Interview mit Prof. Dr. Matthias Widbiller zur Zahntrauma-Datenbank Regensburg

„Spätnachmittags steigt das Zahnunfallrisiko!“

Zahntraumazentren sind eigentlich für die schnelle, spezialisierte Versorgung von Zahnunfall-Patienten da. Die Betreiber des 2016 gegründeten Zahntraumazentrums am Universitätsklinikum Regensburg hatten jedoch von Anfang an auch die Forschung im Blick. Sie wollten Zahnunfälle systematisch erfassen. Dafür setzten sie eine digitale Zahntrauma-Datenbank auf: das „Regensburg Dental Trauma Archive“. Mittlerweile liegen bereits über 2.000 Datensätze von Akutversorgungen vor. Wir haben Prof. Dr. Matthias Widbiller, er ist der Koordinator des Zahntraumazentrums, zu dem Projekt befragt.

Herr Prof. Widbiller, wie ist die Idee zu dieser Zahntrauma-Datenbank entstanden? Ist das eine Idee aus Regensburg oder gibt es bereits ähnliche Projekte?

Prof. Dr. Matthias Widbiller: Schon Anfang der 1970er-Jahre begann Dr. Jens Andreasen an der Universitätsklinik Kopenhagen als Pionier mit der prospektiven Erfassung von Daten über Patienten mit Zahnunfällen. Sein Projekt wurde über viele Jahrzehnte weiterentwickelt und fortgeführt – es bildet die Grundlage unseres heutigen Wissensstands. Als wir 2016 das Zahntraumazentrum am Universitätsklinikum Regensburg gründeten, wollten wir nicht nur die optimale Versorgung von Zahnunfällen sicherstellen, sondern nach diesem Vorbild auch das Unfallgeschehen systematisch erfassen und durch wissenschaftliche Analysen Erkenntnisse gewinnen, die für die Unfallprävention und Patientenversorgung in Deutschland relevant sein können.

Welche Forschungsfragen hatten Sie da im Blick?

Es gibt natürlich viele spannende Fragestellungen. Zunächst sammeln wir epidemiologische Daten, also unter anderem Informationen darüber, wer Zahnunfälle erleidet und wie es dazu kommt. Dazu haben wir spezielle Dokumentationsbögen für Zahnverletzungen entwickelt, die inzwischen bundesweit eingesetzt und in den AWMF-Leitlinien empfohlen werden. Zusammen mit den strukturierten Behandlungsdaten lassen sich Längsschnittuntersuchungen durchführen, die die Möglichkeit bieten, den Erfolg von Therapien oder auch bestimmte Trends bei den Ursachen von Zahnunfällen über Jahre hinweg zu beobachten. Wir erhoffen uns, Risikogruppen oder Risikotätigkeiten für die Prävention zu identifizieren oder auch Versorgungslücken in der Akutversorgung, beispielsweise in der Verfügbarkeit von Zahnrettungsboxen, darstellen zu können.

Gute Forschung benötigt zunächst einmal eine ausreichende Zahl von Patientenfällen …

Unser Zahntraumazentrum hat sich in der Region gut etabliert und die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Kollegen ist hervorragend. Über den Zahnärztlichen Notdienst stehen an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr ein Zahnarzt und ein MKG-Chirurg für akute Fälle zur Verfügung. Hier arbeiten die Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie (Prof. Dr. Wolfgang Buchalla) und die Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (Prof. Dr. Dr. Torsten E. Reichert) bei der Sofortversorgung von Zahnunfällen und der Weiterbehandlung der betroffenen Patienten interdisziplinär eng zusammen. Die Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie betreibt darüber hinaus eine Spezialsprechstunde für Zahnunfälle. Dieses Angebot hat sich herumgesprochen und wird von Patienten aus dem gesamten ostbayerischen Raum in Anspruch genommen.

Gibt es denn bereits erste Forschungsergebnisse aus der Arbeit mit der Datenbank?

Die Sammlung der erforderlichen Daten nimmt naturgemäß einige Zeit in Anspruch. Ohne den laufenden Auswertungen vorgreifen zu wollen, lassen sich jedoch bereits einige Aussagen vornehmen:

  • Etwa 75 Prozent der Betroffenen sind jünger als 25 Jahre.

  • Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen.

  • Die höchsten Fallzahlen sind in den Altersgruppen 2 bis 4, 8 bis 10 und 20 bis 22 Jahre – sowohl bei Jungen als auch bei Mädchen – zu verzeichnen.

  • Die meisten Unfälle ereignen sich zu Hause und in der Freizeit.

  • Radfahren und Spielen gehören zu den häufigsten Unfallursachen.

  • Am meisten Unfälle ereignen sich am späten Nachmittag und am Abend.

    Die Altersgruppen 2 bis 4 Jahre und 8 bis 10 Jahre sind besonders anfällig für Zahnunfälle. Männer haben doppelt so viele Zahnunfälle wie Frauen.

Gibt es ein „Mitmach-Procedere“ beziehungsweise wie können sich Zahnarztpraxen an der Versorgung von Zahnunfällen am besten beteiligen?

Derzeit sind nur die in Regensburg behandelten Fälle in der Datenbank erfasst. Wir streben aber an, weitere Standorte einzubeziehen. Auch eine Erweiterung für niedergelassene Praxen wäre problemlos umsetzbar und würde sicherlich spannende Ergebnisse liefern.

Die beste Unterstützung im Sinne der Patientenversorgung ist derzeit eine optimale Erstversorgung, die Aufklärung von Kindern und Eltern über Zahnunfälle und Erste Hilfe in diesem Zusammenhang, zum Beispiel durch Zahnrettungsboxen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Endodontie und zahnärztliche Traumatologie (DGET) bietet hierzu ein hervorragendes Angebot. Im Rahmen ihres Projekts „Rette Deinen Zahn“ stellt die DGET eine Patientenratgeber-Website zur Verfügung, die Informationen zur Erstversorgung und zu weiteren Maßnahmen bietet.

Die schnelle Verfügbarkeit von Zahnrettungsboxen ist wichtig für die optimale Erstversorgung von Zahnunfällen.

Der Befundbogen der DGET kann als PDF mit Ausfüllhilfen unter https://www.dget.de/content/2-fuer-zahnaerzte/4-wissenschaftliche-mitteilungen/befundbogen-zahntrauma-dgetdgzmk_11_21.pdf heruntergeladen werden.

Für Patienten bietet die DGET die Ratgeberwebseite www.rette-deinen-zahn.de an.

Das Gespräch führte Benn Roolf.

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