„Das BMG sollte Fehler eingestehen und naheliegende Lösungen angehen“
Herr Bartelt, seit Anfang des Jahres gab es zahlreiche Protestveranstaltungen, bei denen Zahnärztinnen und Zahnärzte mit ihren Teams auf die Straße gingen, um Herrn Lauterbach zu überzeugen, dass er mit seiner Gesundheitspolitik auf dem Holzweg ist. Wie ist Ihr Eindruck: Ist die Botschaft angekommen?
Christian Bartelt: Dass es einen massiven Reformbedarf im Gesundheitsbereich gibt, ist definitiv auch im BMG angekommen. Proteste gab es ja sogar konzertiert aus nahezu allen Bereichen der Gesundheitsberufe. Ob die Mahnungen, immer alle beteiligten Akteure in Gesetzesvorhaben auch frühzeitig einzubinden, bis zum Minister durchgedrungen sind, wird sich zeitnah zeigen.
Ein Hauptkritikpunkt ist die stetig steigende Bürokratielast für die Praxen. Wie kann man hier schnell Abhilfe schaffen?
Aus eigener Erfahrung kenne ich dieses Problem zur Genüge und betone das auch immer wieder. Auf Druck der FDP hin hat Minister Lauterbach nun zugesagt, ein eigenes Bürokratieentlastungsgesetz für den Gesundheitsbereich aufzusetzen. Als Fraktion sammeln wir schon seit Monaten dezidierte Vorschläge von Verbänden und allen Akteuren und haben diese auch immer umgehend ans Ministerium weitergeleitet. Dort werden sie derzeit geprüft und wir werden nicht müde, eine schnellstmögliche Umsetzung zu fordern. Weitere Ideen sind jederzeit willkommen, denn es soll auch nicht der letzte Anlauf sein, unnötige Bürokratie abzubauen.
Stichwort Budgetierung: Besonders betroffen vom GKV-FinStG ist die präventionsorientierte Parodontitistherapie. Wie passt es zusammen, dass nun an anderer Stelle ein Gesundes-Herz-Gesetz zur Vermeidung kardialer Ereignisse auf den Weg gebracht wird?
Aus zahnmedizinischer Sicht gab es im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz die Veränderung, dass der Zuwachs für die Honorare für vertragszahnärztliche Leistungen begrenzt wurde: Die Gesamtvergütungen durften 2023 nur um die um 0,75 Prozentpunkte verringerte Veränderungsrate der Grundlohnsumme steigen, 2024 dann um das Doppelte (1,5 Prozentpunkte). Diese Begrenzung des Anstiegs der zahnärztlichen Vergütung für Zahnbehandlungen führte 2023 zu Einsparungen für die GKV in Höhe von rund 120 Millionen Euro und im Jahr 2024 in Höhe von rund 340 Millionen Euro. Wir haben aber erkannt, dass die Begrenzung nicht nur einer faktischen Leistungskürzung gleichkommt, sondern langfristig sehr viel teurer wird.
Die aktuellen Versorgungsdaten der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung zeigen bereits einen Rückgang bei den Neubehandlungsfällen. Ich sehe diesen rückläufigen Trend bei der Inanspruchnahme von PAR-Leistungen mit großer Besorgnis und teile die Ansicht der KZBV, dass der Rückgang auf die Verschärfung der Budgetsituation zurückzuführen ist, wonach die im Rahmen der Budgetierung zur Verfügung stehenden Mittel nicht ausreichen, um die Neubehandlungsfälle und die Weiterbehandlung der begonnenen Fälle abzudecken.
Leider ist diese Erkenntnis noch nicht bei Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gereift, obwohl gerade im Hinblick auf seine geplante Herz-Kreislauf-Strategie den bekannten Zusammenhängen von unbehandelter Parodontitis und Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes durch eine adäquate Versorgung dringend Rechnung getragen werden müsste. Umso widersprüchlicher wirkt der Versuch des BMG, den Rückgang der Parodontitis-Neubehandlungen auf begrenzte Behandlungskapazitäten zurückzuführen. Für uns als FDP-Bundestagsfraktion ist das ein offensichtlicher Versuch, den Schwarzen Peter den Ärzten zuzuschieben, statt Fehler einzugestehen und naheliegende Lösungen anzugehen. Entsprechend setzen wir Liberale uns in der Koalition jetzt dafür ein, eine Entbudgetierung auch bei den zahnärztlichen Behandlungen umzusetzen, um eine angemessene Versorgung zu ermöglichen.
Eine weitere Baustelle ist der Fachkräftemangel. Es wird immer schwieriger für Praxen, Personal gut zu bezahlen, gleichzeitig verändern sich die Rahmenbedingungen in anderen Gesundheitsberufen, auch weil die Politik hier Verbesserungen auf den Weg bringt. Warum nimmt der Minister billigend in Kauf, dass sich das System kannibalisiert?
Die einzelnen Berufsgruppen möchte ich nicht gegeneinander ausspielen und dann von einer Kannibalisierung sprechen, sondern von einem Wettbewerb um die Fachkräfte. Ja, es stimmt, es herrscht eine gewisse Unwucht, zum Beispiel im Vergleich zur Pflege, in der dringend notwendige Reformen endlich angegangen wurden und auch die Bezahlung mittlerweile deutlich besser ist. Trotzdem herrscht auch dort immer noch ein Mangel an den dringend benötigten Fachkräften. Veränderungen müssen auch aus den Berufsständen heraus kommen und können nicht immer von der Politik gefordert werden. Wir als Politik müssen aber die Berufsstände in die Lage versetzen, auch den finanziellen Spielraum zu haben, um das Berufsbild unserer Fachkräfte in dem Bereich attraktiver zu machen. Die vorher schon angesprochene Entbudgetierung und die längst überfällige Novellierung der GOZ wären in der Zahnmedizin dazu wichtige Schritte.
Mindestens zwei Protestveranstaltungen wird es diesen Sommer noch geben. Gleichzeitig läuft die Kampagne der Vertragszahnärzteschaft „Zähne zeigen“ zur Sensibilisierung von Politik und Öffentlichkeit. Was braucht es aus Ihrer Sicht noch, damit es zu einem Umdenken kommt?
Die Inhalte der Kampagne teile ich vollumfänglich und auch die Proteste halte ich für sinnvoll, um Aufmerksamkeit für die Probleme zu erzeugen und der Berufsgruppe Gehör zu verschaffen. „Copy & Paste“-Massenmails sind dazu aber nicht immer das richtige Mittel. Das Anbieten von Lösungsansätzen in Zeiten, in denen der Bund Rekordzuschüsse in den Gesundheitsfonds zahlt, sind da eher geeignet. Es wird tiefgreifende Reformen brauchen, um unser gesamtes Gesundheitssystem wieder neu aufzustellen und zukunftsfähig auszurichten. Generell müssen wir weg von der deutschen Vollkasko-Mentalität.
Die Zahnmedizin ist im Gesamtkontext sicher nicht der Kostentreiber, die Fehlanreize und Reserven liegen vor allem im stationären Bereich. Generell müssen wir die Freien Berufe und das so wichtige Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis wieder mehr stärken und die Misstrauenskultur unseren Berufsständen gegenüber durchbrechen. Bürokratieabbau ist dort ein wesentlicher Schritt, um wieder mehr Zeit für und mit den Patienten zu haben und nicht für unnötige Dokumentationen zu verschwenden. Ich werde mich weiterhin – sowohl als Kollege als auch als Abgeordneter – mit Vehemenz dafür stark machen und einsetzen.
Das Gespräch führte Marius Gießmann.