos und Dokumente gezeigt. Zum Teil hatten die Kuratoren auch Kontakt zu den Nachfahren der Verfolgten.
Anfang 1933 gab es ungefähr 8.000 bis 9.000 jüdische Ärztinnen und Ärzte, das waren etwa 16 Prozent der gesamten Ärzteschaft im Deutschen Reich, wobei die Anzahl in manchen Großstädten darüber lag. Unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten setzte die systematische Entrechtung und Verfolgung jüdischer Ärztinnen und Ärzte ein. Sehr schnell waren die Standesorganisationen der Ärzteschaft auf nationalsozialistischen Kurs „gleichgeschaltet“.
Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933 ordnete an, dass Beamte, die nicht arischer Herkunft waren, in den Ruhestand zu versetzen sind. Davon waren auch jüdische Ärzte betroffen, die in Kliniken, an Hochschulen oder in Gesundheitsämtern arbeiteten. Die Kassenzulassung wurde ihnen entzogen. Die neuen Machthaber riefen die Bevölkerung zum Boykott jüdischer Arztpraxen auf. Eine weitere Zahl diskriminierender Verordnungen und Gesetze erschwerten in den folgenden Jahren jüdischen Ärztinnen und Ärzten ihre Berufsausübung.
Über 20 Lebensschicksale werden präsentiert
Die „Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 25. Juli 1938 führte für jüdische Ärzte mit Wirkung zum 30. September 1938 zum Entzug der Approbation. Kein jüdischer Arzt konnte mehr eine Zulassung erhalten. Mediziner wurden aus dem Ärzteregister gestrichen. Einer geringen Zahl wurde noch gestattet als sogenannte „Krankenbehandler“ nur jüdische Patienten oder Verwandte zu betreuen. Mit der „Achten Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ vom 17. Januar 1939 wurde auch jüdischen Zahnärzten, Tierärzten und Apothekern die Approbation entzogen.
Über 20 Lebensschicksale werden in der Ausstellung präsentiert. So das von Magdalena Schwarz, die 1900 in Berlin geboren wurde, in München studierte, 1930 ihre Approbation erhielt und 1932 eine eigene Praxis eröffnete. 1938 verlor sie ihre Approbation und arbeitete weiter als „Krankenbehandlerin“ unter Dr. Julius Spanier im Israelitischen Krankenheim in München. Im Februar 1945 konnte sie einem letzten Deportationszug entgehen und wurde bis zum Kriegsende bei einem Kollegen versteckt. Nach der NS-Zeit praktizierte sie weiter bis zu ihrem Tod 1971.
Ein weiteres berührendes Schicksal ist das des 1885 in Bonn geborenen Oberarztes Dr. Arthur Samuel. Wie so viele seiner Kollegen wurde auch er für seine Teilnahme am Ersten Weltkrieg ausgezeichnet. Aber der Dienst für das Vaterland rettete ihn nicht vor Entrechtung und dem wirtschaftlichen Ruin. Er musste sein Haus räumen und seine Praxis wurde zerstört. Zum Glück konnte er mit seiner Familie Deutschland verlassen und sich unter Mühen in der neuen Heimat USA im New Yorker Stadtteil Manhattan 1942 eine neue Zukunft aufbauen. Er starb 1974 im Alter von 89 in Seattle.
Die Profiteure der gewaltsamen Verdrängung von bis 1.700 jüdischen Kollegen zu Beginn 1934 waren vor allem die Anhänger des NS-Systems: Mitglieder der NSDAP, SS, SA, oder des Stahlhelms innerhalb der Ärzteschaft. Sie bekamen bevorzugt neue Kassenarztsitze.
Der gewaltsamen Entrechtung durch die nationalsozialistische Ideologie stellten sich nur wenige aus Medizinerkreisen entgegen, viele schwiegen oder profitierten. Der Anteil von Anhängern des Systems innerhalb der deutschen Ärzteschaft war höher als in anderen Berufsgruppen. So belegen die Zahlen der Reichsärztekartei für das Rheinland zu Jahresanfang 1944 eine NSDAP-Mitgliedschaft von über 50 Prozent in den damaligen Ärztekammern Köln-Aachen, Düsseldorf und Moselland. Bei den Ärzten lag sie bei über 60 Prozent, bei Ärztinnen unter 25 Prozent.
Nach dem 1. September 1938 konnten zunächst noch circa 700 jüdische Mediziner als sogenannte „Krankenbehandler“ weiter praktizieren. Im darauffolgenden Jahr waren es nur noch 300 Ärzte und Ärztinnen. Etwa 300 jüdische Ärztinnen und Ärzte begingen vor dem Abtransport in ein Konzentrationslager Selbstmord. Insgesamt fiel ein Viertel der jüdischen Mediziner aus Deutschland dem Holocaust zum Opfer.
Die Verdrängung der jüdischen Kollegen fügte der Medizin in Deutschland großen Schaden zu, denn die jüdischen Ärzte waren im Inn- und Ausland zuvor anerkannte Kapazitäten und galten in ihren Fachbereichen oft als Pioniere.
Die Wanderausstellung „Enteignet, vertrieben, ermordet – Zum Approbationsentzug jüdischer Ärztinnen und Ärzte“ ist bis zum 21. Juni 2023 in der Alten Synagoge in Essen, Haus der jüdischen Kultur, Edmund-Körner-Platz 1, 45127 Essen zu sehen. Sie macht anschließend vom 1. September bis 2. Oktober 2023 Station im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf.