KZBV-Vertreterversammlung

Schulterschluss in der ambulanten Versorgung

Susanne Theisen
Niederlassungsfreundliche Rahmenbedingungen und mehr Gestaltungsspielraum für die Selbstverwaltung – dafür sprachen sich die Delegierten der Vertreterversammlung der KZBV aus, die am 5. und 6. Juni 2024 in Frankfurt am Main tagte. Unterstützung für diese Forderung kam von KBV-Chef Dr. Andreas Gassen und ABDA-Vize Mathias Arnold, die ebenfalls anwesend waren. In einer gemeinsamen Erklärung positionierten sich Ärzte-, Zahnärzte- und Apothekerschaft gegen die aktuelle Gesundheitspolitik.

Martin Hendges, Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), startete mit einem Blick auf die „politische Großwetterlage“. Die Ampelkoalition sei zu zerstritten, um effektive Reformen umzusetzen und zudem fehle ihr das Geld, Maßnahmen zu finanzieren. Vor diesem Hintergrund plädierte Hendges für einen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik. Es müssten Voraussetzungen geschaffen werden, die eine Niederlassung in eigener Praxis, insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen, nachhaltig fördern und finanzielle Planungssicherheit garantieren.

Hendges kritisierte besonders die überbordende Bürokratie, die praxisuntaugliche Digitalisierungsstrategie und die Budgetierung der Parodontitistherapie. Letztere müsse sofort extrabudgetär vergütet werden. In dieser Legislatur bietet aus Sicht der KZBV nur noch das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) die Chance, die strikte Budgetierung im Gesetzgebungsprozess abzufedern. Das GVSG wurde im Mai vom Bundeskabinett verabschiedet und wird am 5. Juli zum ersten Mal im Bundesrat diskutiert.

Hendges rügte in dem Zusammenhang den Umgang Lauterbachs mit der Selbstverwaltung: „Wir müssen uns in dieser Legislatur mit einem Gesundheitsminister auseinandersetzen, der die Player der Selbstverwaltungen nicht nur als Lobbyisten bezeichnet, sondern das System der Selbstverwaltung als Hemmschuh sieht und es letztendlich weitestgehend handlungsunfähig machen möchte.“ Mit Blick auf die tatsächlichen Lobbyisten im Bereich der investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) hingegen lege der Minister eine große Untätigkeit an den Tag. Lauterbach verkenne, dass es ohne die Selbstverwaltung nicht gehe und „dass es gerade die etablierten freiberuflich und selbstständig geführten Praxisformen sind, die heute noch eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung sicherstellen“.

Erste Ergebnisse Stimmungsbarometer

Bis zum 20. Mai konnten die deutschen Zahnärztinnen und Zahnärzte an einer Online-Befragung im Auftrag der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) teilnehmen. Ziel war, repräsentative Daten zur Stimmungslage und zu den Herausforderungen im Praxisalltag zu gewinnen. Rund 4.500 Praxen beteiligten sich an der Aktion. Im Rahmen der Vertreterversammlung stellte KZBV-Chef Martin Hendges erste Ergebnisse vor:

  • 72 Prozent der teilnehmenden Zahnärztinnen und Zahnärzte überlegen, vorzeitig aus der Patientenversorgung auszuscheiden.

  • 58 Prozent sagten, sie würden sich heute nicht mehr niederlassen.

  • 97 Prozent fühlen sich durch Bürokratie überlastet.

  • 81 Prozent gaben an, dass Digitalisierungsmaßnahmen den Praxisablauf beeinträchtigen.

  • 83 Prozent meldeten zurück, dass die Patientenversorgung unter Personalmangel leidet.

  • 77 Prozent beobachteten eine sinkende Zahl von PAR-Neubehandlungsfällen infolge des GKV-FinStG.

  • 76 Prozent sehen sich infolge des GKV-FinStG von Honorarkürzungen betroffen.

Gesucht: praxistaugliche TI-Lösungen

„Es knirscht in der Telematikinfrastruktur“, monierte der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Karl-Georg Pochhammer vor der Vertreterversammlung. Im laufenden Jahr seien bereits über 30 Störungen mit teilweise tagelangen Beeinträchtigungen für die Praxen aufgetreten. „Die Politik muss sich viel stärker auf das fokussieren, was Zahnärztinnen und Zahnärzte bei der Digitalisierung ihrer Prozesse tatsächlich benötigen: eine stabile TI, praxistaugliche Anwendungen und mehr Einflussmöglichkeiten der Selbstverwaltung. Sanktionen, um praxisferne Anwendungen in die Versorgung zu zwingen, sind hingegen völlig kontraproduktiv.“

