Pilotprojekt in Mecklenburg-Vorpommern

Diese Busse versorgen Senioren auf dem Land

Gritt Kockot
In Mecklenburg-Vorpommern ist ein Pilotprojekt für Mobile Zahnmedizin gestartet, um die Versorgung von Pflegeheimbewohnern zu verbessern. Busse, mit modernster Technologie ausgestattet, machen vor Ort umfassende zahnmedizinische Dienstleistungen möglich. Die rollende Zahnarztpraxis soll auch dazu dienen, Versorgungslücken auf dem Land zu schließen.

Eine Bewohnerin des Alten- und Pflegeheims „Haus am Bodden“ in Ribnitz-Damgarten geht – gestützt auf ihren Krückstock – auf das auf dem Hof stehende Spezialfahrzeug zu. An der Rampe für Rollstühle angekommen, beäugt sie neugierig das Innere. Was sich dem Auge der alten Dame hier bietet, ist kein normaler Bus, sondern eine voll ausgestattete mobile Zahnarztpraxis. Mit digitalem Röntgengerät und einer Rollstuhlaufnahme, die fest im Boden fixiert ist und eine sichere Positionierung der Patienten gewährleistet, mit einem Gewicht von 3,5 Tonnen.

Keine drei Meter davon entfernt wird an diesem Tag das Pilotprojekt „Mobile Zahnmedizin M-V“ feierlich eröffnet – im Beisein von führenden Vertretern der Bundes- und Landespolitik, der Wissenschaft und den zahnmedizinischen Standesorganisationen Mecklenburg-Vorpommerns.

Ins Leben gerufen haben es der Zahnmediziner und Oralchirurg Dr. Sebastian Geiger und der Social Designer Tobias Lippek von 32bit Mobile Medizin GmbH. Ihre Idee: Der Zahnarzt kommt mit der Praxis zu den alten Menschen direkt vor das Pflegeheim gefahren. Sechs Heime sollen in M-V von fünf Zahnärztinnen und Zahnärzten auf diese Weise aufgesucht werden. „Wir fokussieren uns auf verschiedene Wohnformen für Alten- und Pflegeheime und garantieren damit, dass es sich betriebswissenschaftlich auch lohnt. Wir wollen bestehende Strukturen ergänzen und nicht ersetzen“, sagt Projektleiter Lippek.

Es sei ein Glücksfall gewesen, dass die Gebrüder Clamors – beide Zahnärzte aus Nordrhein-Westfalen – dem Pilotprojekt ihren Bus zur Verfügung gestellt haben, den sie vor etwa vier Jahren für die eigene Verwendung erdacht und konzipiert hatten, erzählt Lippek. Seit 16 Jahren fahren Sören und Björn Clamors zusammen nach Feierabend Altersheime in ihrer Region an. Sie sind die einzigen in einem Umkreis von mehreren Kilometern, die Hausbesuche machen. Bis zu 25 Behandlungen am Tag sind mit dem Fahrzeug möglich, das der ortsansässige Foodtruck-Hersteller für sie gebaut hat.

Für MV wie gemacht

Dass der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen innovative Ansätze wie dieses Pilotprojekt erfordert, darin sind sich hier alle einig. Gesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD) verspricht sich sehr viel davon: „Ich glaube, dass wir mit der aufsuchenden Versorgung viel mehr Leute erreichen können. Und deswegen ist diese Idee 'Der Zahnarzt kommt zu den Leuten' aus meiner Sicht eigentlich für MV wie gemacht. Und jetzt müssen wir sehen, dass wir aus solch einem Projekt möglichst etwas entwickeln, das in die Regelversorgung integriert werden kann.“ Und vielleicht – so ihre Hoffnung – könne ja das eine oder andere Gesundheitsamt Geschäftspartner von 32bit werden.

„Unser Konzept beruht darauf, dass alle an einem Strang ziehen“

„Wir als Kassenzahnärztliche Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern waren bereit, das Projekt ideell zu unterstützen“, sagte uns Dr. Gunnar Letzner, Vorsitzender des Vorstands der KZV M-V. „Die aufsuchende Zahnmedizin kann dabei helfen, die Versorgung im ländlichen Raum zu unterstützen. Das heißt konkret, dass fünf Zahnärztinnen und Zahnärzte aus MV mit einem vollausgestatteten Bus – einer Praxis auf Rädern – die Pflegeheime anfahren, um dann deren Bewohner zu behandeln. Alte Menschen werden oft vergessen, weil sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr selbst in eine Zahnarztpraxis gehen können oder nicht mobil genug sind.“

Damit erhoffe sich die KZV eine Verbesserung der Behandlungsqualität vor Ort, etwa durch die Lagerungsmöglichkeit der Patienten mit entsprechender Beleuchtung, den Einsatz einer hochwertigen Behandlungseinheit sowie die Anfertigung von Röntgenbildern. Wenn die Testphase in MV gut anläuft, soll ein solches Fahrzeug durch „32bit“ angeschafft werden. Das werde sich herumsprechen und anderen alten Leuten Mut machen, sich in die Hände der mobilen Zahnmedizin zu begeben, hofft Letzner. Die fahrende Praxis könne aber nur eine Ergänzung zur niedergelassenen Zahnärzteschaft darstellen. Aus Sicht der KZV M-V geht es weiter vorrangig darum, dass junge Zahnmediziner ins Land kommen beziehungsweise dort bleiben, um eine Praxis zu gründen oder zu übernehmen.

Dr. Jens Palluch, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der KZV M-V, unterstreicht, dass sich diefünf Kolleginnen und Kollegen im Rahmen des Pilotprojekts mit dem Setting „Behandeln in der mobilen Praxis“ vertraut machen können. „In diesem Test unter realen Bedingungen besteht natürlich ebenso die Möglichkeit, Problemlagen aufzudecken und für die Zukunft zu optimieren“, berichtete er. Aber auch Bewohnerinnen und Bewohner und Mitarbeitende aus Pflegeheimen könnten anschließend über ihre Erfahrungen berichten. „Wir sollten das Pilotprojekt nutzen, um die Öffentlichkeit und die Kollegenschaft für die Mundgesundheit vulnerabler Patienten zu sensibilisieren.“ Gerade pflegebedürftige Menschen hätten oft große Schwierigkeiten, sich in zahnärztliche Behandlung zu begeben. „Da sind dann alle Beteiligten menschlich oder emotional gefordert und es muss viel Geduld an den Tag gelegt werden. Dabei kann man, da bin ich mir sicher, viel Neues lernen und erleben“, so Palluch weiter. „Vielleicht kommt das sogar bei den Zahnmedizin-Studierenden an, dass es ein spannendes Betätigungsfeld sein könnte – mobile Zahnmedizin neben der eigenen Niederlassung, später mal.“

Für die Präsidentin der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, Stefanie Tiede, ist das Projekt „Mobile Zahnmedizin“ ein Ansatz, um das Problem der Versorgung der vulnerablen Gruppen im Land Mecklenburg-Vorpommern anzugehen. „Denn in unserem Bundesland treffen zwei Faktoren zusammen, die diese Versorgung erschweren: der im Bundesvergleich hohe Altersdurchschnitt der Bevölkerung bei einer äußerst dünnen Besiedelung der ländlichen Räume“, erläutert Tiede. Klar sei, dass die bereits jetzt knappen Ressourcen für eine adäquate Versorgung künftig nicht mehr ausreichen. Von daher sei es dringlich geboten, mögliche Lösungsansätze zu diskutieren und mittels Pilotprojekten auf ihre Durchführbarkeit zu testen. Die größte Herausforderung sieht sie in den begrenzten Kapazitäten der Kollegenschaft, insbesondere bei den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen und ihren Teams. „Von daher würde ich beispielsweise eine Einbindung der Universitätskliniken unseres Landes sehr begrüßen“, betonte sie. „Darüber hinaus wird es sicher auch Herausforderungen technischer und logistischer Art geben, die aber über die Durchführung solch eines Pilotprojekts erkannt und gelöst werden können.“

