Interview mit Joerg Heidrich zur Künstlichen Intelligenz

„Die Nutzung von KI zählt schon jetzt zu den wissenschaftlichen Kernkompetenzen!"

Joerg Heidrich ist Rechtsanwalt für Internet- und KI-Recht – und selbst bekennender Tekkie. Im Interview erklärt der Justiziar und Datenschutzbeauftragte von Heise Medien, wieso Künstliche Intelligenz meist Fluch und Segen zugleich ist und bei welchen Zukunftsfantasien ihm angst und bange wird.

Herr Heinrich, wenn Publikumsmedien über Generative Künstliche Intelligenz berichten, ist so gut wie immer die Rede von Chat GPT oder GPT-4, dem bislang neuesten Produkt des US-Herstellers Open AI, vielleicht noch von Microsoft Nuance. Ist diese Darstellung nicht arg verkürzt?

Joerg Heidrich: Tatsächlich explodiert die KI-Szene gerade regelrecht und bringt nahezu täglich spannende neue Angebote hervor. So gibt es eine ganze Reihe von vielversprechenden ChatGPT-Konkurrenten. Ich benutze zum Beispiel derzeit Claude 3 Opus, das den Angeboten von OpenAI zumindest gleichwertig ist. Neben den Textgeneratoren gibt es aber auch noch eine ganze Welt von KI-Angeboten aus anderen Bereichen. Mein Favorit ist der Bildgenerator Midjourney, der längst lebensechte Bilder erschafft, die nicht von Fotos zu unterscheiden sind. Daneben erleben auch Video-, Ton- und Musik-KI gerade unglaubliche Entwicklungen.

Kommen wir trotzdem noch einmal zu GPT-4: Der Branchenprimus bestand laut einer Studie bereits im Mai 2023 gut 80 Prozent der Multiple-Choice-Fragen der US-Approbationsprüfung für Zahnärzte. Bei der für das Vereinigte Königreich geltenden Prüfungsversion waren es immerhin noch knapp 63 Prozent. Beide Werte hätten einem Menschen zum Bestehen gereicht. Wie viel Aussagekraft hat so ein isolierter Test?

Es sagt viel über die Möglichkeiten von KI aus. Diese haben ein umfangreiches Training auf medizinische Daten, aber zum Beispiel auch auf juristische Daten, wo es ähnliche Ergebnisse gibt. ChatGPT wurde auf einer riesigen Menge an Textdaten trainiert, darunter auch viele medizinische Fachbücher, Studien und Publikationen. Und gerade bei Multiple Choice zeigt sich die Fähigkeit zur Mustererkennung und Wissensverknüpfung: Die KI ist in der Lage, relevantes Wissen miteinander zu verbinden, um Diagnosen zu stellen und Therapien vorzuschlagen. Sie wird daher sicher auf absehbare Zeit keinen Arzt ersetzen, kann aber wertvolle Hilfe gerade bei Diagnosen und Analysen sein.

Selbst Laien können sehen, welche sprunghaften Qualitätssteigerungen es bei Bild-, Sprach- und Videogeneratoren auf KI-Basis gibt. Sie sind der Experte: Was bedeutet das für das Urheberrecht?

Das bestehende Recht wird durch die KI in vielfacher Hinsicht auf die Probe gestellt. Das gilt insbesondere für das Urheberrecht. Hier ist man sich einig, dass KI-generierte Inhalte wie Texte oder Bilder im Normalfall nicht rechtlich geschützt sind. Sie sind nicht das Ergebnis eines „menschlichen Schaffens“ sondern werden von den Benutzern nur angestoßen, entstammen aber der Maschine.

Wie wirkt sich das für die Benutzer der KI aus, wenn die generierten Inhalte nicht urheberrechtlich geschützt sind?

Dies ist Fluch und Segen zugleich. Vorteilhaft ist es, dass man die Inhalte frei und kostenlos verwenden darf und niemanden um Erlaubnis fragen muss. Der Nachteil: Das kann jeder andere mit meinen KI-Bildern oder Texten auch. Denn da ihnen der rechtliche Schutz fehlt, sind sie quasi „digitales Freiwild“.

Gibt es dabei Aspekte, die eine Praxisinhaberin oder ein Praxisinhaber bedenken sollte, etwa bei der Nutzung von KI-generierten Inhalten für Web- oder Social-Media-Angebote?

