Gemeinschaftskongress „Berlin Reloaded“

Implantologen aus aller Welt in der Hauptstadt

Heftarchiv Zahnmedizin
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Bereits für 2020 war ein großer Gemeinschaftskongress der European Association of Osseointegration (EAO), der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI) und der Österreichischen Gesellschaft für Implantologie (ÖGI) geplant – dieser konnte wegen der Pandemie aber nur online stattfinden. Im zweiten Anlauf klappte es nun: Zu „Berlin Reloaded“ trafen sich über 4.000 Teilnehmer aus aller Welt in der Hauptstadt.

Die dreitägige Veranstaltung vom 28. bis zum 30. September 2023 gliederte sich in ein deutsches und ein internationales Programm. Referenten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz waren in beiden Programmen prominent vertreten. Die wissenschaftliche Leitung lag beim Wissenschaftlichen Komitee von EAO und DGI und den Kongresspräsidenten Prof. Dr. Henning Schliephake und Prof. Dr. Florian Beuer. Die den Kongresspräsidenten zufolge „weltweit größte implantologische Bühne des Jahres 2023“ bot ein Programm mit 66 Referenten aus 22 Ländern, Workshops und 338 Posterpräsentationen.

Implantatkonzepte für die Frontzahnregion

Mit welchen Behandlungskonzepten lassen sich langfristig stabile und ästhetische Ergebnisse im Frontzahnbereich erzielen? Mit diesem Thema beschäftigte sich eine von Prof. Dr. Irena Sailer und PD Dr. Arndt Happe moderierte Session im internationalen Programm. Die beiden Referenten waren Dr. Stefano Gracis (Italien), der sich auf Einzelimplantatversorgungen konzentrierte, und Prof. Dr. Henny Meijer (Niederlande), der über die klinischen Ergebnisse bei zwei benachbarten Implantaten sprach. Gracis stellte eine Reihe von Faktoren für den langfristigen Erfolg vor. Dabei fokussierte er sich auf drei Aspekte:

  • die dreidimensionale Position des Implantats,

  • die Konfiguration der Implantat-Abutment-Schnittstelle und

  • das Protokoll für das Einsetzen der prothetischen Versorgung.

Die Voraussetzungen für den Langzeiterfolg einzelner Frontzahn-Elemente sind Gracis zufolge

  • hinsichtlich der Implantatposition das Vorhandensein eines ausreichenden Hart- und Weichgewebsvolumens (idealerweise ein dicker Biotyp),

  • eine prothetisch orientierte Implantatpositionierung, die optimalerweise eine verschraubte prothetische Versorgung ermöglicht und

  • eine Kronen- beziehungsweise Abutmentkontur, die das Gewebe „stützt“.

In Bezug auf die Implantat-Abutment-Konfiguration nannte Gracis als Schlüsselfaktor die Anwendung eines angemessenen Drehmoments auf die Abutmentschraube, um die notwendige Stabilität zu gewährleisten. Er betonte, dass es für ihn keine ideale Art der Implantat-Abutment-Verbindung gebe, wobei er in seiner Praxis die interne Verbindung bevorzugt und einen etwaigen Vor- oder Nachteil des Platform Switching mit einem Fragezeichen versieht. Was die Protokolle für das prothetische Einsetzen betrifft, empfahl er, das wiederholte Verbinden und Trennen des Aufbaus vom Implantat unbedingt zu vermeiden.

Meijer diskutierte die Möglichkeit, zwei benachbarte Zähne durch zwei Implantate im Frontzahnbereich zu ersetzen und präsentierte erstmals die Zehn-Jahres-Daten einer von seiner Forschungsgruppe an der Universität von Groningen durchgeführten Studie. Obwohl die größte Schwierigkeit darin bestehe, einen adäquaten Rosa-Ästhetik-Score und vor allem eine ausreichende Papille zwischen den beiden Implantaten zu erhalten, bleiben die anfänglichen Behandlungsergebnisse Meijer zufolge in der Regel stabil, ebenso die Patientenzufriedenheit. Aus wissenschaftlicher Sicht sei die Datenlage zu diesem Thema dünn, während als praktikable Alternative die implantatgetragene Krone mit Extension zur Verfügung stehe.

Das Timing für Implantate in der posterioren Region

Implantologische Behandlungskonzepte für den Seitenzahnbereich mit Schwerpunkt auf das Timing waren Thema einer von Prof. Dr. Benedikt Spies (Deutschland) und Prof. Dr. Gerry Raghoebar (Niederlande) moderierten Session. Dr. Gary Finelle (Frankreich) beleuchtete die Sofortimplantation im Gegensatz zur konventionellen Implantation beim Ersatz von Molaren. Zusammenfassend nannte er als mögliche limitierende Faktoren für die Sofortimplantation

  • die fehlende primäre Implantatstabilität,

  • die Unmöglichkeit eines passiven Alveolenschlusses, den er selbst üblicherweise mit seinem Konzept eines individuell angepassten Abutments (SSA = Sealing Socket Abutments) erreiche,

  • das Vorhandensein von bukkalen oder lingualen Gewebedefekten,

  • das Fehlen keratinisierter Gingiva und

  • der Attachmentverlust am Nachbarzahn.