Tobias Lippek, Mitgründer von 32bit, erläuterte uns die Hintergründe des Pilotprojekts. „Mit unseren schlüsselfertigen Zahnarztbussen und unserer Serviceplattform möchten wir den Alltag von Zahnärzten einfacher gestalten“, erklärte er. 32bit sei gegründet worden, um Versorgungslücken im ländlichen Raum zu schließen. Für den Erfolg sei die ressortübergreifende Zusammenarbeit entscheidend – zwischen den Zahnärztinnen und Zahnärzten vor Ort, den Vertretern der Standesorganisationen, den Pflegeheimen, den Kommunen und der regionalen Gesundheitspolitik. „Unser Konzept beruht auf Kooperation, bei der die verschiedenen Akteure an einem Strang ziehen.“ Die Kollegenschaft werde über Soziale Medien, über Online-Veranstaltungen, über die Kammer und die KZV und über Direktansprachen zum Mitmachen motiviert. Eine große Rolle spielten auch die Praxisteams. Gerade werde evaluiert, in welcher Form sie optimal unterstützt werden können. Dem Personalmangel zum Trotz habe er die Erfahrung gemacht, dass Menschen sich gerne engagieren. Und perspektivisch gedacht sei es möglich, die Pilotphase auszudehnen und das Projekt auch bundesweit aufzustellen. pr

Dietrich Monstadt (CDU) hofft, dass sich das Ganze auch wirtschaftlich trägt. „Vielleicht sind wir in der Lage, mit der Umverteilung der KZBV-Mittel, aber auch mit den Zuschüssen des Landes gegebenenfalls das Projekt über Wasser zu halten. Und die Situation wird nicht besser.“ Er sieht dringenden Handlungsbedarf in der Gesundheitsversorgung in Mecklenburg-Vorpommern.

Großen Zuspruch findet die mobile Zahnarztpraxis auch bei Dr. Ivonne Honekamp, Professorin für Management und Gesundheitswesen von der Hochschule Stralsund. Als Mitglied der Strategiegruppe „Gesundes Altern“ interessiert sie sich ganz besonders für die zahnmedizinische Versorgung von Menschen in Pflegeheimen. „Vor ungefähr vier Jahren bin ich mit den Pflegepionieren aus Oldenburg und einem Zahnarzt aus Delmenhorst zusammengekommen, der damals schon die Problematik 'Versorgung von Pflegebedürftigen' aufgegriffen hat. Und der hatte die Idee, dass Pflegepersonal mehr in die Prophylaxe von Heimbewohnern einzubinden. Dazu müssten aber Pflegekräfte mehr geschult werden. Aber es mangelt an Zeit und Personal dafür.“

Gut, wenn man den passenden Führerschein hat

Der Schlüssel für das Fahrzeug von 32bit wurde an die Präsidentin der Zahnärztekammer, Stefanie Tiede, und den KZV-Vorstandsvorsitzenden Dr. Gunnar Letzner übergeben. „Durch Kooperationsverträge schaffen wir eine stabile Basis für solche Initiativen“, betont Letzner.

Eine Zahnärztin, die in den nächsten Wochen den Bus nutzen wird, ist Kira Heiden aus Stralsund. Sie hat noch zu DDR-Zeiten den passenden Führerschein gemacht, so dass sie den Bus selbst fahren kann. Heiden freut sich auf jeden Fall schon auf die Erfahrung, weil sie noch nie in so einem Fahrzeug praktiziert hat. „Ich konnte meine Stuhlassistenz, Christin Köhler, für das Projekt gewinnen. Wir haben uns extra Zeit freigeschaufelt, um uns auf die Zeit im Bus vorzubereiten. Und das Gute ist ja auch, dass den Senioren aufwendige Pflegetransporte und lange Wartezeiten erspart bleiben“, erzählt Heiden. Beide werden in Barth und in Tribsees unterwegs sein.

Nach dem Einsatz der mobilen Praxis wird es ab dem 4. Juli eine Evaluation geben. Alle beteiligten Zahnärzte sollen dann die Qualität und die Ausstattung des Behandlungsbusses beurteilen und die administrative Unterstützung durch 32bit bewerten. Wenn die Testphase gut läuft, soll ein voll ausgestattetes Fahrzeug gekauft werden. Ein Team, das den Bus in Zukunft mietet, wird nach aktuellem Stand 450 Euro am Tag dafür zahlen. Aber auch das ist noch in Arbeit, betont Lippek. „Für uns ist dieses Projekt eine klare Handlungsaufforderung: Es kann gelingen, wenn alle Beteiligten zusammen an einem Strang ziehen – und zwar in dieselbe Richtung.“

Gritt Kockot

Abteilungsleiterin Öffentlichkeitsarbeit
Kassenzahnärztliche Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern
Kassenzahnärztliche Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern

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