Arzneimittelinteraktionen bei älteren Patienten

PRISCUS 2.0 für Zahnmediziner

Frank Halling
Die PRISCUS-Liste wurde zur Erhöhung der Medikationssicherheit insbesondere bei älteren Patienten entwickelt und enthält aktuell 177 Wirkstoffe und Wirkstoffklassen, die als „potenziell inadäquate Medikation im Alter“ (PIM) eingestuft werden. Die Liste ist in erster Linie als Orientierungshilfe für Hausärzte und Allgemeinmediziner gedacht, enthält jedoch auch einige Wirkstoffgruppen, die zahnärztlich verordnet werden.

Untersuchungen zeigen, dass die Zahl der Menschen in Deutschland, die 65 Jahre und älter sind, von 2021 bis 2060 von 22 Prozent auf 30 Prozent steigen wird. Dabei wird sich der Bevölkerungsanteil der Personen, die 80 Jahre und älter sind, von sieben Prozent auf elf Prozent erhöhen [Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, 2021].

Bei älteren Menschen ist bei zahlreichen Medikamenten das Risiko für Nebenwirkungen erhöht. Dies ist oft auf die verminderte hepatische Metabolisierung und/oder die verzögerte renale Elimination zurückzuführen. In der Folge kann sich die Wirkdauer verlängern und die Intensität der Arzneimittelwirkung steigen, so dass der Körper insgesamt empfindlicher auf die Wirkstoffe reagiert [Delafuente, 2008; Maher et al., 2008].

Da bei vielen älteren Menschen eine Multimorbidität besteht, das heißt, es liegen drei und mehr behandlungsbedürftige Krankheiten vor, nimmt diese Patientengruppe häufig auch mehrere Medikamente gleichzeitig ein. Ab fünf Medikamenten spricht man von Polypharmazie, die ein besonderes medizinisches Risiko darstellt [Moßhammer et al., 2016; Masnoon et al., 2017].

Daten der AOK aus dem Jahr 2020 zeigen, dass 42,4 Prozent aller Menschen in Deutschland, die 65 Jahre und älter sind, regelmäßig fünf oder mehr Medikamente einnehmen. Knapp sieben Prozent nehmen sogar zehn und mehr Wirkstoffe dauerhaft ein [Thürmann et al., 2022]. Werden auch noch jene Medikamente berücksichtigt, die sich Patientinnen und Patienten ohne ärztliche Verordnung selbst in der Apotheke kaufen (OTC-Präparate), dann steigen diese Zahlen nochmals an.

Zwischen der Anzahl der eingenommenen Arzneimittel und dem Auftreten arzneimittelbezogener Probleme besteht eine linear positive Assoziation [Viktil et al., 2007; Nobili et al., 2009]. Die Zahl der therapeutischen Konflikte und der möglichen Wechselwirkungen nimmt deutlich zu [Markun et al., 2014; Ude und Ude, 2013]. Vor diesem Hintergrund kann eine Liste „potenziell ungünstiger Medikamente (PIM)“ in der täglichen Praxis hilfreich sein. Um Wirkstoffe, die für ältere Menschen möglicherweise ungeeignet sind und vermieden werden sollten, klarer zu definieren, wurde 2010 für den deutschen Arzneimittelmarkt die erste PRISCUS-Liste (priscus: lateinisch für alt, ehrwürdig) mit PIM für ältere Menschen veröffentlicht [Holt et al. 2010]. Die Liste fand mittlerweile Eingang in medizinische Lehrbücher und diverse Verordnungssoftware. Nach mehr als zehn Jahren bedurfte die erste PRISCUS-Liste dringend einer Aktualisierung. Die Arbeitsgruppe um Prof. Petra Thürmann (Witten/Herdecke) hat nun Ende 2022 die lang erwartete Überarbeitung präsentiert: PRISCUS 2.0 [Mann et al., 2023]. PRISCUS 2.0 stuft nun 177 Wirkstoffe/Wirkstoffklassen als PIM ein, wobei insgesamt 133 Wirkstoffe neu aufgenommen wurden. Damit ist PRISCUS 2.0 doppelt so umfangreich wie die vorherige Liste aus dem Jahr 2010.