Im zweiten Teil der Sitzung präsentierte Prof. Dr. Stefan Vandeweghe (Belgien) Daten aus mehreren klinischen Studien zur Sofort- oder verzögerten Belastung im Seitenzahnbereich. Wie er ausführte, gibt es jedoch nur wenige Daten über die Kombination von Sofortimplantation und Sofortbelastung sowie über die Antwort des Weichgewebes auf diese therapeutische Lösung. Einer der Schlüsselfaktoren sei die Primärstabilität des Implantats, ein anderer ebenso entscheidender Faktor die Erfahrung des Behandlers unter Berücksichtigung des möglichen Kosten-Nutzen-Verhältnisses des Verfahrens. Zusammenfassend könne angesichts der begrenzten Daten aus der Literatur die Sofortversorgung und -belastung im Seitenzahnbereich noch nicht empfohlen werden.

Hat der interne Sinuslift ausgedient?

Parallel zu den EAO-Sessions liefen die Vorträge der DGI. Eindrucksvoll war zum Beispiel ein Bild, das Prof. Dr. Dr. Michael Krimmel aus Tübingen in der „Session 4: Konzepte in der posterioren Region“ zeigte, um die Physiologie des respiratorischen Epithels der Kieferhöhle zu demonstrieren. Zu sehen war die coronare Schicht einer CT, auf der sich eine abgebrochene Metallbohrerspitze cranio-medial im ostium naturale des rechten Sinus maxillaris befand. Diese war allein durch das Flimmerepithel entgegen der Schwerkraft dorthin befördert worden.

Krimmel zeigte außerdem, dass Kieferhöhlenerkrankungen nur sehr selten durch Implantate ausgelöst werden – selbst wenn diese in die Kieferhöhle hineinragen. Hat somit der interne Sinuslift ausgedient, muss deshalb die Kieferhöhle möglicherweise überhaupt nicht berücksichtigt werden, sofern das Knochenangebot stimmt? Das könnte eine Debatte in der Zukunft werden.

Zur Digitalisierung gab es zwei Vorträge aus Berlin. So schlussfolgerte PD Dr. Guido Sterzenbach (Berlin) anhand von Studien zu Intraoralscans, dass digitale Abformungen momentan noch nicht ausreichend zuverlässig sind, um für Full-arch-Versorgungen eingesetzt werden zu können. Prof. Dr. Falk Schwendicke (Berlin) zeigte anhand eines Beispiels auf, wie schwierig das Training von Künstlicher Intelligenz mitunter sein kann. So erkannte eine künstliche Intelligenz Pferde nur deswegen als Pferde, weil alle Bilder, mit denen die KI trainiert wurde, vom selben Fotografen stammten – und alle hatten dasselbe Copyright-Zeichen, auf das sich die KI letztlich „eingeschossen“ hatte. Im Bereich der digitalen Implantatplanung kann KI derzeit nur für die Segmentierung von 3-D-Röntgenbildern genutzt werden, also das Erkennen der jeweiligen anatomischen Strukturen.

Tipp für die Implantatentfernung

PD Dr. Dr. Markus Schlee (Forchheim) verdeutlichte, wie wichtig eine schonende Implantatentfernung ist, wenn das Implantat nicht mehr erhalten werden kann. Er macht aus der Not eine Tugend, indem er zunächst aus dem Knochen vestibulär des Implantats einen Block bildet, den er nach Implantatentfernung weiter crestal mit einer Osteosynthese­schraube fixiert, wodurch automatisch periimplantärer Knochenabbau augmentiert werden kann.

Der Kongress endete mit der EAO-Abschlusssession „Interdisciplinary management of complex cases reloaded“, die vom EAO-Präsidenten Prof. Dr. Ronald Jung und dem DGI-Präsidenten Beuer moderiert wurde. Hier zeigten drei Vertreter der Disziplinen Parodontolgie (Dr. Jim Janakievski), Prothetik (Dr. Gregg Kinzer) und Kieferorthopädie (Dr. Vince Kokich Jr.) aus den USA, wie wichtig eine enge Kooperation ist, um insbesondere schwierige Fälle optimal zu lösen. Deutlich hervorgehoben wurde dabei der allgemeinmedizinische Zusammenhang zwischen retraler Bisslage und nächtlicher Apnoe mit einhergehender Hypoxie: Die Normalisierung der Bisslage bewirkt eine Erweiterung des Rachens. Die Folge: Die Atemwege werden nicht mehr so leicht verlegt, die Schlafapnoe ist beseitigt.

Wir danken Prof. Dr. Andreas Schwitalla und Dr. Stefano Pieralli (beide Berlin) für ihre Beiträge zu diesem Bericht.

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