Gründung auf dem Land

Wie ist das, wenn dich jeder kennt?

Bettina Glaubke
Wer sich im ländlichen Raum niederlässt, den umtreibt auch die Frage nach Nähe und Distanz zu den Patienten jenseits der Praxis. Könnte es „eng“ werden, wenn mich im kleinen Örtchen ALLE kennen? Diese Sorge habe sich für sie nicht bestätigt, berichtet Dr. Ricarda Lieber. Im Gegenteil.

Lieber eröffnete im Januar 2022 ihre Zahnarztpraxis in Eisenbach, einem Luftkurort der Gemeinde Selters. 3.000 Menschen leben hier. Ganz in der Nähe ist sie aufgewachsen, auch ihre Eltern sind im Umkreis bekannt. Zum Zeitpunkt der Gründung ist sie noch keine 30 und fragt sich: Wie ausgelassen kann ich noch mit meinen Freunden feiern gehen? Muss ich mich jetzt immer zurechtmachen, auch wenn ich nur kurz zum Bäcker gehe? Und kann ich mich noch frei im Fitnessstudio bewegen?

Die Lage auf dem Land

Insgesamt 70 Prozent der Gründungen finden (noch immer) in der Mittel- oder in der Großstadt statt. Auf dem Land wird der Versorgungsengpass dagegen immer größer und der demografische Wandel verschärft dieses Problem. In den nächsten zehn bis 15 Jahren erreichen mehr als die Hälfte der Zahnärztinnen und Zahnärzte das Rentenalter, während die Zahl der Niederlassungen zurückgeht. Gleichzeitig steigt aufgrund der immer älter werdenden Bevölkerung die Nachfrage nach zahnärztlichen Leistungen. Bereits jetzt versucht die Landesregierung in Thüringen Existenzgründungen auf dem Land mit Gründerzuschüssen von bis zu 40.000 Euro Anreize für eine Niederlassung zu schaffen.  Auch in vielen anderen Regionen Deutschlands müssen die Patienten schon weite Wege zurücklegen oder lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Jede Neugründung oder Übernahme in strukturschwachen Gebieten trägt dazu bei, die Versorgung ein Stück weit aufrechtzuerhalten.

Zwei Jahre später: Lieber hat ihre Entscheidung bisher nicht bereut. Ihre Befürchtungen, im Ort zu sehr unter Beobachtung zu stehen oder sich nicht mehr frei bewegen zu können, haben sich nicht bewahrheitet. Sie sieht im Landleben eher Vorteile: „Der Kontakt zu den Patienten ist hier einfach enger als in der anonymen Großstadt. Außerdem schweißen die gemeinsame Herkunft und die Verbundenheit zum Ort zusammen. All das sorgt für einen stabilen Patientenstamm. Und meine Mitarbeiterinnen sind loyal und bleiben bei der Stange.„ Auch Recruiting ist für sie bisher kein Thema: “Ich kriege regelmäßig Initiativbewerbungen von Menschen, die bei mir arbeiten wollen.“

Die höhere Verbindlichkeit im Ländlichen und der persönliche Kontakt tragen außerdem dazu bei, dass Termine seltener abgesagt oder nicht eingehalten werden. Gleiches gilt für die Zahlungsmoral der Patienten: Nicht beglichene Rechnungen kommen so gut wie gar nicht vor. Weil die Versorgungslage auf dem Land so schlecht ist, hat sie natürlich auch wenig Konkurrenz – was zu einer besseren Auslastung ihrer eigenen Praxis führt und die Gefahr der Abwanderung verringert. Und: Lieber bemerkt in ihrer Praxis einen überdurchschnittlich hohen Zuwachs an Neupatienten: „Die Mund-zu-Mund Propaganda funktioniert einwandfrei, bislang musste ich kaum Geld in Marketingkampagnen stecken.“

Ihr Fazit? „Nach mehr als zwei Jahren in der Selbstständigkeit kann ich sagen, dass ich mich schnell daran gewöhnt habe, erkannt zu werden. Aber ich fühle mich dadurch überhaupt nicht beobachtet oder bewertet. Das Wichtigste ist letztlich, dass ich ich selbst bleibe und Beruf und Privatleben gut hinkriege!“ Diese drei Punkte haben ihr dabei geholfen:

  • Reflektieren: Wo liegen meine Stärken und Schwächen, was kann ich besonders gut und wie will ich wahrgenommen werden? Wer dabei einem gewissen Bild entsprechen will, läuft Gefahr, sich zu verbiegen.

  • Die Vorteile sehen: Wenn die Zweifel doch mal laut werden und sich das Gedankenkarussell dreht, hilft es, sich auf die Vorteile zu fokussieren. Jede Standortwahl bietet Vor- und Nachteile. Am Ende sollten die persönlichen Präferenzen und Visionen den Ausschlag geben.

  • Social Media: Auch wenn der Gedanke nahe liegt, dass die ländliche, eher ältere Bevölkerung wenig affin für Instagram & Co. ist: Die Medien sind doch super, um Nähe zu den Patienten herzustellen. Überraschend viele ältere Follower haben Spaß daran, am Praxisalltag teilhaben zu können.


Wer in der Gründungsphase und in der Zeit danach ein stabiles Netzwerk hat, ist auf jeden Fall klar im Vorteil. Dafür gibt es Fortbildungen, die speziell auf das Thema Existenzgründung ausgerichtet sind. Solche Veranstaltungen vermitteln nicht nur praktisches Wissen: Man lernt auch Gleichgesinnte – und Experten – kennen. Der Austausch hilft einem dabei, das eigene Vorhaben zu strukturieren und die eigene Vision zu festigen. Lieber profitiert noch heute von den Erfahrungen, die sie auf der OPTI SummerSchool machen konnte, sagt sie.

OPTI-SummerSchool 2024

Die OPTI-SummerSchool 2024 findet vom 8. bis zum 13. Juli 2024 in Damp an der Ostsee statt. Das Existenzgründer-Seminar richtet sich an frisch niedergelassene und angestellte Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie Assistenzärztinnen und -ärzte und Studierende. In Theorie und Praxis geht es um Digitalisierung, Businessplanung & Unternehmensentwicklung, Qualitätsmanagement, Abrechnung und Finanzierung in der Zahnarztpraxis.

Dazwischen ist genug Zeit, um einen chilligen Tag am Strand zu verbringen, Beachvolleyball zu spielen oder Wasserski auszuprobieren.

www.opti-summerschool.de

So kann man sich ein Bild von der eigenen Zukunft machen

Je mehr Informationen man hat, desto leichter kann man sich ein Bild von der eigenen Zukunft machen. Wer nach einem stressigen Praxistag gerne in der Natur spazieren geht, um abzuschalten, findet vermutlich mit einer Landpraxis die richtige Work-Life-Balance. Wer auf regelmäßige Theater- und Restaurantbesuche nicht verzichten mag und den Trubel liebt, wird auf dem Land wohl eher nicht glücklich werden. Ein „In-sich-gehen“ ist unabdingbar, um das für sich herauszufinden.

Bettina Glaubke

Gründungsberaterin bei der
OPTI health consulting GmbH
OPTI health consulting GmbH

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