Konflikte im Praxisalltag – Teil 2

Was tun, wenn der Streit eskaliert?

Anke Handrock
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Maike Baumann
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Annika Łonak
Am Anfang ärgern sie sich über Kleinigkeiten, doch der Unmut wird schnell größer, der Ton fieser und es kracht: Wenn zwei im Team sich streiten, muss die Führung wissen, wann die Konfliktparteien noch gute Chancen haben, selbst eine Lösung zu finden, und wann Hilfe von außen nötig ist. Denn wenn aus dem Zank eine Fehde wird, ist der Zug abgefahren, und zwar für alle.

Jeder Streit folgt einem Muster. Er beginnt meist mit einem klaren Sachbezug („Wir haben einen Konflikt“). Lässt er sich mit den eigenen Kompetenzen nicht lösen, kommt es zu Spannungen auf persönlicher Ebene („Wir haben einen Konflikt und ich glaube, die andere will mich nicht verstehen“). Es folgt ein Zwist darüber, an wem die Lösung denn nun scheitert. Beide Parteien schieben einander die Schuld zu („Der Konflikt hat uns“). Der sachliche Auslöser tritt in den Hintergrund. Beide Seiten machen Lösungsvorschläge, die aber aufgrund der unterschiedlichen Sichtweisen jeweils abgewiesen werden, was die Abwärtsspirale verstärkt („Der Konflikt hat uns und wir sehen keinen Ausweg mehr“).

Wenn während dieser Eskalation schon früh Unterstützung von außen kommt, kann das den Beteiligten helfen, sich auf andere Sichtweisen besser einzulassen. Dadurch schaffen sie es dann, nach und nach beide Sichtweisen zu verbinden. So können plötzlich auch neue Lösungsideen entstehen. Je früher eine solche Hilfe innerhalb des Teams greift, etwa durch Kolleginnen, Teamleitungen oder Chefs, desto leichter ist es für die Konfliktparteien wieder zueinander zu finden.

Der Sozialwissenschaftler Friedrich Glasl hat die Eskalation von Konflikten in neun (auch von außen erkennbare) Stufen beschrieben. Je nach Eskalationsstufe lässt sich ableiten, ob die Lösung im Team aus eigener Kraft noch wahrscheinlich ist oder ob externe professionelle Hilfe angezeigt ist.

Die Kennzeichen der einzelnen Stufen lassen sich gut an einem Beispiel nachvollziehen: In einem größeren Praxisteam arbeiten Eva Baum (Abrechnung und Verwaltung) und Marco König (Sterilgutassistenz). König ist Ordnung im Pausenraum sehr wichtig. Er spült seine benutzte Tasse immer sofort ab und stellt sie weg. Baum legt großen Wert auf Effizienz und Nachhaltigkeit und achtet darauf, ihre Tasse den ganzen Arbeitstag über zu benutzen und erst am Ende des Arbeitstags zu spülen und wegzustellen. König ärgert sich täglich über die dreckige Tasse und spült sie gelegentlich ungefragt mit ab. Ihn wurmt es zusätzlich, dass Baum sich dafür nicht einmal bedankt. Diese wiederum ärgert sich über die Wasserverschwendung ihres Kollegen und empfindet es als übergriffig, wenn er ungefragt ihre Tasse zwischendurch abspült.

Ab und zu weist Baum ihn darauf hin, dass sie nicht will, dass König ihre Tasse wegnimmt. Baum erwidert, dass es erwartbar sei, dass der Pausenraum sauber ist. Baum ist beleidigt, da sie sich als „schlampig“ herabgesetzt fühlt und wirft König vor, sich im Pausenraum nur vor der Arbeit zu drücken. Dieser Vorwurf ärgert wiederum den Kollegen. Beide fühlen sich missverstanden und verletzt und kommen zu keiner Lösung, sehen den Konflikt aber noch als realistisch und mit gutem Zureden lösbar an. Dies ist die Stufe I.

Wird der Konflikt laut, sollte die Leitung einschreiten

Nach ein paar Tagen, der Konflikt schwelt immer noch, beginnen die beiden, ihre Auseinandersetzung lautstark und auch vor anderen Mitarbeitenden auszutragen. Die Anschuldigungen werden schärfer und beide Seiten fangen an Fehler, die mit dem Ursprungskonflikt nicht unmittelbar in Beziehung stehen im Verhalten des anderen zu suchen und herauszustreichen. Der Konflikt weitet sich inhaltlich aus. Die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass beide Parteien allein zu einer Lösung kommen. Wenn jetzt die Teamleitung vermittelnd eingreift, besteht dafür noch eine gute Chance.

Leider kommt es nicht zu einer Vermittlung. Beide Beteiligte haben inzwischen das Gefühl, dass Reden nichts nützt (hat ja bis jetzt auch nicht geholfen) und fangen an, Taten statt Worte einzusetzen. König beobachtet die Tür des Pausenraums. Sobald er sieht, dass Baum eine Pause gemacht hat, betritt er den Raum, spült demonstrativ ihre Tasse ab und vermerkt dies anschließend mit einem Strich in seinem Kalender. Baum hingegen stoppt die Zeit, die König dort verbringt und dokumentiert diese Pausenraumzeiten. Die beiden begegnen einander mit abfälligen Blicken, verlassen den Raum, wenn die andere Person ihn betritt und begegnen sich offen unhöflich. Auch auf dieser dritten Stufe des Konflikts sind Selbsthilfe und Konfliktlösungen mithilfe von Kolleginnen oder Chefs noch gut machbar.