Die Einstufung als PIM sollte ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung über eine Medikamentenverordnung sein. Jedoch kann die Verordnung eines PIM im Einzelfall trotzdem sinnvoll und notwendig sein [Mühlbauer, 2023]. Immerhin 12,4 Prozent aller Medika­mente, die ältere Menschen in Deutschland erhalten, sind PIM. Nahezu jede zweite ältere Person (65 Jahre und älter) hat im Jahr 2021 mindestens eine PIM-Verordnung erhalten (49,5 Prozent), wobei der Anteil unter den weiblichen GKV-Versicherten mit 52,3 Prozent höher war als unter den männlichen mit 45,6 Prozent [Thürmann et al., 2022].

Obwohl die Anzahl und Anteile verschiedener PIM aus der PRISCUS-2.0-Liste für ältere (> 65 Jahre) GKV-Versicherte im Arzneimittelkompass 2022 nach Facharztgruppen differenziert werden, sind die Zahnmediziner lediglich unter der Rubrik „Sonstige“ subsumiert [Thürmann et al., 2022]. In einer US-amerikanischen Studie, der die mit PRISCUS vergleichbare Beers-Liste zugrunde lag, wurde festgestellt, dass 56,9 Prozent der älteren Patienten zumindest ein problematisches Medikament beim Zahnarzt erhalten hatten, bei 28,3 Prozent waren es sogar zwei und mehr PIM [Skaar und O'Connor, 2017].

Im Folgenden soll speziell auf die Wirkstoffe/Wirkstoffgruppen aus der PRISCUS-2.0-Liste eingegangen werden, die für die zahnärztliche Verordnungspraxis eine besondere Bedeutung haben.

Nichtsteroidale Antiphlogistika und Antirheumatika (NSAR)

Diese Wirkstoffgruppe wird in der neuen PRISCUS-Liste sehr differenziert behandelt. Generell begünstigen bei älteren Patienten neben Antihypertensiva (36 Prozent) vor allem nichtsteroidale Analgetika/Antiphlogistika (17,8 Prozent) häufig unerwünschte Arzneimittelwirkungen [Onder et al., 2012]. Ketoprofen, Dexketoprofen oder Ibuprofen sind bei einer Einmalgabe unproblematisch [Gaskell et al., 2017]. Jedoch sollte bei älteren Patienten 3 x 400 mg Ibuprofen /Tag ohne Magenschutz maximal für eine Woche verordnet werden, bei längerer Einnahme ist zusätzlich ein Protonenpumpenhemmer (PPI) erforderlich [Mann et al., 2023].

Das Risiko einer schwerwiegenden NSAR-induzierten gastrointestinalen Komplikation steigt mit zunehmendem Alter, der Schwere und der Art der Grunderkrankung, etwa Morbus Crohn, bei gleichzeitiger Einnahme von Kortikoiden oder Antikoagulanzien, bei kardiovaskulärer Erkrankung sowie bei Ulkus oder gastrointestinaler Blutung in der Vorgeschichte [Wolfe et al., 1999; Hernandez-Diaz, 2000]. Besondere Vorsicht gilt in diesem Zusammenhang bei der Verordnung von Diclofenac und selektiven Cyclooxygenase-2-Inhibitoren (Coxiben) [Heimes und Kämmerer, 2023].

Nach bisherigem Kenntnisstand führen NSAR zu einer drei- bis fünffachen Erhöhung des Risikos für Komplikationen im oberen Gastrointestinaltrakt [Henry und McGettigan, 2003]. Aus diesem Grund ist die Verschreibung von NSAR bei Personen mit aktiver Gastritis oder einer Ulkusanamnese kontraindiziert. Erschwerend kommt einer Studie zufolge hinzu, dass die meisten Patienten vor Auftreten einer schweren NSAR-assoziierten gastrointestinalen Komplikation keinerlei Symptome aufweisen [Willen, 2023].