Der große Vorteil ist zunächst, dass die Ergebnisse von ChatGPT, Midjourney & Co. frei verwendet werden dürfen und eine große Kreativität ermöglichen. Ansonsten gelten hier die allgemeinen Grenzen des Standesrechts: Entscheidend ist, dass die Werbung sachlich bleibt und nicht in anpreisender, irreführender oder reißerischer Weise erfolgt.

Und wo verlaufen die Grenzen, wenn Zahnärztinnen oder Zahnärztinnen als Inhaltsproduzenten in Kontakt mit KI kommen, sie also als Urheber von Texten und Fotos sicherstellen wollen, dass ihre Werke nicht unentgeltlich von Softwareherstellern zum Trainieren von KI genutzt werden?

Viele Ersteller von digitalen Inhalten wollen nicht, dass diese von den KI-Anbietern ausgelesen und zum Training der Software genutzt werden. Diesen Vorgang hat der Gesetzgeber aber in der letzten Reform des Urheberrechts in Paragraf 44 b UrhG ausdrücklich sogar zu kommerziellen Zwecken erlaubt. Wer damit nicht einverstanden ist, kann das aber explizit ausschließen. Hierfür sehen die gesetzlichen Vorschriften einen entsprechenden Hinweis zum Beispiel im Impressum vor. Dieser kann wie folgt aussehen:

Text- und Data-Mining: [Unternehmensname] behält sich eine Nutzung ihrer Inhalte für kommerzielles Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor. Für den Erwerb einer entsprechenden Nutzungslizenz wenden Sie sich bitte an [E-Mail-Adresse].

Mittlerweile werden viele Publikationen mit ChatGPT & Co. angereichert, lektoriert, vielleicht auch komplett geschrieben. Noch gibt es keine strikte Kennzeichnungspflicht – dafür aber Studien, die nachweisen, dass GPT-4 auf Wunsch passend zur Forschungsfrage Datensätze fälschen kann, die nur Experten als solche erkennen. Und es gibt Beweise dafür, dass überlastete Wissenschaftler ihr Peer Review teilweise oder ganz durch Bots erledigen lassen. Was bedeutet das für den Wissenschaftsbetrieb?

Der gesamte Bildungsbereich ist noch recht wenig auf die Herausforderungen durch generative künstliche Intelligenz vorbereitet. Nicht nur im Bereich der Lehre wird man hier neue Möglichkeiten finden müssen, die weit weniger als bisher auf schriftliche – und damit „manipulationsgeeignete“ – Prüfungen setzt. Auf der anderen Seite gehört die Nutzung von KI bereits jetzt zu den wissenschaftlichen Kernkompetenzen, die nicht grundsätzlich verdammt werden können. Sofern mithilfe von ChatGPT & Co allerdings Ergebnisse gefälscht werden, ist das eindeutig im roten Bereich und muss hart und gegebenenfalls auch mit Ausschluss bestraft werden.

Aber es gibt auch prominente Fürsprecher der Technik, wie etwa den US-Kardiologen, Genetiker und Autor Eric Topol, der nicht müde wird, von gigantischen Möglichkeiten für die Medizin zu schwärmen, vor allem in der Vermeidung von Diagnosefehlern. In seinem Buch „Deep Medicine“ zeichnet er 2019 ein Zukunftsszenario, in dem sämtliche verfügbare Daten (auch DNA, Verhaltensdaten und Familiengeschichte) jedes Menschen komplett erfasst und zusammengeführt werden, um optimale Behandlungen zu ermöglichen. Was sagt der Datenschützer in Ihnen dazu?

Dem wird bei solchen Fantasien angst und bange, denn die Missbrauchsmöglichkeiten sind enorm. Auf der anderen Seite eröffnet KI im medizinischen Bereich fantastische neue Möglichkeiten, die es zu nutzen gilt. Hier wird man eine Balance finden müssen, die unsere sensibelsten Daten vor Missbrauch und Ausverkauf schützen, zugleich der Forschungsgemeinschaft aber hinlängliche Möglichkeiten lässt. Der Umgang mit KI wird eine der größten gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Herausforderungen der kommenden Jahre. Leider sind wir darauf als Gesellschaft noch viel zu wenig vorbereitet.

Das Gespräch führte Marius Gießmann.

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