Auch beim Setzen von technischen Standards bei medizinischen und zahnmedizinischen Daten zum interdisziplinären Austausch oder zur Unterstützung der elektronischen Patientenakte über die Grenzen der Praxisverwaltungssysteme (PVS) hinweg fordert die Vertreterversammlung von der Politik eine praktikable Vorgehensweise. Grundsätzlich unterstütze die Zahnärzteschaft eine stärkere Interoperabilität im Gesundheitswesen, betonte die stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Ute Maier. Das mit dem Digitalgesetz neu geordnete Zertifizierungsverfahren für PVS-Hersteller müsse sich aber erst noch beweisen. Maier: „Den Praxen mit Abrechnungsverboten zu drohen, sofern ihre PVS-Hersteller das kleinteilige Zertifizierungsverfahren nicht bestehen, ist nicht nur das falsche Signal, sondern geht an der Realität völlig vorbei und kommt einer Kollektivstrafe gleich. Hier muss der Gesetzgeber dringend nachbessern.“

Anlässlich der Vertreterversammlung bekräftigten KZBV, Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) in einer gemeinsamen Erklärung erneut ihren Zusammenhalt und positionierten sich klar gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung. Um zu demonstrieren, wie eng die Standesorganisationen der Heilberufe zusammenarbeiten, waren neben KBV-Chef Dr. Andreas Gassen auch ABDA-Vize Mathias Arnold am 6. Juni zu Gast in Frankfurt.

Gassen kritisierte: „Statt das Fundament unser aller Gesundheitsversorgung in Form von wohnortnahen Praxen und Apotheken zu festigen, ist Minister Lauterbach auf dem besten Weg, das gesamte Gebäude einzureißen.“ Schon jetzt würden 70 Prozent der Kolleginnen und Kollegen im ärztlichen Bereich darüber nachdenken, vorzeitig aus der Versorgung auszuscheiden, habe eine Umfrage des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) ergeben. Was es jetzt brauche, seien Anreize für die Niederlassung. Stattdessen würde jedoch immer stärker „an der Kujonierungsschraube gedreht“. Das wirke abschreckend auf junge Ärztinnen und Ärzte.

„Welche Probleme haben wir gemeinsam?“, fragte ABDA-Vize Arnold in seinem Grußwort vor der Vertreterversammlung. „Unter anderem die Nichtanerkennung unserer freiberuflichen Leistung: Wir finden gemeinsam mit Patientinnen und Patienten Lösungen – das ist der Mehrwert der Heilberufe, der von der Politik nicht mehr verstanden wird.“ Alle drei Gesundheitsorganisationen verwiesen in diesem Zusammenhang auf ihre jeweiligen bundesweiten Kampagnen, mit denen sie auf die Belange der Heilberufe aufmerksam machen. Ziel sei, die Bevölkerung über die Folgen der aktuellen Gesundheitspolitik für ihre Versorgung aufzuklären und zu motivieren, die Forderungen der Organisationen zu unterstützen. Auch die Niedergelassenen in den Praxen sollten sich beteiligen, um den Protest in die Fläche zu tragen – insbesondere mit Blick auf die 2025 anstehende Bundestagswahl.

Gebraucht: ein Kurswechsel in der Gesundheitspolitik

Wie die Vertragszahnärzteschaft den Druck auf die Politik erhöhen möchte, spiegelt sich in den in Frankfurt verabschiedeten Beschlüssen wider. So erhielt der an die Bundesregierung gerichtete Antrag des KZBV-Vorstands, einen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik herbeizuführen, breite Zustimmung und wurde einstimmig angenommen. Zu den darin formulierten Forderungen gehört neben der dauerhaften Abschaffung der Budgetierung auch die Regulierung investorengetragener MVZ und die Schaffung niederlassungsförderlicher Rahmenbedingungen. Einstimmig angenommen wurde ein Antrag, der den Abbau von Barrieren im Rahmen des Aktionsplans für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen ohne Sanktionierungsmaßnahmen für die Praxen vorantreibt. Zudem stimmten die Delegierten der weiteren Finanzierung der KZBV-Kampagne „Zähne zeigen“ zu.

Obwohl die aktuelle Gesundheitspolitik oft frustrierend und demotivierend sei, betonte Dr. Holger Seib, Vorsitzender der Vertreterversammlung, dass die Vertragszahnärzte und Vertragszahnärztinnen immer noch eins auszeichne: „Wir geben in stürmischen Zeiten nicht auf und werden die Patientenversorgung wieder in ruhigeres Fahrwasser bringen, um zu verhindern, dass sie noch weiter abrutscht.“

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