Jetzt ist die Grenze der Selbsthilfe erreicht

Ab der vierten Eskalationsstufe gelingt es regelhaft nicht mehr, den Konflikt aus eigener Kraft und ohne professionelle Unterstützung zu lösen. Die Grenze der Selbsthilfe ist erreicht. Beide Parteien sind inzwischen schwer enttäuscht vom Verhalten der anderen Seite, beschweren sich bei den Kollegen über den anderen und sprechen offen abfällig und entwertend übereinander. Es bilden sich nach und nach zwei Lager innerhalb des Teams. Stellvertreterkonflikte zwischen Mitgliedern der beiden Lager brechen auf und das Team fühlt sich zunehmend gespalten.

Auf Stufe fünf beginnen König und Baum einander offen auch in Hörweite von Patienten zu beschimpfen und negative Zuschreibungen zu machen. Die andere Partei ist faul, dumm, hinterhältig und bösartig. Beide bemühen sich, das Ansehen des anderen so gründlich wie möglich zu zerstören und ihn öffentlich bloßzustellen. Kommt es dabei zu offen diskriminierenden Unterstellungen, gerät auch der Arbeitgeber in einen Handlungszwang. Beide haben das Ziel, dass die andere Partei das Gesicht verlieren soll und aus dem Team ausgeschlossen wird. Das Spaltungserleben im Team verhärtet sich.

Auf Stufe sechs beginnen die beiden einander zu drohen. Baum droht zum Beispiel mit einer Anzeige wegen Beleidigung, König damit, dass er an ihrer Stelle sehr genau drauf achten würde „was ihre Töle beim Spazierengehen frisst". Oft werden auch Ultimaten – zum Teil auch an Dritte – gestellt, wie: „Wenn Sie den noch einmal mit mir in eine Schicht einteilen, kündige ich!“ Ultimaten erzeugen durch den Zeitdruck zusätzlich Stress. Die Drohungen bewirken einen Handlungszwang auf der Seite der drohenden Person, denn eine nicht wahr gemachte Drohung erzeugt einen Verlust an Glaubwürdigkeit. Zugleich erzeugen sie beim Bedrohten Rachegedanken.

Auf Stufe sieben besteht das Ziel für beide darin, einander Schaden zuzufügen, solange es für einen selbst keine allzu großen Kosten verursacht. König lässt beispielsweise „versehentlich“ Baums Lieblingstasse fallen und versteckt immer wieder Schriftstücke mit wichtigen Terminsachen, in der Hoffnung, dass sie abgemahnt wird. Baum hingegen sorgt dafür, dass König weder über seinen Geburtstag noch über Weihnachten oder Neujahr Urlaub nehmen kann und dass er „zufällig“ immer in die Spätschicht bis 20 Uhr eingeteilt ist, obwohl er kleine Kinder hat.

Von Stufe vier bis einschließlich Stufe sieben besteht die Chance, den Konflikt mithilfe einer externen Mediation noch in den Griff zu bekommen.

Am Ende geht es nur noch gemeinsam in den Abgrund

Auf Stufe acht werden die schädigenden Akte gegeneinander massiv. Ziel ist es „die andere Seite“ zu vernichten. Es werden „Belege“ herumgezeigt, dass der andere systematisch betrügt. Einander werden Diebstähle untergeschoben, es wird offen verweigert im selben Raum zu arbeiten, Schlüssel verschwinden, so dass Mitarbeitende sich verspäten, etc. Diese Situationen bringen Chefs massiv in Zugzwang. Es funktioniert nicht mehr, Kooperation über Anweisung erzwingen zu wollen. Baum ist die einzige Abrechnungskraft der Praxis. Wenn sie auf die Dienstanweisung, die Rezeption zu besetzen, obwohl auch König Dienst hat, immer mit Krankmeldungen reagiert, bringt das die Chefin in Handlungsnot.

Auf Stufe neun – „gemeinsam in den Abgrund“ – wird mit dem Ziel der Schädigung der anderen Seite auch das eigene Wohlergehen hintangestellt. Oftmals können ab Stufe acht nur noch Machteingriffe von außen die Eskalation beenden. Eine Partei wird fristlos entlassen, Rechtsmittel werden eingeleitet und so weiter und so fort.

Fazit

Prinzipiell ist jeder Konflikt, der nicht gerade die Kernwerte oder Grundüberzeugungen einer Person immer wieder erneut einreißt, so weit lösbar, dass eine dauerhaft gute Zusammenarbeit im Team möglich ist. Nicht gut lösbar sind hingegen Konflikte, in denen aus tiefster politischer Überzeugung heraus konstant fremdenfeindliches Verhalten gegenüber Kolleginnen mit Migrationshintergrund auftritt oder Kollegen mit massiv negativer Einstellung gegenüber einem anderen Geschlecht immer wieder abfällige, sexistische Äußerungen machen.

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Dr. med. dent. Anke Handrock

Praxiscoach, Lehrtrainerin für Hypnose (DGZH), NLP, Positive Psychologie,
Coaching und Mediation,
Speakerin und Autorin
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Dipl.-Psych. Maike Baumann

Psychotherapeutin und Mediatorin, Coach, Autorin und Dozentin
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Annika Łonak

Fachärztin für Radiologie und Neuroradiologie, Oberärztin Universitätsspital Basel

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