In der PRISCUS-Liste wird explizit auf die gastrointestinalen Nebenwirkungen der NSAR wie Ulzerationen und Blutungen hingewiesen. Diese Ulzerationen können bei unsachgemäßer Anwendung auch im oralen Bereich auftreten (Abbildung).

Thematisiert wird in der neuen PRISCUS-Liste auch das kardiovaskuläre Risikoprofil der NSAR, das in den vergangenen Jahren eine breite Diskussion über deren Nutzen-Risiko-Verhältnis ausgelöst hat. Klar ist, dass NSAR und Coxiben im Vergleich zu Placebo mit einem erhöhten Risiko kardiovaskulärer Komplikationen wie Herzinfarkt, Apoplex oder periphere arterielle Verschlüsse assoziiert sind [Moore et al., 2007; Trelle et al., 2011]. Eine 2017 publizierte Metaanalyse bestätigte diese Ergebnisse und fand sogar bei nur kurzzeitigem Gebrauch von NSAR Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Myokardinfarkte [Bally et al., 2017].

Letztlich bleibt der Einsatz von NSAR bei kardiovaskulären Vorerkrankungen, die im Fall der Hypertonie und der ischämischen Herzkrankheiten zu den zehn häufigsten hausärztlichen Diagnosen zählen [KBV, 2017], immer problematisch. Registerdaten aus Dänemark mit Angaben von 28.947 Menschen in einem durchschnittlichen Alter von 70 Jahren zeigten, dass unter lbuprofen oder Diclofenac das Risiko für einen plötzlichen Herztod um 31 beziehungsweise 50 Prozent anstieg [Sondergaard et al., 2017]. Besondere Vorsicht ist bei der Verschreibung von Diclofenac und Coxiben wie Etoricoxib geboten: Die Gabe ist bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen (Herzinsuffizient NYHA II–IV, koronare Herzkrankheit, periphere arterielle Verschlusskrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen) deshalb ebenfalls kontraindiziert [Heimes und Kämmerer, 2023].

In einer Übersichtsarbeit von Worm und Team [Worm et al., 2014] zu ADAC-Luftrettungseinsätzen aufgrund einer anaphylaktischen Reaktion zeigte sich, dass Schmerzmittel an erster Stelle bei den medikamenteninduzierten Auslösern zu finden sind. Hierbei belegen die NSAR Diclofenac, Acetylsalicylsäure und Ibuprofen die ersten drei Plätze! Vor diesem Hintergrund erscheint es besonders wichtig darauf hinzuweisen, dass Ibuprofen seit Langem das mit Abstand „beliebteste“ NSAR im zahnmedizinischen Bereich in Deutschland ist. Eine aktuelle Analyse zeigt, dass die Verordnungshäufigkeiten seit 2012 praktisch kontinuierlich zugenommen haben, so dass mittlerweile fast 80 Prozent aller zahnärztlichen Analgetikaverordnungen für den Wirkstoff Ibuprofen ausgestellt werden [Albrecht et al., 2024] (Grafik).

Codein

Die „schwächer“ wirksamen Opioide, zu denen auch Codein gehört, werden hepatisch metabolisiert. Codein ist eine sogenannte „Prodrug“, es entfaltet seine analgetische Wirkung erst durch die Umwandlung in den aktiven Metaboliten Morphin, der zu etwa zehn Prozent durch Demethylierung unter Beteiligung des Enzyms CYP2D6 in der Leber entsteht. Insgesamt ist das Potenzial für Arzneimittelinteraktionen bei allen schwachen Opioiden besonders in der Polypharmakotherapie als erheblich anzusehen [Doan et al., 2013].

Ältere Menschen zeigen generell eine höhere Empfindlichkeit gegenüber den Effekten der Opioide. Codein wird in der Zahnmedizin am häufigsten als Inhaltsstoff in einem Kombinationspräparat (Dolomo TN®) verordnet. Das Präparat ist in der Zahnmedizin sehr beliebt, aber pharmakologisch kritisch zu sehen [Daubländer und Höcherl, 2021]. Neben der Obstipation durch die Verminderung der gastrointestinalen Peristaltik müssen auch Benommenheit und Schwindel als relevante Nebenwirkungen genannt werden, denn es besteht immer die Gefahr von Stürzen und den daraus resultierenden Einschränkungen der Mobilität bis hin zur Pflegebedürftigkeit [Kojda, 2014].

Bei älteren Patienten kann sich die starke Wirkung der Opioide auf das zentrale Nervensystem durch eine verringerte Atemfrequenz bis hin zur Atemdepression äußern [Kojda, 2016]. Insbesondere bei betagten Patienten (> 85 Jahre) mit Atemwegserkrankungen ist das Risiko einer Ateminsuffizienz durch Codein deutlich erhöht [Tchoe et al., 2020]. Codein und andere Opioide sollten daher bei Störungen der Atemfunktion und chronisch obstruktiven Atemwegserkrankungen wie COPD nicht verordnet werden.

Fluorchinolone (Breitbandantibiotika)

Obwohl Fluorchinolone (wie Moxifloxacin, Ciprofloxacin) im zahnmedizinischen Bereich eher selten eingesetzt werden [Sobottka et al., 2012; Slots, 2022], ist besonders bei älteren Patienten mit Komorbiditäten Vorsicht geboten. Regelhaft ist eine geringe Verlängerung des QTc-Intervalls im EKG nachweisbar. Wenn gewisse weitere Risikofaktoren wie Elektrolytstörungen, kardiale Vorerkrankungen oder eine Therapie mit Antiarrhythmika hinzukommen, können schwerwiegende Rhythmusstörungen („Torsades de pointes“) auftreten. Außerdem sind die Wirkungen der Chinolone auf Strukturen des Bindegewebes zu berücksichtigen: Chinolone können zu Tendopathien (Tendinitis, Rupturen) führen, die sich offenbar auch noch Wochen und Monate nach einer Chinolontherapie – zum Beispiel in Form einer Achillessehnenruptur – klinisch manifestieren können [Stahlmann, 2017].

Fazit

Obwohl die PRISCUS-2.0-Liste im Wesentlichen eine Orientierung für Hausärzte und Allgemeinmediziner darstellt, sollte sie auch im zahnmedizinischen Bereich mehr Beachtung finden. Zwar sind es nur wenige Arzneimittelgruppen aus dieser Liste, die zahnärztlich häufiger verordnet werden, diese spielen aber besonders im Hinblick auf die NSAR eine durchaus relevante Rolle im Praxisalltag.

Der unüberlegte Einsatz von Ibuprofen und anderen NSAR kann bei älteren Patienten zahlreiche unerwünschte Arzneimittelreaktionen hervorrufen, die in seltenen Fällen auch lebensbedrohlich sein können. Generell sollte jeder Arzneimitteleinsatz bei Senioren gut überlegt sein, da durch die Veränderungen körperlicher Funktionen (verminderte Resorption, reduzierter Metabolismus, verzögerte Elimination) und umfangreiche Komedikationen Nebenwirkungen und Arzneimittelinteraktionen deutlich häufiger und intensiver auftreten können.

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PD Dr. Dr. Frank Halling

Gesundheitszentrum Fulda,
Praxis für MKG-Chirurgie/
Plast. Operationen,
Gerloser Weg 23a, 36039 Fulda
und
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie,
Universitätsklinikum Gießen und
Marburg, Standort Marburg
Baldingerstraße, 35043 Marburg

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